Autorin Vea Kaiser: "Eine einzige To-do-Liste"

Vea Kaiser im Interview: "Raubtier in Käfighaltung"

Ein Roadtrip von Wien nach Montenegro, eine Waldviertler Familiengeschichte und die Geister der Toten: Die österreichische Schriftstellerin Vea Kaiser veröffentlicht ihren dritten Roman „Rückwärtswalzer“.

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Vea Kaiser muss raus. Laufen gehen, Menschen treffen, die ersten warmen Sonnenstrahlen genießen. Auf den Termin in ihrer Schreibstube im zweiten Wiener Gemeindebezirk hat die Autorin an diesem frühlingshaften Tag Ende Februar keine Lust mehr. Zuviel Zeit habe sie in den letzten Wochen und Monate in der selbstauferlegten Isolation verbracht, sagt sie. Den Interviewtermin verlegt sie kurzerhand in ein Café in der Praterstraße. Endlich wieder unter Menschen gehen, vielleicht ein paar E-Mails schreiben, in die Luft schauen.

Dabei gibt es viel zu erzählen. Soeben ist Vea Kaisers dritter Roman „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“, eine Familiengeschichte und Roadnovel, erschienen. Eine ausgedehnte Lesereise durch Deutschland und Österreich steht an. Außerdem trainiert die 30-jährige heimische Starautorin gerade für den nächsten Halbmarathon. Ihr Ziel: Vor ihrem 40. Geburtstag will sie ihren ersten Marathon unter vier Stunden schaffen. Aber wer weiß schon, was einer Frau in ihren Dreißigern so alles passiert, sagt sie lachend. Familienplanung, Rückenschmerzen, Knieprobleme? Ein weiterer Roman sei da leichter zu meistern als die sportliche Herausforderung, meint sie. Das gehe immerhin auch mit einem kaputten Fuß.

Romane schreibt sie indes wie am Laufband. Seit 2012 ist die gebürtige Niederösterreicherin nicht aus den Bestsellerlisten, den Leseshows und Feuilleton-Seiten wegzudenken. Ihre ersten beiden Romane haben sich bis heute 250.000 Mal verkauft. Als ihr Debütroman, die knapp 500 Seiten starke Alpenprovinz-Groteske „Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam“ erschienen ist, war sie gerade mal 23 Jahre alt, steckte mitten im Studium (Altgriechisch, Latein, Germanistik) und hoffte insgeheim, nie als Lehrerin arbeiten zu müssen. Mit ihrem neuesten Streich sitzt sie jetzt ohnehin gleich bei der ersten Ausgabe von „Gottschalk liest?“, der neuen Literaturshow des TV-Entertainers. Die weiteren Gäste: Ferdinand von Schirach und Sarah Kuttner.

Das Leben als Autorin ist für Vea Kaiser indes immer noch ein absurder Beruf. Auf der einen Seite lebt man in kompletter Zurückgezogenheit, jeden Tag, oft sieben Tage die Woche. Ihr Hund dient ihr dabei als Anti-Einsamkeits-Medizin. Wenn der Roman dann endlich veröffentlicht ist, kehrt sich alles um, sagt sie. Man gibt jeden Tag Interviews, geht auf Lesereise, steht im Rampenlicht und in der Öffentlichkeit. Für Kaiser ist das der leichtere Teil der Arbeit: „Da freue ich mich wie ein Zirkuspony, das endlich wieder ausgeführt wird.“

Bevor es für Vea Kaiser wieder weitergeht, bleibt noch Zeit klärende Gespräch.

profil: Sie veröffentlichen jetzt Ihren dritten Roman. Wird das Schreiben mit der Zeit einfacher oder schwerer? Kaiser: Das erste Buch war nicht das Problem. Das schreibt man so nebenbei, weil man ohnehin nicht weiß, ob das was wird. Mit Anfang Zwanzig war ich jung, voller Energie und wollte unbedingt als Autorin reüssieren. Ich hatte auch kein Problem, bis spät in der Nacht fortzugehen, nur vier Stunden zu schlafen und dann vor der Uni noch an meinem Buch zu schreiben.

profil: Kann man Erfolg planen? Kaiser: An meine Arbeit muss ich richtig beamtisch rangehen, sonst wird das nichts. Mein ganzes Leben ist eine einzige To-do-Liste. Ich plane nicht nur die Woche, sondern auch meine Lebensabschnitte. Was passiert vor der Lesereise, was passiert während der Lesereise – und was danach.

profil: Haben Sie sich Ihr Leben als Schriftstellerin so vorgestellt? Kaiser: Das ist ein großes Missverständnis des Universums. Ich brauche diese Struktur. Für die Selbstständigkeit, für ein künstlerisches Dasein, bin ich eigentlich nicht gemacht. Da ich dieses stabile Umfeld nicht habe, kreiere ich es mir einfach selbst. Sonst würde ich verloren gehen.

profil: Wie viel Druck spüren Sie vor einer Veröffentlichung? Kaiser: Mit dem zweiten Buch musste ich jedem beweisen, dass ich keine Eintagsfliege bin – vor allem auch mir selbst. Beim neuen Buch hatte ich ziemlich lang Startschwierigkeiten. Ich habe begonnen mir regelmäßige Arbeitszeiten einzurichten. Internet gibt es in meiner Schreibstube nicht. Da sitze ich dann von den frühen Morgenstunden bis zirka 16 Uhr – und am Abend geht es pünktlich ins Bett.

profil: Dient die Schreibstube der Selbstdisziplin? Kaiser: Zum Arbeiten wurde ich von meinem Mann aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Da gehe ich ihm zu sehr auf die Nerven. Wie kann man sich das Schreiben vorstellen? Von acht Stunden Arbeitszeit schreibt man vielleicht eine halbe Stunde. Die restliche Zeit schaut man den Bildschirm an. Man sortiert die Wäsche, läuft mit dem Staubsauger durch die Wohnung und ordnet den Kasten. Da bin ich wie ein Raubtier in Käfighaltung – immer kurz vorm Durchdrehen.

In ihrem dritten Roman „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ holt Vea Kaiser nun zur großen Fabulierkunst aus. Über mehrere Jahrzehnte spannt sie ihre Familiensaga, erzählt auf 432 Seiten von einer Familie aus dem niederösterreichischen Waldviertel, von drei Schwestern, die gelernt haben, mit einem Geheimnis zu leben, von Bärenforschern am Balkan und von den großen und kleinen Enttäuschungen des Lebens. Bei Vea Kaiser wird aus dem Familienepos aber schnell eine aberwitzige Roadnovel. Der letzte Wunsch des verstorbenen Onkels soll erfüllt werden. Der leidenschaftliche Rapid-Fan mit dem schwachen Herzen wollte immer in seiner Heimat Montenegro beerdigt werden. Mit einem Fiat Panda geht es also von Wien-Liesing auf eine 1029 Kilometer lange Reise bis nach Montenegro. Zurückgelassen wird bei Vea Kaiser niemand, soviel ist klar.

Thematisch war es ihr bisher schwierigstes Buch, sagt sie: „Es geht um einen Todesfall, um die Geister der Vergangenheit, um Endlichkeit im Allgemeinen.“ Emotional habe sie das Schreiben sehr aufgewühlt.

profil: Warum das Thema Endlichkeit? Kaiser: Eigentlich wollte ich nach meinem zweiten Roman ein Sachbuch über die griechische Antike schreiben – so ein schönes Coffee-Table-Buch, das man seinen Verwandten schenken kann. Ende 2016 sind dann innerhalb von nur zwei Wochen drei Menschen gestorben, die mir sehr nah waren. Das hat mich völlig aus der Bahn geworfen, die Prioritäten haben sich verschoben. Da ist mir bewusst geworden, dass das Leben eben nicht nur aus Jux und Tollerei besteht. Diese Auseinandersetzung mit der Endlichkeit hat dann auch den Roman geprägt.

profil: In Ihrem Roman machen sich drei Tanten mit ihrem Neffen und einem Verstorbenen auf den Weg nach Montenegro und müssen dabei einige Grenzen überwinden. Wie haben Sie die Recherche zu Ihrem Buch erlebt? Kaiser: Ich bin die Strecke insgesamt drei Mal gefahren. Und dabei ist diese Reise erschreckend unspektakulär, was mir für meinen Roman nicht wirklich geholfen hat. Montenegro ist dafür ein wirklich faszinierendes kleines Land. Meine beste Freundin hat montenegrinische Wurzeln – aber sie selbst war noch nie dort. Sie haben den Euro, obwohl sie nicht zur Währungsunion gehören. Sie sind Europameister im Zigarettenschmuggel, das illegale Glücksspiel grassiert und die Mafia kontrolliert fast alles.

profil: Neben dieser Reiseroute setzen Sie ihrem Lieblingsverein Rapid Wien ein Denkmal. Kaiser: Ich bin ja leidenschaftlicher Fußball-Fan. Diese Fan-Kultur ist ja wirklich schön. Mit Rapid Wien wollte ich ein Statement setzen – das war mir schon wichtig, dass diese Leidenschaft einen Platz im Buch findet.

profil: Suchen Ihre Leser in den Romanen nach der realen Person Vea Kaiser? Kaiser: Ich habe immer gedacht, dass es für die Leser klar sein muss, dass das was in Romanen passiert, nicht alles erlebt sein muss. Interessanterweise suchen die Menschen immer nach der Person dahinter, nach den Wahrheiten, nach den erlebten Dingen. Mir ist es auch schleierhaft, warum Autorinnen und Autoren als gesellschaftspolitische Kommentaren herhalten müssen. Auf der anderen Seite wird Politikern, Ärzten und Journalisten, die der Vermittlung der Wahrheit dienen sollen, immer weniger geglaubt. Das ist doch pervers.

Vea Kaiser ist eine Publikumsautorin im besten Sinne. Wie keine zweite heimische Schriftstellerin schafft sie die Balance zwischen E- und U-Literatur, wie es die „Neue Zürcher Zeitung“ bereits bei ihrem zweiten Roman treffend formulierte. So darf auch bei „Rückwärtswalzer“ eine Art von Happy End, soviel darf hier verraten werden, nicht fehlen. „Ich mag halt versöhnliche Enden“, sagt Kaiser, auch wenn man in diesem Buch einen hohen Preis dafür zahlen muss. „Vielleicht ist es auch einfach ein Ausdruck des unüberwindbaren Optimismus der Autorin“, meint sie noch. In dieser Hinsicht sei sie eben total unösterreichisch.

Nach zwei Stunden Gespräch springt die Autorin auf, entschuldigt sich noch, aber sie müsse laufen, zum nächsten Termin. Von Müdigkeit keine Spur. Vea Kaiser ist gerade erst mal warmgelaufen.

Vea Kaiser - Rückwärtswalzer
Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.