Welpe und Welle: Der neue Roman von Nick Hornby

Nick Hornby zählt zu den bekanntesten britischen Schriftstellern. In seinem neuen Roman arbeitet er sich vergebens an seinen alten Themen ab. Vom Scheitern in fünf Kapiteln.

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Nick Hornby, 63, liebt Listen. Ein guter Teil seines Erfolgs beruht auf der Welt als Tabelle und Vorstellung: In seinem frühen Roman "High Fidelity" (1995),der von Stephen Frears verfilmten Geschichte des Plattenladenbesitzers Rob und dessen Liebesnöten, werden etwa die "ewigen Top Five" von Robs "unvergesslichsten Trennungen" und die "fünf besten Stücke auf der ersten LP-Seite" angeführt. 2003 legte der Schriftsteller, Jugend-und Drehbuchautor die Best-of-Compilation "31 Songs" in Listenform an. "Just Like You",Hornbys jüngstes Buch, hält auf dem inzwischen auf acht Titel angewachsenen Roman-Index des Briten qualitativ allerdings keine Spitzenposition. Ein Mahnruf in fünf Abschnitten.
 

1. Tanz den Groult!

Es müssen nicht immer Bildungsbürgerin und Fischer im schmerzensreichen Spiel zweier Herzen zueinanderfinden! Hornby modifiziert in "Just Like You" Benoîte Groults Prosarührstück "Salz auf unserer Haut":Der Fleischereigehilfe Joseph, 22, trifft bei Hornby in einem farblosen London zur Zeit des Brexit-Referendums auf die zartbesaitete Lehrerin Lucy, 42. Ein geglückter Tag setzt sich für Joseph aus Fußball, Fast Food, Xbox und Handybildschirmwischen zusammen, während Lucy der Quasireligion Ernährung huldigt, Shakespeare liebt und Thomas Hardy liest. Joseph ist von schwarzer, Lucy von weißer Hautfarbe. Von Hornby als funkensprühendes Aufeinandertreffen kerniger Gegensätze im Schatten politischer Disruption (Brexit!) konzipiert, versandet der Roman bald in gepflegter Langeweile und Biedersinn. Joseph und Lucy porträtiert der Autor, als wären sie das erste Paar mit Altersunterschied überhaupt, als jungen Adam und reife Eva. "Raubgierige und verblendete ältere Frau",empört sich Hornby moralinsauer. Man weiß nie genau, wie viel Ironie in Hornbys Sätzen steckt. Der vom Schriftsteller in vielen seiner Bücher angekurbelte Erzählmotor, mit dem er scheinbar Wesentliches im unaufgeregten Ton des Beiläufigen mitzuteilen versteht, stottert und knirscht.
 

2. Nummernrevue forever!

Joseph und Lucy sind süchtig nach der US-Mafiaserie "Die Sopranos"-und nach Sex. Durch Hornbys Zahlenfaible lässt sich indirekt ziemlich genau errechnen, wie häufig Joseph und Lucy intim werden: "In einem anderen Beziehungsstadium hätten sie eine Folge nach der anderen geschaut. Aber sie hatten immer nur Zeit für eine." 86 Folgen umfasst die "Sopranos"-DVD-Box.
 

3. Sätze-Nirwana!

Man muss in "Just Like You" nicht allzu lange suchen, um über Nonsens-Sätze für die Ewigkeit zu stolpern. Zum Beispiel das Phänomen der Partykonversation nach Nick Hornby: "Sie war eher wie ein Sofa, das die Form des Hinterns erspürte und sich daran anpasste."Erkenne dich selbst und die anderen-leicht gemacht: "Sie sah sich die Gesichter an, versuchte zu erraten, ob irgendwer von ihnen für den Brexit gestimmt hatte, und kam zu dem Schluss, dass das schwer zu sagen war." Später thematisiert Hornby wieder einmal die Altersdifferenz zwischen Joseph und Lucy, diesmal in felliger Verpackung: "Er würde ihr noch sehr lange Dinge anschleppen wie ein Welpe, und sie konnte ihm nur den Bauch kraulen und ihm sagen, brav gemacht, bis er ein alter Hund war, dem man nichts beibringen konnte." Höhere Mathematik wird in "Just Like You" ebenfalls geübt: "Multiplizierte man einen jungen schwarzen Mann mit einer weißen Frau, war das Ergebnis, wenn es nach der Polizei ging, immer ein junger schwarzer Mann." Schließlich Botschaften aus der Steinzeit: "Sie war hübsch, ruhig, klug, und ihre Klugheit kam auch nicht von der Brille, die sie trug. Beziehungsweise hielt er sie nicht nur für klug, weil sie eine Brille trug."
 

4. Surf die Pop-Welle!

Hornby gilt als Pop-und Unterhaltungsliterat-siehe "About a Boy" (1998) und "Slam" (2008).In "Just Like You" erwähnt der Autor die Namen von Sandra Bullock, Lenny Kravitz, Michelle Obama, Donald Trump, Boris Johnson und Bill Clinton, er müht sich, mit angestaubtem Charme von Josephs Adoleszenz zu erzählen: Die Entdeckung des DJ-Namens "Massive Genius" für den Nebenerwerbsmusiker rückt Hornby gefühlt in die Nähe eines mittleren Elementarereignisses. Als Papierfiguren, die durch diesen Roman rascheln, gewinnen weder Joseph noch Lucy Kontur. Der popkulturelle Schwung? Verpufft. "Just Like You" wirkt wie eine zwanghaft auf Romanlänge gestreckte Kurzgeschichte. Dass Hornby Letztere erzählen kann, hat er in dem Band "Small Country" mit witziger, einnehmender Boulevardschriftstellerei gezeigt. In "Just Like You", einem Roman wie ein faul montiertes Drehbuch, flüchtet sich Hornby in plakative Oppositionen und wackelig gezimmerte Weisheiten. Er bohrt dünne Bretter mit viel gespielter Gravität.
 

5. Exit Brexit

Warum kompliziert, wenn's auch einfach geht. "Es gab Gläubige und Nichtgläubige, und auf beiden Seiten gab es Verrückte, die marschierten und brüllten", hält Hornby über die Brexit-Abstimmung 2016 fest: "Und man konnte nie beweisen, dass man recht hatte und ein anderer unrecht."In der Wahlzelle kreuzt Joseph auf dem Stimmzettel das Ja-und das Nein-Kästchen an: "Sind wir nicht sowieso alle am Arsch?"

Nick Hornby: Just Like You. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer& Witsch, 381 S.,EUR 22,70

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.