Leitartikel

Christian Rainer: Es könnte nicht besser laufen

Zwischen Blümel und Platter. Mit ihrer Hybris verhagelt sich die Politik die Bilanz des Möglichen. Niedrige Gefühle in höchsten Ämtern.

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Gernot Blümel also. Nach dem Wortlaut der Verfassung hätte der Bundespräsident das Bundesheer auf- und im Finanzministerium einmarschieren lassen können, um die Herausgabe der vom Ibiza-Ausschuss angeforderten Unterlagen zu erzwingen. Die Verfasser des Grundgesetzes hatten zwar andere Sachverhalte im Auge, als sie jene Sondervollmachten des Staatsoberhauptes formulierten – wohl hart am Zusammenbruch der demokratischen Verhältnisse. Daher wären im konkreten Fall auch gelindere Mittel ausreichend gewesen. Tatsächlich hat der öffentliche Druck gereicht, damit gegenständliche Berge an Papier „unverzüglich und vollumfänglich“ geliefert wurden. Aber im kollektiven Gedächtnis der Republik wird die Vorstellung von schwerbewaffneten Männern in grünen Uniformen vor dem Amtsgebäude in der Wiener Himmelpfortgasse erhalten bleiben.

Disclaimer: Die Redaktion war am vergangenen Freitag unschlüssig, ob, und wenn ja, in welcher Form, wir die außergewöhnlichen Vorkommnisse rund um den zögerlichen Vollzug des höchstgerichtlichen Willens noch ins Blatt bringen würden. Bisweilen bietet sich der Leitartikel da als eine Notlösung an. In diesem Fall passte Blümel allerdings gut in die Planung.

Denn mein Plan war es gewesen, über die Hybris in der Politik zu schreiben. Anlass dafür war mir ein anderes, nachgerade groteskes Ereignis im Lauf der vergangenen Woche. Der Tiroler Landeshauptmann hatte sich und einige Getreue  vor den ORF-Kameras in einem Setting der 1960er-Jahre arrangiert, um den überraschenden Rücktritt einer Landesrätin und eines Landesrates zu erklären. Günther Platter charakterisierte den Kollaps seines halben Teams mit dem erstaunlichen Satz: „Es könnte eigentlich nicht besser laufen.“ Das bewog mich, darüber nachzudenken, was denn im Land eigentlich wirklich schlecht läuft. Dabei hatte mich schon einer der beiden Zurückgetretenen auf die richtige Fährte gebracht. Es handelte sich nämlich just um Bernhard Tilg. Das ist jener Gesundheitslandesrat, der die Causa Ischgl vor Jahresfrist so charakterisiert hatte: „Die Tiroler Behörden haben alles richtig gemacht.“ In den Wochen vor dieser Aussage war Stück um Stück klar geworden, dass Tausende Corona-Infektionen weltweit ihren Ursprung in dem Tiroler Skiort genommen hatten.

Zweiter Disclaimer: Als ich begann, diesen Text zu schreiben, hatte ich die Wortbedeutung von „Hybris“ gegoogelt (dritter Disclaimer: um Wortwiederholungen zu vermeiden). Das Ergebnis war: „Hochmut; Vermessenheit; Überheblichkeit“. Diese drei Worte treffen doch präzise, welche Probleme ich und mit mir ein Gutteil der Journalisten, aber auch andere sogenannte Eliten im Lande mit der Regierung (auch der Tiroler) haben: Es zeugt von Hochmut, sich den Anordnungen des Verfassungsgerichtshofes zu widersetzen. Es ist vermessen, der Bevölkerung eine Regierungskrise in Innsbruck als „könnte nicht besser laufen“ zu verkaufen. Und diese Verortung lässt sich auf vieles andere übertragen, was wir in letzter Zeit zu hören und zu sehen bekamen.

Wenn etwa der Bundeskanzler wiederholt erklärt, dass er keine Fehler macht, dann ist das überheblich. Wenn Sebastian Kurz meint, man solle mangelhafte Gesetze hinnehmen, da sie bei der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof ohnehin nicht mehr in Gültigkeit stehen würden, dann hebt er sich quasi bildhaft (wenn nicht sogar ideologisch) über den Rechtsstaat. Und wie im Brennglas stellen die WhatsApp- und SMS-Chats, die jüngst öffentlich wurden, diese Hybris bloß. Wenn man seinen Kanzler „liebt“, sich selbst als personalisierte „Schmid AG“ bezeichnet, jemandem „bekommst eh alles, was du willst“ verspricht, wenn man Expertinnen als „gut steuerbar“ und als „nervende Weiber“ abkanzelt, und wenn das alles auch noch mit einem Schwall von Emojis aufgeladen wird, dann zeugt das von niedrigen Gefühlen in den höchsten Ämtern.

Schade eigentlich. Politiker im Jahr 2020, das ist ein Jobangebot, das jeder ausschlagen würde, könnte er die Zukunft lesen. Es gab nichts zu gewinnen und alles zu verlieren: die eigene Gesundheit, Reputation, das Vertrauen der Bevölkerung, die nächste Wahl. Ich stehe nicht an, zu sagen: Angesichts der ungeheuren Aufgabe, die Pandemie in Schach zu halten, haben Politik und Verwaltung vieles gut gemacht; im Rückblick wird die Bilanz des Möglichen positiv ausfallen. Mit ihrer Attitüde hat die Regierung sich diese Bilanz aber verhagelt. Es hätte besser laufen können.

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.