Kommentar

Panik in Hollywood: Streik der Schreibkräfte

Der heute einsetzende Streik der Autorinnen und Autoren setzt die großen Filmstudios und Streamingdienste schwer unter Druck – und wird weitreichende Folgen haben.

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Das Vokabular ist drastisch. Einen „Anschlag der Konzerne auf das Einkommen und die Arbeitsbedingungen“ seiner Klientel ortet etwa Chris Keyser, einer der Chefverhandler der Writers Guild of America (WGA), der mächtigen AutorInnen-Gewerkschaft der US-Film- und Fernsehindustrie; dieser Anschlag habe all jene, deren schreiberische Fähigkeiten die Bewegtbildproduktion über Jahrzehnte am Laufen gehalten haben, an einen „existenziellen Abgrund“ gebracht.

In nächster Zeit wird im amerikanischen Fernsehen wohl eine ungeahnte Zahl an Wiederholungen laufen, wo eigentlich brandneue Produktionen ausgestrahlt werden sollten. Denn das Lohnschreiben für Film und Fernsehen ist nach zähem Ringen um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Autorinnen und Autoren ab sofort ausgesetzt. Bis zu 11.500 gewerkschaftlich organisierte Drehbuch-Schreibkräfte haben einen massiven Streik angekündigt, viele davon werden sich heute nachmittag in Los Angeles zu einer ersten großen Kundgebung versammeln.

Der Atem der schreibenden Zunft in Sachen Streik ist traditionell lang. Volle fünf Monate währte eine Arbeitsniederlegung 1988. Und fast 16 Jahre liegt der für die Film- und Fernsehindustrie so desaströse 100-tägige Streik der Writers Guild zurück, der dem Wirtschaftsgroßraum Los Angeles zwischen November 2007 und Februar 2008 – wie die „New York Times“ vorrechnet – 2,1 Milliarden an Verlusten beschert hat. Denn wenn Film- und Serienproduktionen verschoben oder abgesagt werden, kommen die dafür vorgesehenen Budgets nicht nur Filmfachkräften abhanden, sondern auch der lokalen Infrastruktur, den Hoteliers, Fahrdiensten und Catering-Unternehmen beispielsweise.

Nun treffen die Proteste eine postpandemisch und budgetär schwer angeschlagene Entertainment-Branche, die sich radikal gewandelten Zeiten gegenüber sieht: Der Publikumsschwund trifft nicht nur das lineare Fernsehen, sondern inzwischen auch Netflix. Der Werbemarkt ist eingebrochen, Disney und Warner streichen tausende Arbeitsplätze und lassen misslungene Filme gleich unveröffentlicht, um verzweifelt Marketing-Kosten zu sparen. TV-Produktionen werden dagegen massenweise und in immer schnelleren Zyklen produziert.

Man sei ja willens, den Autorinnen und Autoren „großzügige Anhebungen der Gehälter“ zu gewähren, heißt es seitens der Produktionsverbände, und man sei weiterhin verhandlungsbereit. Das am Tisch liegende Angebot des Produzentenverbands würde den Autorinnen und Autoren 86 Millionen Dollar im Jahr mehr an Einnahmen bringen, die Writers Guild fordert jedoch 429 Millionen. Zu den zentralen Forderungen der WGA gehört aber nicht nur die unverzügliche Anpassung stagnierender Honorare (und Tantiemenabgeltung) in Zeiten stark steigender Lebenshaltungskosten, sondern auch die Erhaltung der „Writers’ Rooms“, jener kreativen Schreibzimmer, in denen Serienhits wie „Breaking Bad“ oder „Game of Thrones“ im Kollektiv konzipiert wurden. In den Chefetagen der Filmstudios setzt man seit geraumer Zeit aber auf verkleinerte, also kostengünstigere Schreibteams. So könne aber niemand mehr das Gewerbe des erfinderischen Serienplanens lernen, argumentiert die WGA, was einer Entwertung der Profession des Drehbuchschreibens gleichkomme.  

Die Konsequenzen eines möglicherweise Wochen oder Monate andauernden Streiks sind kaum noch abzusehen: Laufende Produktionen werden zum Erliegen kommen, und die von aktuell reagierenden Gag-SchreiberInnen abhängigen Comedy- und Late Night Shows wird man fürs Erste canceln müssen.

Und das globale Schreckgespenst der Künstlichen Intelligenz geht nun auch in Hollywood um: Die Gewerkschaften drängen darauf, die Kompetenzen der Chatbots zu regulieren, juristisch einzugrenzen. Die Angst ist begründet: Denn anonymes, mehrheitsfähiges Entertainment, das den überwiegenden Teil des Contents der Film- und Fernsehindustrie umfasst – und das ja genau darauf beruht, dass bekannte Muster imitiert, neu kombiniert und variiert werden –, könnte eine mit Erfolgsdrehbüchern gefütterte KI vermutlich tatsächlich verfassen. Wenn die Geschichte des Konzernkapitalismus eines lehrt, dann dies: Fachkräfte werden durch nichtspezialisierte Arbeitskräfte (oder eben: Maschinen) ersetzt.

Aber vielleicht wird das menschliche Zutun an einem Projekt ja bald Statussymbol und Distinktionsmerkmal: ein Film, erdacht und konzipiert von menschlichen Gehirnen! Biologische Laufbilder ohne Maschinenbeteiligung in den main departments! Es wird absurd, so oder so.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.