Christian Rainer: So ein Zufall

Das Hochegger-Geständnis zum Abschluss der Regierungsverhandlungen – Gottes Werk und Teufels Beitrag.

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Was tun, wenn der Redaktionsschluss dieser und aller anderen Seiten zwischen die Zeiten fällt – irgendwohin zwischen den Abschluss der Regierungsverhandlungen, die Absegnung durch die Parteigremien, das Abzählen der Minister und die Abnahme durch den Bundespräsidenten? Man sucht nach der Metaebene, man wartet auf eine Eingebung, postuliert die Zeitlosigkeit der Ereignisse – und dann legt Peter Hochegger ein Geständnis ab. Hochegger sagt, Grasser habe 2,4 Millionen Euro kassiert. Grasser sagt, er habe kein Geld kassiert. Peter Hochegger war der Außenseiter unter den FPÖ-Insidern. Karl-Heinz Grasser war der Insider unter den FPÖ-Outcasts. Grasser war Wolfgang Schüssels Intimus. Schüssel wollte ihn 2006 zum ÖVP-Vizekanzler machen. Falls Grasser verurteilt wird, fällt das auf Schüssel zurück. Culpa in eligendo. Culpa in deligendo. Schuldhaftes Wegschauen.

Wolfgang Schüssel steht im Herrgottswinkel der Volkspartei. Die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ schreibt: „Als die Regierung Schüssel abgewählt wurde, hatten die meisten in der Volkspartei das Gefühl, von einem Irrtum der Geschichte getroffen worden zu sein. Mit Sebastian Kurz ist nun einer an die Regierungsspitze gelangt, der vollenden soll, was damals so abrupt unterbrochen wurde: die Sozialdemokratie in Staat und Gesellschaft möglichst weit ins Abseits zu zwingen.“

Blattschluss, Blattschuss. Am Tag vor Schwarz-Blau zwei wird Schwarz-Blau eins ins Schwarzlicht gestellt. Vorverurteilung? Quatsch mit Soße! Die Angeklagten vorverurteilen einander doch wechselseitig.

18 Jahre sind vergangen, und alles hängt zusammen, als wäre es ein Tag gewesen. Kommt zusammen, was zusammengehört?

Also dann: Das Regierungsprogramm ist rechtskonservativ mit Schwerpunkt bei Sicherheit, Ausländern, Familie. Das geht in Ordnung, weil im Wahlkampf nichts anderes angekündigt wurde und eben das gewählt. Mit dieser Agenda wirkt Türkis-Blau weniger radikal, als es Schwarz-Blau im Jahr 2000 angegangen ist. Das wird übrigens auch von denen kritisiert, die eben noch die Radikalität des Kandidaten Kurz kritisiert hatten.

Der Anknüpfungspunkt zu Schüssel/Riess-Passer/Haider liegt aber ohnehin anderswo: Der Buwog-Prozess erinnert nachdrücklich daran, dass jene Regierung in ihren beiden Perioden nicht an Inhalten gescheitert ist, sondern am Personal. Ob die Pensionsreform damals nachhaltig war oder die Budgetpolitik griffig, bleibt strittig. Außer Streit steht jedoch, dass unzählige Figuren tätig waren, die sich als ungeeignet für ihr Amt erwiesen: ahnungslos in der Sache, unerfahren im Handwerk und vielfach korrupt. Die meisten sind auf dem Friedhof der Namenlosen verschwunden, manche verurteilt oder nun vor Gericht.

Ohne viel Risiko zu nehmen, prophezeie ich, dass wir uns auch in den kommenden Jahren mehr an den Personen abarbeiten werden als an den Inhalten, mit denen diese Personen hantieren. Durchaus eindrucksvoll wirken die Namen bei der Volkspartei. Aber nicht bei den Freiheitlichen: wenig charismatisch, kaum Vita in der Spitzenpolitik, fragwürdige Sachkompetenz. Ein recht rechter Unteroffizier und Landtagsabgeordneter soll uns also beim Rat der europäischen Verteidigungsminister vertreten, eine vor 15 Jahren ausgeschiedene Nationalrätin und „Psychologische Beraterin“ bei den Sozialministern? Das wird lustig.

Noch lustiger wird, wer diese Beraterin und alle anderen FPÖ-Regierungsmitglieder berät: Ein Minister braucht rund zehn Mitarbeiter in seinem Kabinett. Die sollten vernetzt sein, mit ihrem Aufgabengebiet vertraut und loyal. Das lässt sich für die FPÖ und die neuen Minister nicht machen. Minister, ein Titel ohne Mittel.

Was haben wir von der Regierung zu erwarten? Knapp gefasst: Entweder es funktioniert, weil Kurz den Koalitionspartner an der Kandare führt. Oder es funktioniert nicht. Dann bleiben zwei Optionen: Dilettantismus oder Korruption – womit wir wieder im Wiener Schwurgerichtssaal wären. Gottes Werk und Teufels Beitrag.