Leitartikel

Christian Rainer: Impfpflicht ist Bürgerpflicht

Wer sich verweigert, ist unsolidarisch und gefährdet die Gesundheit der Mitmenschen. Darf man das endlich aussprechen?

Drucken

Schriftgröße

Möglicherweise wird allein der Titel dieses Kommentars einen Shitstorm nach sich ziehen, samt Drohungen gegen meinen Leib und mein Leben. I don’t care: Denn die Diskussion über die Corona-Impfung ist in riskante Schieflage geraten.

Die Covergeschichte der aktuellen Ausgabe beschäftigt sich mit der Frage, wann welcher Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird, in Österreich, europaweit, global. Wurde sinnvoll bestellt und eingekauft, wird ausreichend produziert und verteilt? Entspricht das Angebot also schnell genug der Nachfrage, um die Pandemie einzudämmen, bevor weiterer Schaden an Gesundheit und Ökonomie entsteht – möglicherweise auch, bevor durch eine Mutation des Virus aus dem exponentiellen Wachstum eine Explosion wird. Mit dieser Tiefe und Breite wurde das in Österreich bisher nicht recherchiert und dargestellt.

Die andere Seite der Geschichte ist allerdings: Wird nach den ersten Monaten, in denen der Impfstoff Mangelware bleibt, wird zu Ende 2021 die Nachfrage für die Vakzine groß genug sein? Oder anders: Werden sich genügend Menschen impfen lassen, damit wir uns von den Fesseln dieser Seuche befreien können? Ich zweifle. Und wenn sich meine Zweifel bewahrheiten, wird die Freiwilligkeit der Impfung nicht ausreichen, um uns die Freiheit zurückzugeben.

Die Geschichte des Coronavirus wird von uns als eine chaotische Entwicklung entlang der Zeitachse des Jahres 2020 und bis heute wahrgenommen. Unvorhergesehene Ereignisse – von den frühen Infektionen in Wuhan über Ischgl bis zu jenem neuen britischen Erreger – werden mit tauglichen und untauglichen Versuchen, mit trial and error bekämpft; das Chaos muss immer wieder aufs Neue aussortiert werden.

Parallel zu dieser Abfolge von greifbaren Ereignissen erleben wir aber auch eine Evolution des Mindsets der Menschen, die immer aufs Neue Monstermutationen hervorbringt. So gilt und galt es, jene in die Schranken zu weisen, die das Virus für inexistent halten. Zu den Leugnern gesellten sich früh die Verschwörungstheoretiker. Sie sprechen von militärischen Geheimlabors, biologischen Waffen und implantierten Chips. Die softe Variante dieser Hirngespinste: Covid-19 töte nicht, die Intensivbetten wären niemals ausgelastet gewesen, Herdenimmunität sei die Lösung (und nächtliches Gurgeln mit einem Knoblauchsud bewahre vor der Erkrankung).

All diese Irrlichter des menschlichen Geistes haben Wissenschafter, Medien und Politiker seit fast einem Jahr zu löschen versucht. Man ist ihnen mit Geduld und dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entgegengetreten.

Aber irgendwann wird sich das Mittel der geduldigen Erklärung erschöpfen. Der aktuelle und vielleicht gefährlichste Irrglaube: Die Corona-Impfung ist nicht notwendig, und sie macht krank. Daraus zieht laut Umfragen die Hälfte der österreichischen (aber auch der deutschen) Bevölkerung den Schluss, dass man sich nicht impfen lassen wolle. Wohlgemerkt handelt es sich bei dieser Impfung um das Mittel, das seit einem Jahr als einzige Möglichkeit bezeichnet wird, die Pandemie zu beenden. Wohlgemerkt erklären alle seriösen Wissenschafter weltweit, dass von den zugelassenen Präparaten keine Gefahr ausgehe. Wohlgemerkt sind mittlerweile Millionen von Menschen ohne nennenswerte Nebenwirkungen geimpft worden. Wohlgemerkt setzten wir uns zeit unseres Lebens mit anderen Medikamenten, mit Alkohol, Nikotin, Straßenverkehr, wahllosen Sexualkontakten wesentlich größeren Risiken aus bei geringerem Nutzen.

Es ist ein Armutszeugnis für die Menschheit 300 Jahre nach der Aufklärung, dass diese Diskussion überhaupt geführt werden muss. Ich habe schon die Diskussion über eine Testpflicht für unnötig gehalten: Ja warum denn nicht! Ich halte es für absurd, dass bei der Verpflichtung zu FFP2-Masken herumgeeiert wird (gratis und statt des mäßig sinnvollen MNS). Und ich denke, es ist an der Zeit, bei der Impfung Tacheles zu reden: Abseits begründeter Ausnahmen muss es eine Verpflichtung zur Corona-Impfung geben. Wer sich weigert, soll im permanenten Lockdown verharren, Sistierung des Arbeitsplatzes inklusive.

In der Hälfte der europäischen Staaten gibt es aktuell Impfpflichten. In Frankreich sind elf Impfungen vorgeschrieben, in Italien zehn. Jeder von uns unterwirft sich permanent größeren Eingriffen in die persönliche Freiheit als mit dieser Impfung. Sehr geehrte Politikerinnen und Politiker: Hören Sie auf herumzueiern!

 

Christian   Rainer

Christian Rainer

war von 1998 bis Februar 2023 Chefredakteur und Herausgeber des profil.