Meinung

Franziska Tschinderle: Xi in the sky

Nicht Russland, sondern China ist die größte geopolitische Herausforderung der Zukunft.

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Ein Ballon fällt vom Himmel – und stürzt zwei Länder in eine diplomatische Krise. 

Klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes, bestimmt dieser Tage aber tatsächlich die Geopolitik. 

Aber der Reihe nach. Vergangene Woche flog ein chinesischer Ballon von Kanada aus über die Grenze zum US-Bundesstaat Montana. Er hatte Motoren und Solarzellen an Bord, außerdem Sensoren und allerlei Hightech-Equipment. Das Flugobjekt war größer als drei Schulbusse und so schwer wie ein Linienflugzeug. 

„Der Ballon sieht wie ein Planet aus“, scherzte ein Reporter der „New York Times“, der vor Ort berichtete. Schaulustige stellten Campingstühle auf, um mit Ferngläsern in den Himmel zu spähen. Dann war Schluss mit lustig. Die US-Luftwaffe schoss den Ballon mit einer Rakete vom Himmel. Der tonnenschwere Koloss krachte in den Atlantik. Fotos, die zeigen, wie die US-Marine die Trümmerteile bergen, werden wohl in die Geschichte eingehen. 

Was werden wir einmal über diese Trümmerteile sagen? Nichts weiter als ein Missverständnis, dessentwegen US-Außenminister Antony Blinken seinen Besuch in Peking absagte? Oder sind die Trümmer ein Frühwarnsignal, was uns mit der aufstrebenden Weltmacht China noch alles blühen könnte?

Ich befürchte Letzteres. 

Die ganze Welt spricht zu Recht über Russland, aber im Schatten des Krieges in der Ukraine wächst ein noch mächtigerer Systemgegner heran. Der Ballon hat gezeigt, wie angespannt die Beziehungen zwischen den USA und China geworden sind, und dass es nur sehr kleine Vorfälle braucht, um sie zu eskalieren. 

China, ein Einparteienstaat, der seine Bürger überwacht, ist nicht nur repressiv nach innen, sondern auch zunehmend aggressiv nach außen. Vorbei sind die Zeiten von Deng Xiaoping, der das Diktum prägte, Chinas Außenpolitik sei friedlich und diene allein dem wirtschaftlichen Fortkommen des Landes. Mit Staats- und Parteichef Xi Jinping ist Schluss mit der Harmonie. China schürt Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer, droht Taiwan mit einer Invasion und schafft es auch ein Jahr nach dem Krieg in der Ukraine nicht, sich von Russland abzuwenden. 

China strebt nach einer neuen Weltordnung – mit allen Mitteln. 

Die Führung in Peking versucht, den ziemlich großen Ballon so gut wie möglich kleinzureden. Das chinesische Außenministerium spricht von einem „zivilen Forschungsballon“, der nichts weiter als meteorologische Daten gesammelt habe. Also alles nur ein Missverständnis? Und überhaupt: die USA! War das nicht das Land, das so dreist war, das Handy von Angela Merkel abzuhorchen?

Im Vergleich dazu kommt einem der chinesische Ballon ziemlich altmodisch vor. Doch der Schein trügt gewaltig. 

Spionage-Ballone sind kein Relikt aus dem Kalten Krieg, sondern gehören Experten zufolge zum Standardrepertoire der militärischen Aufklärung. Chinesische Universitäten mit Nähe zur Rüstungsindustrie forschen seit Jahren an solchen Stratosphärenbällen. Eine Zeit lang flog das Objekt rein zufällig über einem US-Militärstützpunkt, in dem – ebenso zufällig – Interkontinentalraketen und Atomsprengköpfe lagern. 

Kurzum: Der Ballon ist eine große Sache. Und: Er ist nicht der einzige.

Während der Präsidentschaft von Donald Trump sollen drei weitere über die USA geflogen sein, und nicht nur dort. Auch in Südamerika und Asien wurden sie gesichtet und auch über Taiwan. Das ist jene Insel, die von den USA militärisch unterstützt wird und die China als Teil des eigenen Staatsgebietes sieht. Die Chinesen schicken regelmäßig Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe in Richtung Taiwan. 
Auch deswegen wäre das Treffen zwischen Xi Jinping und Antony Blinken so wichtig gewesen. 

Warum schickt man in so einem entscheidenden Moment Spionage-Ballone in das Land des Gastes? Es ist zu befürchten, dass genau das zur Taktik von Xi Jinping gehört. Er braucht diese Provokationen, um seine Macht im Inneren zu festigen. Nichts 
eignet sich dafür besser als ein Feind, der aus der Sicht Pekings chinesische Forschungsprojekte sabotiert. 

Wobei man „Forschung“ hier wohl unter Anführungszeichen setzen müsste. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.