Kommentar

Dritter Weltkrieg: Ein Horrorszenario als Blaupause

Die USA wollen ihre technologische Überlegenheit gegenüber China mittels Handelsbeschränkungen bewahren. Kann das funktionieren?

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Am Ende geht alles erschreckend schnell. Mithilfe von Weltraumtechnologien, Cyberangriffen und manipulierten Computerchips gelingt es China, die Supermacht der USA zu brechen. Die Überwachungs- und Kommunikationssysteme werden außer Gefecht gesetzt, Amerika schlittert ins Chaos. Zusammen mit Russland hat China eine Technologie entwickelt, mit der es Atom-U-Boote ausfindig machen kann. Bald ist fast die komplette Pazifikflotte der USA Geschichte, Hawaii fällt nach einer blutigen Schlacht in die Hände der Chinesen.

Führende US-Militärs empfahlen ihren Truppen die Lektüre des Romans "Ghost Fleet", der Navy-Admiral James G. Stavridis sprach gar von einer „Blaupause für die Kriege der Zukunft, die jetzt gelesen werden muss“.

In dem Roman „Ghost Fleet“ des Militäranalysten Peter W. Singer und des „Wall Street Journal“-Reporters August Cole übernimmt ein technologisch überlegenes, postkommunistisches China die Weltherrschaft. Die Streitkräfte der USA sind reduziert auf eine Flotte ausrangierter Kriegsschiffe, in den eroberten Gebieten nehmen sich die verbliebenen US-Streitkräfte Afghanistans Mudschaheddin zum Vorbild und führen einen Guerilla-Kampf gegen die Besatzer.

Es sind Bilder des Schreckens, die Cole und Singer da an die Wand malen, und davon sind wir glücklicherweise weit entfernt. Doch die Autoren beschreiben ziemlich genau jenes Horrorszenario, vor dem sich amerikanische Entscheidungsträger am meisten fürchten: Eine technologisch überlegene Volksrepublik greift Amerika und seine Verbündeten an und übernimmt die Kontrolle über die Weltwirtschaft.

Führende US-Militärs empfahlen ihren Truppen die Lektüre des Buches, der Navy-Admiral James G. Stavridis sprach gar von einer „Blaupause für die Kriege der Zukunft, die jetzt gelesen werden muss“. Angeblich war das Buch nach seinem Erscheinen im Jahr 2015 auch Thema bei Briefings im Weißen Haus.

„Ghost Fleet“ trifft einen wunden Punkt, denn die USA fühlen sich nur sicher, solange sie die stärkste Militärmacht bleiben. Darauf hat zuletzt etwa der ranghöchste Offizier der US-Streitkräfte, Mark Milley, vor dem Repräsentantenhaus hingewiesen.

Milley weiß, dass China in den kommenden zehn Jahren die Vorherrschaft über Asien und den Westpazifik anstrebt. Er behauptet, dass die Volksrepublik die USA bis 2049 in den militärischen Fähigkeiten überholen will. US-Außenminister Antony Blinken hält einen Angriff Chinas auf Taiwan 2027 für möglich, der ehemalige Leiter des US-Kommandos für den Indopazifik, Philip Davidson, sogar für wahrscheinlich. Und der US-Luftwaffengeneral Mike Minihan ist überzeugt, dass es schon 2025 zu einem Krieg zwischen den USA und China um Taiwan kommen könnte.

Bei den Vorbereitungen auf den großen Konflikt geht es um weit mehr als um Kampfstärke und Munition. In „Ghost Fleet“ legen chinesische Hacker das komplette Sicherheits- und Verteidigungssystem der USA lahm. Das ist, zumindest was die Sorgen des Westens betrifft, ziemlich nah an der Realität: Die USA wollen verhindern, dass China technologisch weiter anzieht und die eigenen Fähigkeiten bald übertrumpft.

Was Geld und die Entwicklung neuer Technologien betrifft, ist China viel potenter, als es die Sowjetunion je war.

Washington hofft, eine drohende technologische Überlegenheit Chinas mithilfe von Handelsbeschränkungen zu verhindern. Im vergangenen Oktober untersagte US-Präsident Joe Biden den Export von Hochtechnologie für die Chipproduktion nach China. Es war eine Kampfansage, die am vergangenen Mittwoch in die nächste Runde ging.

Mit einem Dekret ermächtigte Biden das Finanzministerium, bestimmte Investitionen in chinesische Unternehmen zu verbieten. Es geht um Halbleiter, Mikroelektronik und Technologien für Quanteninformation und künstliche Intelligenz – Technologien, die auch in der Steuerung von Waffensystemen eine wesentliche Rolle spielen. Erstmals steht nicht nur der Export, sondern auch der Geldfluss und mögliche Kooperationen im Visier.

Noch hinkt China in der Chipherstellung hinterher, in der hoch entwickelten Technologie ist die Volksrepublik auf Importe angewiesen. Rund 90 Prozent aller modernen Chips, wie sie in nahezu jeder technischen Anwendung gebraucht werden – vom Handy über Überwachungsprogramme bis hin zu Präzisionswaffen – werden in Taiwan hergestellt, das Peking als abtrünnige Provinz betrachtet. Den größten Teil des weltweiten Umsatzes – im Jahr 2022 waren es 40 Prozent – verzeichnen amerikanische Unternehmen. Praktisch alle führenden Konzerne sind im Westen beheimatet.

Exportbeschränkungen galten lange als verstaubtes Instrument der Machtausübung. Doch die USA haben erkannt, dass ihre Vormachtstellung bei den Lieferketten von Chips weitreichende Möglichkeiten bietet. Während Donald Trump sich im Handelskrieg mit China auf Firmen konzentrierte und etwa den Handyhersteller Huawei sanktionierte, hat Biden das Spektrum erweitert: Ihm geht es um ganze Industrien.

Für die USA ist der Kalte Krieg die Blaupause im Konflikt mit China: Um machtpolitisch die Oberhand zu behalten, muss Washington dafür sorgen, dass Know-how nicht in die Hände des Gegners gelangt. Nur: Was Geld und die Entwicklung neuer Technologien betrifft, ist China viel potenter, als es die Sowjetunion je war. Der Kalte Krieg mag die Blaupause sein. Offen bleibt, ob ein Szenario wie in „Ghost Fleet“ in den kommenden Jahren Realität werden könnte.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.