Florentina Holzinger, 32

Performerin Holzinger: "Als wäre ich ein Pornostar"

Die Wiener Performerin und Tänzerin Florentina Holzinger über Nacktheit auf der Bühne, Spanner im Publikum, den Sexismus in der Tanzszene und warum es längst Zeit für mehr Frauen in leitenden Positionen ist.

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INTERVIEW: KARIN CERNY

profil: Die Zuschauer gehen davon aus, dass während Ihrer Performances Krasses auf der Bühne passiert. Erzeugt das Druck? Holzinger: Überhaupt nicht, ich habe ja auch diese Erwartungshaltung, damit mir selbst nicht fad wird. Ich möchte in jeder Show Neues ausprobieren. Vieles ist im Übrigen gar nicht so extrem. Die meisten Menschen wissen einfach nicht, wie es sich anfühlt, wenn man sich einen Nagel in den Kopf hämmert.

profil: In "Apollon", das beim diesjährigen Wiener ImPulsTanz-Festival zu sehen sein wird, treiben Sie sich einen acht Zentimeter langen Nagel in die Nase. Holzinger: Jeder Saunaaufguss ist schlimmer. Ich war gerade in Thailand boxen. Um zum Training zu kommen, musste ich mit einem Speedboot fahren. Das ist viel angsteinflößender, weil die Wellen nicht wirklich einschätzbar sind. Jeder Urlauber macht das, ohne mit der Wimper zu zucken. Dass ich von Medien für meine Arbeiten ständig dieses Extremlabel umgehängt bekomme, empfinde ich als kurios. Ich empfinde mich nicht als sonderlich radikal. Wenn es nach mir ginge, wäre ich nicht im experimentellen Tanz gelandet, sondern würde heute vielleicht kommerziell arbeiten.

profil: Etwa beim Cirque du Soleil? Holzinger: Das Problem ist, dass meine Ästhetik mit Unternehmungen dieser Art nicht zusammengeht, obwohl mich deren Bühnenmaschinerien natürlich reizen würden. "Apollon" zeigen wir im Wiener Volkstheater . Da gibt es eine Drehbühne, wobei ich mich frage, weshalb diese technischen Möglichkeiten im Performance-Bereich nicht vorhanden sind. Meine Arbeit ist für Stadttheater anscheinend zu radikal, wobei das Publikum gern unterschätzt wird.

Ich verstehe Performer nicht, die auf der Bühne unterspannt herumstehen. Warum nutzen sie ihre Körper nicht?

profil: Sie möchten die Zuschauer fordern. Holzinger: Zuschauer im Theater sind prinzipiell gelangweilt. Theater ist ein verstaubtes Genre, im Zeitalter von Postinternet fragt man sich, was daran noch relevant ist, anderen Leuten beim Schauspielen zuzusehen. Spannend ist doch, dass eine besondere Art von Intimität hergestellt wird, eine Möglichkeit zur Konfrontation besteht. Ich sehe darin ein ungemeines Potenzial und eine Art von Freiheit. Deshalb verstehe ich nicht, warum auf den Bühnen nicht mehr riskiert wird. 2013 stürzte ich während einer Vorstellung aus mehreren Metern auf mein Gesicht, anschließend ließ ich mich, mit einem gewissen Augenzwinkern, von einer Martial-Arts-Trainerin zur "Kampfmaschine" ausbilden. Bereits bei meinem Stück "Kein Applaus für Scheiße" (2011) bekam ich gesagt: "Wenn du so weitermachst, landest du in fünf Jahren im Rollstuhl." Dabei dachte ich immer, es sei harmlos, was ich auf der Bühne so treibe.

profil: Kampfsport ist für Ihre Arbeit nach wie vor wichtig. Holzinger: Mein diesjähriger ImPulsTanz-Workshop, der sich mit der Beziehung von Kunst zum Kampfsport beschäftigt, bedient sich neben Boxtechniken auch der Crossfit-Methode sowie der 1990er-US-Fitness-Bewegung, die den Slogan "the bigger, the better" propagierte: Wie werde ich in kürzester Zeit die fitteste Person des Planeten? Während meiner Choreografie-Ausbildung war all das als neoliberal verpönt. Man sollte sich spüren, aber ja nicht überfordern. Ich verstehe Performer nicht, die auf der Bühne unterspannt herumstehen. Warum nutzen sie ihre Körper nicht?

profil: In "Apollon" agieren alle Tänzerinnen nackt. Tabu ist das keines mehr. Holzinger: Das kann es in Ländern wie Polen noch sein. Aber meist irritiert Nacktheit nicht mehr. Mir geht es um Transparenz in Bezug auf Tänzerkörper. Die Leute fantasieren viel mehr, wenn Dinge versteckt sind, als wenn ihnen von vornherein klar gemacht wird, Körper haben nun mal Geschlechtsteile.

Wir sagen dem Publikumsdienst, dass die 'Lederjacken' - so nennen wir intern jene Männer, die ihre Jacken auf dem Schoß liegen haben - nicht in den ersten beiden Reihen sitzen sollen.

profil: Kann man der Sexualisierung des Tänzerinnenkörpers überhaupt entkommen? Holzinger: Es ist okay, schöne Körper auf der Bühne sehen zu wollen. Ich versuche aber, diesen Blick zu reflektieren, zu thematisieren. Es gibt noch immer Typen, die nach der Vorstellung mit Nacktfotos von mir daherkommen, die sie signiert haben möchten, als wäre ich ein Pornostar. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass daran etwas verkehrt sein könnte. Ich weiß dann nie so genau, ob ich auf dem Foto unter meiner rechten Titte unterschreiben oder mich auf langwierige Diskussionen einlassen soll.

profil: Wie gehen Sie mit Spannern im Publikum um? Holzinger: Wir haben eine sogenannte "Firewall". Wir sagen dem Publikumsdienst, dass die "Lederjacken" - so nennen wir intern jene Männer, die ihre Jacken auf dem Schoß liegen haben - nicht in den ersten beiden Reihen sitzen sollen. Bei "Apollon" fragten wir uns, ob wir überhaupt Männer im Publikum haben wollen. Dann wären aber auch jene Männer ausgeschlossen, die anders denken.

profil: Wie sexistisch ist die Tanzszene? Holzinger: Da ist noch viel aufzuarbeiten, speziell beim Ballett. Es gibt kaum weibliche Choreografen für Kompagnien an großen Häusern. Die klassischen Ballett-Rollen im Repertoire reproduzieren veraltete Frauenbilder. Deshalb versuche ich, Stücke neu zu interpretieren, lasse etwa zwei Frauen ein Pas de deux tanzen.

Was heißt feministisch? Dass man Mösen sieht?

profil: Eine kürzlich erschienene belgische Studie über Sexismus im Tanz zeigt, dass #MeToo in der Szene ein wichtiges Thema ist. Holzinger: Ich selbst war nie Tänzerin für einen der großen Choreografen, natürlich kenne ich aber viele Geschichten von Kolleginnen. Alle wissen, wie sexistisch Jan Fabre und Wim Vandekeybus sein können. Nackt-Castings sind selbstverständlich, Tänzerinnen werden als Musen betrachtet, in die sich der männliche Regisseur verlieben muss, um überhaupt mit ihnen arbeiten zu können. Da wurde lange viel entschuldigt, weil das künstlerische Genie nicht infrage gestellt wurde.

profil: Die Schweigemauer scheint gerade zu bröckeln. Holzinger: Es ändert sich hoffentlich einiges mit mehr Frauen in Leitungspositionen. Die Themen #MeToo und kulturelle Aneignung kommen mittlerweile bereits an Schulen zur Sprache. Das ist cool und notwendig. Trotzdem sollte die Bühne weiterhin ein Spielplatz bleiben, den man nicht sofort mit Moral in Zusammenhang bringt. Ich halte mich deshalb von der Korrektheitswelle eher fern. Weil ich eine Frau bin, kann ich von meinen Performerinnen Sachen verlangen, die ein Mann nie fordern dürfte.

profil: Wie feministisch ist Ihre Kunst? Holzinger: "Apollon" wurde schnell diese das Label verpasst. Was heißt feministisch? Dass man Mösen sieht? Nicht alles hat zwangsläufig mit dem Geschlecht zu tun. Das ist auch der Ansatz für die nächste Show, in der es um Geschlechtslosigkeit gehen wird.

profil: Wie reagieren Ihre Eltern auf Ihre Abende? Holzinger: Als Kinder des Wiener Aktionismus langweilt es sie eher, was ich mache. Meine Mutter ist Pharmazeutin, sie hat nur Probleme, wenn sich Performerinnen Nadeln in den Körper stecken. Ich bin sehr liberal aufgewachsen. Meine Eltern empfanden es komisch, dass meine Schwester und ich in der Sauna nie nackt sein wollten. Ihr erster Kommentar zu "Kein Applaus für Scheiße" war damals: "Du hast in der Sauna den Bikini angehabt - und jetzt machst du das auf der Bühne?!"

15 Uraufführungen und Stammgäste: die Highlights des diesjährigen Wiener ImPulsTanz-Festivals.

Florentina Holzingers "Apollon" verschränkt eine wilde weibliche Freakshow mit der Neuinterpretation des Ballettklassikers "Apollon Musagète" (1.8., Volkstheater). In der Uraufführung "Insect Train" (10. und 12.8., Odeon) untersucht sie anschließend gemeinsam mit Cecilia Bengolea das Leben von Insekten. Im Rahmen des heurigen ImPulsTanz-Festivals (12.7. bis 12.8.) gastiert daneben Altmeisterin Marie Chouinard mit einem Abend aus 30 Soli und Duetten: "Radical Vitality, Solos and Duets -Act 1 +2" (24., 26. u. 28.7., Volkstheater). La La La Human Steps-Legende Louise Lecavalier zeigt in "Battleground" ihre atemberaubende Akrobatik (7. u. 8.8., Odeon), die Amerikanerin Meg Stuart ist an drei Abenden zu sehen, und im Mumok bespielen Ja, Panik- Musiker Andreas Spechtl und Autor Thomas Köck die Ausstellungssäle mit einem "Geistertanz"-Parcours (13. und 16.7.)

Karin   Cerny

Karin Cerny