Kolumne

Altersarmut, aber wirklich

Null Beihilfen. Keine Befreiung. Karin hat nur eine kleine Pension. Sie ist nicht klein genug.

Drucken

Schriftgröße

Altersarmut, die zweite: Wirklich arm sind diejenigen, die allein von einer kleinen Rente leben müssen. Klein, aber knapp über der Grenze zur Mindestpension. Ihnen greift kein Staat unter die Arme.

Diejenigen sind in erster Linie Frauen. Solche wie Karin zum Beispiel. Karin hat zwölf Schuljahre lang brav gelernt, eine Ausbildung gemacht und danach ein Erwachsenenleben hindurch gearbeitet, meistens Vollzeit. Daneben hat sie zwei Kinder großgezogen und einen Haushalt geführt. (Die Kinder waren der Grund für die kurzen Unterbrechungen ihres Erwerbslebens, früher war es ja bekanntlich noch schwerer als heute, Betreuungsplätze aufzutreiben.)

Karins Fleiß hat nur bescheidene materielle Früchte getragen. Wer im Sozialbereich arbeitet, verdient sich keine goldene Nase. Trotzdem wäre ihre Altersrente etwas höher, hätte der Staat nicht ein paar Jahre vor ihrer Pensionierung eine Reform beschlossen, derzufolge der Durchrechnungszeitraum, nach dem sich die Höhe der Bezüge bemisst, erheblich verlängert wurde. Vor der Reform hätten Karins 15 „beste Jahre“ als Berechnungsbasis gedient, ihr Durchschnittseinkommen in den 15 Jahren ihres Erwerbslebens also, in denen sie am besten verdient hatte. 15 halbwegs gute Jahre hätte Karin vorweisen können, darauf hat sie gebaut, wenn sie mit Anfang 50 an ihren Lebensabend dachte. Aber als Karin das Pensionsalter erreichte, war der Durchrechnungszeitraum schon ein gutes Stück länger geworden und ihre Altersrente ein schlechtes Stück kleiner. Das mochte der Gerechtigkeit gedient haben, aber gleichzeitig hat es die Lebensplanung der Älteren ramponiert. Ist schon frustrierend, wenn nicht mehr gilt, was dir seinerzeit in Aussicht gestellt wurde, und du nichts tun kannst, als resigniert hinzunehmen, was über deinen Kopf hinweg beschlossen wird.

Beim Verlauf eines Lebensweges ist auch ziemlich viel Willkür im Spiel. Hochmut unangebracht.

So viel zu „Hätte sie halt …“ und „Wär sie doch …“, Post-festum-Ratschlägen, die gern unerbeten erteilt werden, auch wenn unklar ist, was die Betroffene verabsäumt hat: tüchtig zu erben, rechtzeitig eine Bank auszurauben, die Regierung zu stürzen?Kleine Pension also. Gestiegene Lebenshaltungskosten – höhere Miete, teurere Lebensmittel, explodierende Energiepreise und so weiter. Wissen wir. In Karins Fall gepaart mit null Zuschüssen oder Beihilfen, null Ermäßigungen oder Befreiungen, in deren Genuss sie käme, wenn sie ein bisschen weniger Pension hätte. Karin kriegt keine Mietbeihilfe, ist nicht von der GIS befreit, zahlt für jedes Medikament Rezeptgebühren. Am Ende bleibt ihr manchmal weniger als einer Mindestrentnerin. Verdammt ungerecht, aber interessiert das jemanden?

Manche Frauen, die nur über eine Mindestpension verfügen, dazu aber auch über einen Ehemann mit ausreichenden Bezügen, interessiert es schon einmal nicht. Die haben mir als Reaktion auf meine letzte Kolumne geschrieben, es gehe ihnen sehr zu Recht besser als den Singles unter den Altersgenossinnen, schließlich hätten sie geduldig neben einem Gefährten ausgeharrt, auch wenn der oft unleidlich gewesen sei. Offenbar sehen sie die Teilhabe an seinen Bezügen als Schmerzensgeld. Abgesehen davon, dass mir das als fragwürdige Form der Altersvorsorge erscheint, erschreckt mich der Mangel an Solidarität, der daraus spricht, die verstaubte Rivalität zwischen „braven“ Ehefrauen und wer weiß wie sich versündigt habenden Solo-Weibern, von der ich vermutet hätte, dass sie in den 1950er-Jahren ausgestorben ist, wenn sie nicht immer wieder einmal irgendwo, zumindest in Spuren, zum Vorschein käme. Aber das ist, zugegeben, ein Seitengleis.

Die Hauptfrage ist, wohin es führen soll, wenn Menschen, die sich jahrzehntelang redlich geplagt haben, um zum Nationalprodukt beizutragen, im Alter auf einmal nicht wissen, wie sie ihr  durchaus bescheidenes Leben finanzieren sollen. Was sie von Jüngeren unterscheidet, die ähnliche Sorgen haben (was ebenfalls verdammt ungerecht ist), ist die Tatsache, dass sie an einem Punkt ihres Lebens angelangt sind, wo sie keine Weichen mehr stellen können. Sie können nichts Entscheidendes mehr ändern. Sie können keinen anderen Berufsweg einschlagen, keine Zusatzausbildung machen, die Einfluss auf ihre Bezüge hätte, sich keinen neuen Arbeitgeber suchen, sie müssen sich abfinden und zurechtkommen und können ihre Enttäuschung, wie es auf Wienerisch so schön heißt, in ein Sackl reden. No way out.


Das hört niemand gern, das liest niemand gern, das ist öd, alle wollen glauben, dass man es in der Hand hat, ob man am Lebensabend in Luxusherbergen an palmengesäumten Strandpromenaden leuchtröhrenbunte Cocktails schlürft oder im Nieselregen an der Bushaltestelle friert. Aber leider: Beim Verlauf eines Lebensweges ist auch ziemlich viel Willkür im Spiel. Hochmut unangebracht.

Karin bleibt armutsgefährdet. Nicht wirklich richtig schrecklich bitterarm, der Pensionshöhe nach, aber jedenfalls dauerhaft gefährdet, was ungefähr so gemütlich ist wie das Sitzen unter einem lockeren Felsbrocken. Wie ihr geholfen werden könnte, weiß ich auch nicht, aber es wäre die Verpflichtung der gewählten Volksvertreter:innen, darüber nachzudenken, finde ich.