Kultur

Wie TikTok die Popmusik in Österreich verändert

Die Videoplattform TikTok revolutioniert die Art und Weise, wie wir Popmusik konsumieren. Aber wie geht es Österreichs jungen Künstlerinnen und Künstlern mit der App? Ein Streifzug durch die heimische Poplandschaft.

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TikTok ist nicht nur eine der meistgenutzten Apps der Welt (über eine Milliarde Menschen verwenden den chinesischen Dienst), sie verändert auch die Art, wie wir Musik hören, auf - und wahrnehmen. Wer TikTok nur als Videomaschine für witzige Tanzmoves kennt, hat die letzten Monate im Tiefschlaf verbracht. Neue Popstars werden da innerhalb weniger Sekunden aus der Taufe gehoben, One-Hit-Wonder ebenso schnell wieder entlarvt, während sich die nächsten Schauspieltalente schon in selbstproduzierten Selfie-Clips profilieren. Aber während sich der App-Algorithmus als wichtigstes Sprungbrett für Newcomer etabliert, gibt es immer mehr Künstlerinnen und Künstler, die dieser Entwicklung skeptisch gegenüberstehen. "Wir wollen Musik machen und keinen Content für Social Media liefern", erklärte das österreichische Indiepop-Duo Cari Cari vergangenes Jahr im profil-Gespräch: "Bevor wir TikToker werden, hören wir lieber auf."

"Es gibt keine App, die so süchtig macht wie TikTok."

Sophia Blenda

Anruf beim deutschen Kommunikationswissenschaftler Marcus Bösch, der an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften zu TikTok forscht: "Man kann die Oberfläche der App mit einem einarmigen Banditen vergleichen", sagt Bösch: "Diesem Spielautomaten, bei dem immer die Hoffnung besteht, dass das, was kommt, noch besser sein wird als das, was man gerade sieht." Für Bösch ist TikTok eine Plattform, die "unglaublich viel Ohrwurmpotenzial" hat. Durch die Soundschnipsel, die einem präsentiert werden, wird der "beste Moment" eines Liedes immer wieder gehört. Die App lernt durch das Nutzungsverhalten extrem schnell, welche Songs man hören möchte, und bedient emotionale bis nostalgische Momente. Dadurch wird nicht nur Musik auf das Best-of komprimiert - auch Filmausschnitte, Musical-Snippets und Theaterstückfragmente werden online unaufhörlich wiederholt. Kunstschaffende tun gut daran, einen besonders einprägsamen Moment ihres Werks zu remixen. Muss man sich aber uneingeschränkt dem TikTok-Diktat unterwerfen? Wie gehen österreichische Pop-Hoffnungen damit um-und wie handhaben das Institutionen wie das Wiener Burgtheater? Eine Spurensuche.

"TikTok ist ein Rätsel"

"Begonnen habe ich mit TikTok, weil mir mein Label empfohlen hat, dass ich das tun sollte", erinnert sich die Wiener Musikerin Sophia Blenda. Und das in einer Lebensphase, in der sich die Künstlerin eigentlich von Social Media fernhalten wollte: "Es gibt keine App, die so süchtig macht wie TikTok. "Als Solistin ging es ihr vor allem darum, Musik zu machen, für die sie eben allein verantwortlich ist. Das spiegelt sich auch in ihren Texten wider; es geht bei der 27-Jährigen etwa um Selbstermächtigung und den weiblichen Körper als Politikum. Könnte sie mit diesen Themen auf TikTok etwas verändern? Theoretisch schon, meint Blenda, aber sie habe nun einmal das Medium Musik gewählt, um sich auszudrücken. Andererseits habe sich das Musikbusiness eben auch verändert. Für die Musikerin wirft das mindestens zwei Fragen auf: Würde sie sich auf TikTok zu sehr verbiegen-oder könnte sie ihre Musik damit vielleicht doch für ein größeres Publikum zugänglich machen?

"TikTok ist ein Rätsel", resümiert Blenda. Durch die deutsche Rapperin Nina Chuba habe sie erst verstanden, wie das TikTok-Game überhaupt funktioniere. Soll heißen: weniger Pop-Marketing, mehr Entertainment. "Wenn man auf TikTok erfolgreich sein möchte, muss man mit seiner Persönlichkeit zeigen, wer man ist. "Die Musik komme dann in einem weiteren Schritt, so Blenda, die Social Media bisher spontan und eher intuitiv genutzt hat. Kalkulierter Content funktioniert nicht: "Um auf TikTok relevant zu sein, sollte man ein richtiges Konzept haben. "Für Blenda heißt das: Führe ich einen Account, der lustig ist, auf dem Musik produziert wird-oder will ich komplexe Sachverhalte erklären? Für sich selbst hat Blenda noch nicht entschieden, wohin die Reise gehen soll.

"Ein bisschen viral"

Die Wahrheit klingt bisweilen erbarmungslos: "My management told me I should upload some TikToks and use my new single as a sound." Diesen Text blendete Oskar Haag in einem seiner letzten TikToks ein, im Hintergrund sind Tonschnipsel seiner Single "Lady Sun and Mr. Moon" zu hören, während sich Haag lässig eine Gabel mit Nudeln in den Mund schiebt. Der 17-jährige rising star aus Kärnten spielt damit auf einen essenziellen TikTok-Mechanismus an: Die kurzen Clips können mit einem sogenannten "Sound" unterlegt werden, zu dem Userinnen und User mittels eines simplen Klicks ihre eigenen Videos erstellen können. Lässt sich Haag davon beeinflussen? "Beim Schreiben denke ich gar nicht an TikTok", sagt er. "Aber ich habe mir tatsächlich schon bei ein, zwei Songs gedacht, dass da Stellen dabei sind, die auf TikTok gut gehen würden."

Und weiter: "Ein bisschen viral" gegangen sei er bisher nur mit Videos, die nichts mit seiner Musik zu tun gehabt hätten. "Eigentlich müsste ich auf TikTok mehr machen", sagt er im Gespräch mit profil. Es wäre natürlich gut, wenn Songs Aufmerksamkeit bekämen. Sein Management macht ihm derweil Vorschläge-und er bekommt beim Single-Release einen Plan, was er auf Instagram und auf TikTok posten kann: "Für einen 17-Jährigen bin ich ziemlich schlecht auf Social Media." Umso eindrücklicher performt Haag derzeit auf der Theaterbühne. Seit Dezember spielt und singt er in der Burgtheater-Produktion "Wie es euch gefällt".Auch an Österreichs wichtigstem Theater fragt man sich inzwischen: Wenn alles auf Schlüsselszenen reduziert wird-wie kann die Kunstform Theater auf der digitalen Bühne überhaupt noch bestehen?

Wäre Thomas Mann auf TikTok?

Mit Protagonisten wie Oskar Haag schafft man am Theater Anknüpfungspunkte an die aktuelle Popkultur. Das Burgtheater ist digital aber auch sonst nicht gerade untätig. Die Ende Jänner startende Inszenierung von Thomas Manns "Der Zauberberg" findet auch auf TikTok statt-wo die Userinnen und User in verschiedene Rollen schlüpfen können. Für Schauspieler Markus Meyer ein interessantes Experiment, bei dem keine Verkürzungsgefahr bestehe: "Ich glaube, das sind unterschiedliche Sphären. Auf TikTok muss man sich eben auf die Kürze beschränken, auf der Bühne hat man mehr Zeit zur Verfügung-das sind andere Zeitdimensionen, die für mich nicht in Konkurrenz zueinander stehen",sagt Meyer.

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In den Zwischenräumen, die auf TikTok entstehen, können sich auch ganz neue Perspektiven bilden, ergänzt Burgtheaterdramaturg Sebastian Huber: "In vielen Fällen sind die Sätze von Thomas Mann so lange wie ein ganzes TikTok-dieser Übersetzungsvorgang hat einen eigenen Reiz."Und Anne Aschenbrenner von "Burgtheater Digital" ergänzt: "Es ist natürlich eine Reduktion, aber vielleicht eher ein Konzentrat."

"Seelenloser Müll"

Der Rapper YUGO sieht die TikTok-Lage entspannt: Das nächste große Ding sei jetzt eben da. Widersetzen helfe da nicht, auch wenn es ihm lieber wäre, wenn es solche Apps gar nicht gäbe. "Als Konsument verliere ich mich aber selbst gern auf TikTok. "Man erreicht den Wiener Musiker mit mazedonischen Wurzeln, der eigentlich Aleks heißt, in seiner neuen Wahlheimat Berlin. Was folgt, ist ein Gespräch über seine neue "Hassliebe", weil ein Musikerleben gegenwärtig gefühlt aus 90 Prozent Social Media und zehn Prozent Musik bestehe. Vergangenen Herbst hat YUGO (bekannt wurde er unter dem Pseudonym Jugo Ürdens) nach einer Schreibblockade und dem Aus bei einer großen Plattenfirma sein zweites Album in Eigenregie veröffentlicht. Vielsagender Titel: "Das Album, das schon 2020 erscheinen sollte".

Als Texter für andere Künstler musste er erleben, wie deren Tracks von der Plattenfirma darauf abgecheckt wurden, ob diese auch TikTok-tauglich seien. Etliche Songs mussten dann entsprechend umgeschrieben werden. Die Songs werden kürzer, dazu hochgepitcht und mit eineinhalbfacher Geschwindigkeit gespielt. Mit klassischem Musikmachen, sagt YUGO, habe das nicht mehr viel zu tun. Spaß habe ihm die Arbeit trotzdem gemacht, "auch wenn es seelenloser Müll ist". Immerhin waren es nicht seine Songs. YUGO selbst plant, in Zukunft mit einer eigenen TikTok-Agency zusammenzuarbeiten: Content ausarbeiten, Zielgruppe definieren und dann Videos vorproduzieren. Außerdem will er noch vor dem Sommer sein neues Album veröffentlichen: "Sich Zeit zu nehmen, kann man sich heute nicht mehr leisten."

Macht man wirklich Musik, wenn man sie nicht auf Social Media teilt?

"Ein starker Refrain, catchy Lyrics und Tanzbarkeit waren auch schon vor TikTok das Rezept für Popsongs, die Aussicht darauf hatten, in diverse Heavy Rotations zu kommen", erklärt die Wiener Indierock-Band Dives. Durch TikTok würden diese Parameter aber noch einmal einen ganz anderen Stellenwert bekommen.

Die Musikbranche werde gerade einem tiefgreifenden Wandel unterzogen, ist sich das Trio sicher: "Ob das gut oder schlecht ist? Keine Ahnung." Tamara Leichtfried, Dora de Goederen und Viktoria Kirner wollen sich jedenfalls nicht verbiegen lassen: "Wir schreiben unsere Songs weiterhin für Live-Auftritte und Radios." Schließlich gebe es ein Leben außerhalb der sozialen Medien, auch wenn sich mitunter die Frage stelle: "Machst du wirklich Musik, wenn du sie nicht auf Social Media teilst?" Die positiven Seiten von TikTok? "Es ist cool, dass man auch mit wenigen finanziellen Mitteln Aufmerksamkeit bekommen kann. Wenn man unsere Bandhistorie betrachtet, dann waren wir immer für Do-It-Yourself und niederschwelliges Arbeiten."TikTok gibt Kunstschaffenden einerseits ein Stück Autonomie am eigenen Werk zurück; die hochstilisierte Schnelllebigkeit kann aber auch dazu führen, dass künstlerischer Arbeit künftig noch weniger Wert zugeschrieben wird.

"Auf einmal sind sie gesprungen"

Der Wiener Rapper Bibiza hat es geschafft: Sein neuer Song "Blau" ist auf TikTok viral gegangen. Dafür musste Franz Bibiza, der in seiner Musik zwischen Trap, Indierock und Austropop pendelt, gar nicht viel machen: Er hat eine Gruppe Bauarbeiter gefilmt, die auf einem Betonstahlgitter herumsprang, dazu montierte er seinen Song. Er habe "Blau" auf seinem Balkon laut abgespielt - "und auf einmal sind sie gesprungen", kommentiert der Rapper sein TikTok-Stück ironisch. Mittlerweile zählt das Video über 850.000 Views. Bibiza hat schon als Teenager begonnen, Musik zu machen; er brachte sich das Gitarrenspiel mit YouTube-Tutorials bei und produzierte seine ersten Beats im Kinderzimmer. Die Videos dazu hat er immer mitgedacht.

"Wird das ein Traum sein oder ein falsch gelegter Baustein?", stellt sich Bibiza bereits 2019 in seinem Track "305" selbst die Frage, wie es sich so anfühle, wenn man als junger Künstler für seine ersten Songs eine Menge versprochen bekommt: "Ich drop mein erstes Tape / Auf einmal will mich jedes Label featuren."

Eine letzte Frage an den TikTok-Experten Bösch: Kann man als Künstlerin oder Künstler überhaupt noch auf Social Media verzichten? Das sei schwierig, entgegnet Bösch. Das gesamte Popgeschäft habe sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert, die alten Gatekeeper-etwa Musikzeitschriften und-fernsehen-seien weggebrochen. "Heute kann man gut beobachten, dass Künstlerinnen und Künstler, die TikTok in ihr Leben integriert haben, einfach mehr Aufmerksamkeit bekommen. Nicht außer Acht lassen darf man jedoch, dass hinter einem viralen Erfolg mitunter viel Arbeit steckt. Nur im Idealfall übernimmt die eigene Community die Öffentlichkeitsarbeit auf TikTok."

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.