"Tyll" von Daniel Kehlmann: Der Gestank des Todes

Roman-Kritik: "Tyll" von Daniel Kehlmann

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Daniel Kehlmann, 42, ist der Lehrer, den man in der Schule gern gehabt hätte; selbst die abwegigsten historischen Stoffe bereitet er so plastisch wie spannend auf. Reales und Fiktives gehen dabei immer wieder überraschende Fusionen ein. In "Die Vermessung der Welt" (2005) erzählte der Autor von der Entstehung der modernen Wissenschaft im 19. Jahrhundert anhand einer fiktiven Doppelbiografie. In seinem neuen Buch hat sich Kehlmann erneut einen historischen Brocken vorgenommen: "Tyll" verhandelt neben dem Leben der Narrenfigur Tyll Ulenspiegel den Dreißigjährigen Krieg, den langwierigen Kampf zwischen Katholiken und Protestanten samt bluttriefender Hexenjagden.

"Game of Thrones" für Bildungsbürger

Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven: Mal kommt das exilierte Königspaar Elisabeth und Friedrich von Böhmen zu Wort, dann wieder der universalgelehrte Jesuit und Magier Athanasius Kircher, der die Pest bekämpfen will und den letzten Drachen sucht, der in Nordrhein-Westfalen vermutet wird. Tylls Leben, der als Gaukler durch die Welt zieht und beschließt, nie zu sterben, gibt den roten Faden der Erzählung vor, wobei Kehlmanns Psychologisierung der Figur einiges an Anarchie und Bösartigkeit nimmt.

Viele Namen in dem Roman klingen fiktiv, sind aber historisch verankert. Den Figuren ist gemein, dass sie mehr vom Leben erwarten, als ihnen von der Mittelaltergesellschaft zugestanden wird. Sie bewegen sich damit auf dünnem Eis: Tylls wissbegieriger Vater wird als Hexer gerichtet - Magie und Aufklärung gehen noch Hand in Hand. Trotz seiner altmodisch angehauchten Sprache ("der Bach schwoll") entwickelt der Roman beachtlichen Sog, der Todesgestank im Kriegslager von Gustav Adolf von Schweden steigt einem förmlich in die Nase. "Tyll" ist eine Art "Game of Thrones" für Bildungsbürger.

Daniel Kehlmann: "Tyll"
Karin   Cerny

Karin Cerny