Ein Glücksfund aus den frühen 1930er-Jahren: „Abschied“
Liebe in Zeiten anbrechenden Dunkels kann schnell zerbrechen. Raimund, ein Jurist in Ausbildung, besucht seine Wiener Geliebte Teddy in Paris. Februar 1931. Tage der Sorglosigkeit und Lebenslust, während das Gift des Nationalsozialismus in Gesellschaft und Freundschaften tröpfelt. „Ich hatte mir viel von dieser Reise versprochen“, räsoniert Raimund. „Was eigentlich alles? Wahrscheinlich Wunder.“ Ende der Liebe und Beginn einer globalen Katastrophe, aufgeschlüsselt vom Historiker Sebastian Haffner (1907–1999) in seinem Roman „Abschied“, der vor über 90 Jahren entstand und jetzt erstmals veröffentlicht wird.
Haffner nahm an, dass sich Geschichte immer auch als Privatgeschichte vollziehe: Welthistorie als Mikro-Ereignis. Man muss in der Literatur lange suchen, um solch ein labiles Ungleichgewicht der Liebe und des Lebens vor aufziehendem Weltuntergang zu finden. Fräulein Gault, die Herren Andrews und Horrwitz, der Bayer, in Raimunds Augen ein beträchtlicher Idiot, sowie ein Filou namens Franz Frischauer, der nach hochprozentiger Lokaltour ohne Hosen in kaltem Brunnenwasser erwacht: Das ist die Pariser Freundesgruppe, eine Clique früher Auswanderer, verkrachter Schöngeister und abgestürzter Existenzen, in der sich auch Raimund und Teddy tummeln, dabei für kurze Zeit regelrecht im Glück schwimmen: „Ja, das Gefühl des Fischs, der wieder ins Wasser geworfen wird: Wie es in die Lunge schießt, wie es über die Haut spült, gut und lau und heimatlich!“ Im Hintergrund schleicht derweil Hitlers Diktatur heran, kleine Schritte führen ins Böse. Die Franzosen, witzelt einer aus der bunten Truppe ohne nachzudenken, seien eben doch der „Erzfeind“: „Ich werd ja noch mal Paris hübsch zerschießen. Mit Flammenwerfern.“ Hoffentlich, redet er weiter ins Blaue, gebe es bald einen Feldzug gen Westen. „Ich möchte gleich Krieg gegen Frankreich führen, aber so richtig, mit Gift und Galle. Ich möcht mit Maschinengewehren schießen. Oder, was gibts denn noch? Gasbomben.“ Erst wird gesagt, dann wird getan.