Leitartikel

Christian Rainer: Angriff als Verteidigung

Über den Umgang der Türkisen mit Justiz und Medien.

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Disclaimer: Als ich am Freitagnachmittag die ersten Zeilen dieses Textes schrieb, rief mich ein Regierungsmitglied an. (WhatsApp und SMS sind als Kommunikationsmittel derzeit ja eher verpönt.) Auf meine Frage, ob man in der Volkspartei der Meinung sei, dass die Stimmung im Lande kippe und sich mehr und mehr gegen Kanzler und Konsorten richte, antwortete jener Politiker: Er (generisches Maskulinum) finde, angesichts von Corona seien all die Troubles rund um Hausdurchsuchungen bei Ministern, Ermittlungen gegen Verfassungsrichter, Suspendierungen von Spitzenbeamten, Leaks an Journalisten doch von vernachlässigbarer Dimension.

Mein Plan war und ist es allerdings noch immer, genau darüber hier zu räsonieren.  Vernachlässigbare Dimension? Ich denke nicht. Corona wird gehen, der Umgang der Mächtigen mit der ihnen verliehenen Macht wird bleiben.

Worum geht es? Das ist deshalb so schwer zu erklären, weil wir mit mehreren – dem Anschein nach bestenfalls lose zusammenhängenden – Sachverhalten konfrontiert sind. Die wahre Natur dieses Zusammenhangs zu verschleiern, ist freilich beabsichtigt.

Auf der einen Seite steht die Volkspartei. Sie ist unter Druck geraten. Die Justiz ordnet eine Hausdurchsuchung beim türkisen Finanzminister an. Pech auch: In einer ganz anderen Causa werden kurz darauf Ermittlungen gegen einen ehemaligen VP-Vizekanzler, Justizminister und amtierenden Verfassungsrichter eingeleitet. Weil das eben so kompliziert ist, erklärt die zur Verteidigung ausrückende VP-Justizsprecherin irrtümlich, dieselbe (böse) Behörde sei für diese Amtshandlungen zuständig. Tatsächlich ist in einem Fall die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft befasst, im anderen die Staatsanwaltschaft Wien.

Damit es für die Öffentlichkeit noch komplizierter wird, damit man den Geschehnissen in der Folge einen eigenen Spin geben kann, verfolgt die Volkspartei auch noch eine kommunikative Doppelstrategie: Während Kanzler und Klubobmann die Justiz angreifen, lobt der Finanzminister die WKStA und verspricht volle Kooperation. (Und damit es noch schwieriger wird, ist die zuständige Justizministerin in Babypause und wird vom in der Materie überforderten Vizekanzler vertreten.) Über diese Geschehnisse berichten die Medien – oft das profil – breit, zeitnah, bisweilen sogar, bevor die Betroffenen davon erfahren.

Glauben Sie, liebe Leserinnen und Leser, dass die Volkspartei das alles emotionslos und voller Gleichmut gegenüber Justiz und Journalisten hinnimmt? Ich glaube nicht.

Auf der anderen Seite steht daher wieder die Volkspartei. Innerhalb weniger Tage macht die Partei eine Fülle bemerkenswerter Vorschläge, lässt auch interne Überlegungen an die Öffentlichkeit geraten. Die WKStA wird kritisiert, ihre Zerschlagung ventiliert. Der Bundesstaatsanwalt hat plötzlich Priorität, eine Einrichtung, welche die Konservativen über Jahrzehnte abgelehnt hatten. Abweichende Mindermeinungen – Dissenting Opinions – bei Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes sollen in Zukunft publiziert werden. Schließlich: Die Volkspartei will Journalisten das Zitieren aus Ermittlungsakten verbieten, unsere Arbeit – und passgenau unsere Arbeit der vergangenen Wochen – will sie unter Strafdrohung stellen.

Zufall? Natürlich nicht. Die Volkspartei verteidigt sich durch Angriff. Sie attackiert mit Justiz und Journalisten zwei Säulen der Demokratie. Sie macht die Justiz an allen Fronten schlecht, um von der Heimfront abzulenken. Die Medien müssen einen Maulkorb verpasst bekommen, damit der Politik in der Zukunft nichts Vergleichbares wieder passieren kann – und weil die Öffentlichkeit den Eindruck bekommen soll, dass wir in der Gegenwart im Unrecht waren. Dieses Prozedere unterscheidet sich von Anlassgesetzgebung. Anlassgesetzgebung kann sinnvoll sein. Hier geht es ausschließlich um Gesetzgebung im eigenen Interesse.

Zerschlagung der WKStA, Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts, Veröffentlichung von Dissenting Opinions, Einschränkung des Zitierens aus Ermittlungsakten? Ich weigere mich aus Prinzip, hier und in dieser Woche darüber zu befinden, was davon sinnvoll ist und was nicht. Die  Vorschläge haben nicht nur ein Geschmäckle, einen Beigeschmack. Mit diesem Pedigree stoßen sie sauer auf. Sie sind anrüchig. Man diskutiere ein anderes Mal darüber!

Erlauben Sie mir, auf den restlichen Zeilen lieber Folgendes anzumerken: Die Volkspartei vermutet eine parteipolitische Agenda der Staatsanwaltschaft. Nicht anders will man sich etwa erklären, warum eine Hausdurchsuchung beim Finanzminister durchgeführt wurde. Das verbindet Justiz und Medien zusätzlich: Politiker spekulieren ständig, dass journalistische Arbeit einen politischen Hintergrund habe, dass wir selbst von Nähe oder Distanz zu einer Partei getrieben seien, dass unsere Informanten Politik machen wollten. Das ist Unsinn. Honi soit qui mal y pense. Das Prinzip Unabhängigkeit ist Politikern offensichtlich nicht zumutbar.

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.