Meinung

Abtreibungsgesetze in den USA: Verbieten schien so leicht

Was wurde eigentlich aus den Abtreibungsverboten in den USA? Sie werden staunen.

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Als der Oberste Gerichtshof der USA am 24. Juni 2022 das Recht auf Abtreibung aufhob, warf er die Frauenrechte mit diesem Urteil um fünf Jahrzehnte zurück. So lange hatte der Richtspruch im Fall „Roe gegen Wade“ gegolten, und jede Frau in den Vereinigten Staaten hatte das verfassungsgemäß garantierte Recht gehabt, ihre Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Die Abtreibungsgegner jubelten. Ab sofort hatten die Gesetzgeber in den einzelnen Bundesstaaten die Möglichkeit, Abtreibungen gänzlich zu verbieten.

Zunächst passierte genau das. 15 Bundesstaaten setzten Verbote in Kraft, die Abtreibungen unter fast allen Umständen unter Strafe stellen, zwei weitere beschränkten die Frist, innerhalb der ein Schwangerschaftsabbruch legal ist, auf sechs Wochen nach Schwangerschaftsbeginn. Wenig überraschend handelte es sich bei diesen Bundesstaaten um „Red States“, also um solche, in denen unangefochten die konservativen Republikaner regieren.

Doch der vermeintliche Siegeslauf der „Pro-Life“-Bewegung, wie sich die Abtreibungsgegnerinnen und -gegner nennen, geriet rasch ins Stocken. Und zwar erstaunlicherweise auch in manchen „Red States“: in Kentucky etwa, wo seit dem Jahr 2000 der jeweilige Präsidentschaftskandidat der Republikaner siegte und bei der Wahl 2020 Donald Trump stattliche 62 Prozent erzielte. Die Wählerschaft von Kentucky stimmte in einem Referendum darüber ab, ob in der Verfassung des Bundesstaates festgehalten werden solle, dass es kein Recht auf Abtreibung gebe. Nein, votierte die Mehrheit.

Weitere Niederlagen setzte es für Abtreibungsgegner in den ebenfalls republikanisch regierten Bundesstaaten Kansas und Montana.

Der Furor der radikalen Aktivisten und Politiker, die Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen – also sogar im Fall von Vergewaltigung oder Inzest – verbieten wollen, hat der „Pro-Life“-Bewegung insgesamt einen üblen Ruf eingebracht. Ein solches Totalverbot ist in der Bevölkerung gänzlich unpopulär. In einer landesweiten Umfrage des Instituts Gallup sprechen sich nur noch 13 Prozent dafür aus, noch vor drei Jahren waren es 21 Prozent. Hingegen wollen 69 Prozent ein Recht auf Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten.

Jahrzehntelang war der Ruf nach einem Ende des liberalen Abtreibungsrechts ein Wahlschlager der rechten Republikaner. Jetzt, wo Abtreibungen im halben Land nur noch schwer oder gar nicht möglich sind, stehen die republikanischen Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten betreten da und wissen nicht recht, welche Position sie einnehmen sollen. Versprechen, dass sie sich für weitere Verbote einsetzen, obwohl die Mehrheit dagegen ist?

Die USA sind lange nicht so reaktionär, wie es das Triumphgeheul der Abtreibungsgegner vermuten ließ. 

Damit würden sie Frauen ein Recht nehmen, das diese auch jetzt in Anspruch nehmen – und zwar in steigender Zahl. Das Guttmacher Institute, eine Forschungseinrichtung, hat erhoben, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in den 36 Bundesstaaten, in denen Abtreibungen noch legal sind, mehr Abtreibungen vorgenommen wurden als im Vergleichszeitraum des Jahres 2020 in allen 50 Bundesstaaten – 511.000 gegenüber 465.000. Frauen reisen offensichtlich in andere Bundesstaaten, wenn die Abtreibung im Heimatbundesstaat verboten ist.

Wahltaktisch kann man also sagen: Der Coup der Konservativen im Supreme Court war ein Eigentor.

Doch das Recht auf Abtreibung ist zu bedeutsam, um es auf ein Argument für den Wahlkampf zu reduzieren. Wie können die beiden Parteien in den USA einen vernünftigen Konsens in der Abtreibungsgesetzgebung finden?

Nikki Haley, Präsidentschaftskandidatin der Republikaner, hat diese Frage zu einem der Themen ihres Vorwahlkampfs gemacht. Die ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen war immer eine „Pro-Life“-Politikerin, doch jetzt hat sie erkannt, dass ihre Partei sich bewegen muss.

Tatsächlich gäbe es eine Option, auf die sich moderate

Abtreibungsgegner und Abtreibungsbefürworter einigen könnten – die Fristenlösung. Doch noch hakt es auf beiden Seiten. Unter den Republikanern finden sich Hardliner, die eine Frist bei sechs Wochen setzen wollen. Nikki Haley spricht sich dagegen aus, „Frauen zu kriminalisieren“, und will eine 15-Wochen-Frist. Für die Demokraten wiederum ist jede Regelung, die weniger liberal ist als das bis Juni 2022 geltende uneingeschränkte Recht auf Abtreibung, ein inakzeptabler Rückschritt.

Aus österreichischer Sicht hat sich die Fristenlösung (bis zur 14. Schwangerschaftswoche) als Kompromiss bewährt, doch die Ausgangslage in den USA ist eine andere. Was in Österreich von Frauenrechtlerinnen hart erkämpft wurde, würde in den USA als restriktive Maßnahme empfunden.

Doch der Weg ist vorgezeichnet. Die USA sind lange nicht so reaktionär, wie es das Triumphgeheul der Abtreibungsgegner nach dem Supreme-Court-Urteil vermuten ließ. Auch konservative Wählerinnen und Wähler wollen ein vernünftiges Gesetz, und die Republikanische Partei wird am Ende einsehen müssen: Dogmen taugen nicht für den Alltag.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur