Robert Treichler

Deutsche Bundesregierung: Alles Gute, Ampel!

Warum wir der neuen deutschen Regierung Erfolg wünschen sollten.

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Darf man als Journalist einer Regierung alles Gute wünschen, ohne in den Verdacht der Parteilichkeit zu geraten? Ich versuche es so: Ich wünsche der neuen deutschen Bundesregierung viel Glück, wobei es mir egal ist, wie die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP bei den nächsten Wahlen abschneiden. Jetzt geht es nicht um Parteipolitik, sondern um etwas ganz anderes: Diese Ampelkoalition hat eine Aufgabe vor sich, deren Bedeutung weit über ihr Land hinausreicht. Nämlich diese: die Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten und gleichzeitig Deutschlands Position als drittstärkste Exportnation der Welt (nach China und den USA) zu erhalten.

Gelingt ihr das, dann kann Deutschland der ganzen Welt als Vorbild dafür dienen, wie die Rettung des Klimas ohne Wohlstandsverlust funktioniert. Jeder, egal, ob Sozialdemokrat, Grüner, Freidemokrat, Christdemokrat oder Linker (und eigentlich auch Rechtspopulist, aber in dem Lager haust die Unvernunft) muss darauf hoffen, dass der Plan der Ampel klappt. Dieser Plan liegt jetzt in Form des Regierungsprogramms vor. Welche Bedeutung das Klima darin hat, kann man messen: Auf 178 Seiten kommt der Begriff „Klima“ nicht weniger als 198 Mal vor. Zum Vergleich: Im Regierungsprogramm 2018 gab es auf 175 Seiten 74 Treffer.

Doch die Pessimisten haben ihr Urteil bereits gesprochen: In der Wochenzeitung „Die Zeit“ unkt Kommentator Bernd Ulrich, es könne schon sein, „dass die Ampel die beste deutsche Klimapolitik aller Zeiten machen wird. Aber besser als bisher ist noch nicht gut genug“. Und auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von der Protestbewegung Fridays for Future hält den Daumen nach unten: Die Regierungsparteien hätten „die eigenen Versprechen verfehlt“.

Die Nicht-genug-und-viel-zu-spät-Vorwürfe sind der Soundtrack zur Krise. Vielleicht braucht es den ja, um die Motivation hochzuhalten. Der No-Future-Krach übertönt allerdings auch alle positiven Meldungen, und das Regierungsprogramm enthält gar nicht wenige: Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein anstatt wie bisher beabsichtigt 2038. Dann sollen außerdem in Deutschland bereits mindestens 15 Millionen vollelektrische Autos unterwegs sein. Und im selben Jahr sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien stammen.

Enttäuscht sind alle, die – aus welchen Gründen auch immer – Klimarettung durch Einschränkungen befürworten. Diese deutsche Bundesregierung geht einen anderen Weg. Sie plant nicht, Kurzstreckenflüge zu verbieten, sondern will enorme Investitionen in die Bahn tätigen. Alle großen Städte sollen mit Schnellzügen im 30-Minuten-Takt verbunden werden. Niemand wird mehr in ein Flugzeug oder Auto steigen, wenn Züge schneller und praktischer sind.

Zur klimafreundlichen Infrastruktur kommen neue Technologien: Deutschland will – ebenfalls bis 2030 – Leitmarkt für Wasserstofftechnologien werden. Rot-Gelb-Grün hat unbestreitbar Großes vor. Deutschland will seinen Verpflichtungen auf dem Weg zur maximalen Erwärmung von 1,5-Grad-Celsius nachkommen und dabei den Lebensstandard erhalten. Das ist der Plan.
Einfach wird das nicht. Riesige Infrastrukturprojekte stoßen erfahrungsgemäß auf Widerstand, Kosten explodieren – der Berliner Flughafen steht sinnbildlich für derlei Desaster. Die große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt das Ziel der Klimarettung, aber sobald irgendwo ein hässlicher Windpark geplant wird, erhebt sich verlässlich ein Sturm der Entrüstung. Um Genehmigungsverfahren zu erleichtern, werden erneuerbare Energien deshalb als „öffentliches Interesse“ definiert. Das erleichtert dem Amtsweg, nicht aber die Konflikte.

Auch politisch wird die Einigkeit nicht immer halten. Knirscht es beim Bahnausbau oder bei der Vergrößerung 
der E-Auto-Flotte, werden die Grünen mehr Geld lockermachen wollen, während FDP-Finanzminister Christian Lindner die Budgetdisziplin einmahnt.

Als warnendes Beispiel kann die US-Regierung von Präsident Joe Biden dienen. Die Demokratische Partei regiert zwar ohne Koalitionspartner, doch unter ihren Abgeordneten und Senatoren tummeln sich Linke und Traditionalisten, und das sorgt seit Monaten für  eine peinliche kontraproduktive Blockade bei den großen Gesetzesvorhaben.

Niemand kann vorhersagen, ob die erste Dreier-Koalition Deutschlands das Beste aus drei Welten vereint oder kläglich versagt. Üblicherweise berührt uns das Scheitern einer Regierung in Deutschland oder anderswo nicht besonders. Die Demokratie garantiert mittels Wahlen einen Neustart in neuer Besetzung. Diesmal ist das anders. Scheitern SPD, Grüne und FDP an ihrer historischen Aufgabe, dann kostet das nicht nur wertvolle Zeit, die uns bei der Rettung des Klimas ohnehin davonläuft, sondern es fehlten danach auch überzeugende Alternativen. Was brächten die Unionsparteien oder die Linke mit, was die Ampelparteien nicht haben?

Man muss Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner nicht lieben, aber wir haben alle ein Interesse daran, dass sie erfolgreich sind. Also, alles Gute, Ampel!

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur