Meinung

Andere Zeiten

Jetzt soll die alte Frau kriegsfähig werden. Ja, hat sie denn geglaubt, das würde ewig so weitergehen mit Frieden und Demokratie?

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Jetzt ist die alte Frau schon so alt und hat nichts als Frieden und Demokratie erlebt. Also: nicht anderes erfahren am eigenen Leib. Aber auf einmal soll sie kriegsfähig werden. Kriegsfähig. Nicht verteidigungsfähig. Oder verteidigungsbereit. Sondern kriegsfähig. So will es der öffentliche Diskurs. Ja, hat sie denn geglaubt, das wird ewig so weitergehen mit der Friedensbereitschaft und dem Willen zur Demokratie?

Hoffen kann man viel. Die Realität ist was anderes.

„Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“, haben sie gesagt, als die alte Frau jung war. Das stellt sich heute keiner mehr vor. Das will sich heute gar niemand mehr vorstellen. Es ist Krieg, und man stellt sich vor, bald auch bei uns. Die Demokratien wanken, und man stellt sich vor, bald auch bei uns. Es prickelt die Lust an der Angst, und weil die Angst berechtigt ist, muss wohl auch die Lust berechtigt sein. Nicht grundlos gibt es ein Wort dafür, Angstlust.

Kriegsfähig. Das ist was anderes als das knieweiche „verteidigungsfähig“. Ist eine illiberale Demokratie am Ende kriegsfähiger als eine echte? Man fragt ja nur. Und sind Menschenrechte sakrosankt oder müssen sie neu überdacht werden? Also eigentlich: alt überdacht. Wenn Kinderarbeit mit Wirtschaftsinteressen kollidiert, dann müssen wir halt die Kinder arbeiten lassen. Sind eh nicht unsere. Das war schon immer so. Allerdings hat es uns eine Zeit lang mehr gestört.

Die alte Frau weiß, was Armut bedeutet. Nach dem Krieg, waren viele arm, und manche sind es geblieben.

Elfriede Hammerl

Uns? Wen denn? Eine demokratische Öffentlichkeit, sagt die alte Frau. Mehr Menschen als jetzt. Es schaut aus, als würden die, die es stört, immer weniger.

Andere Zeiten. Die alte Frau erinnert sich noch an eine Zeit, in der kosteten öffentliche Gymnasien Schulgeld. Dann, erinnert sie sich, kam mit Kreisky der große Umschwung: Gymnasien gratis, Schulbücher gratis, freie Fahrt zur Schule.

Jetzt zahlen die jungen Eltern rund um die alte Frau Schulgeld schon für die Volksschulen, in die ihre Kinder gehen. Weil: öffentliche Schulen, nein danke. Zu schlecht ausgestattet, zu große Klassen, zu wenig exklusiv.

Die alte Frau erinnert sich noch an Zeiten, da waren Menschen froh über eine Gemeindewohnung. Wasser, WC, Bad innen, was für ein Unterschied zur Bassena und dem Gemeinschaftsklo am Gang. Heute sind die alten Zinshäuser gentrifiziert. In ihnen zu wohnen, ist sauteuer geworden, und diejenigen, die im Gemeindebau leben, sind unzufrieden und stigmatisiert.

Die alte Frau weiß, was Armut bedeutet. Damals, nach dem Krieg, waren viele arm, und manche sind es geblieben. Die Eltern der alten Frau beispielsweise. Kein Talent, am Wirtschaftswunder mitzunaschen, so, wie sie vorher kein Talent gehabt hatten, von der braunen Schreckensherrschaft zu profitieren. Trotzdem erinnert sich die alte Frau an die feste Zuversicht, mit der die Eltern in die Zukunft geschaut haben, nun, da der Schrecken ausgestanden war. Und tatsächlich ist es ja bergauf gegangen. Die alte Frau konnte, als sie jung war, studieren, arbeiten, was werden. Das Wirtschaftswunder mochte an ihr vorübergegangen sein, aber sie hatte ihr gutes Auskommen, ohne sich mit ausgefahrenen Ellbogen behaupten zu müssen. Andere Zeiten.

Vor Kurzem hat die alte Frau noch einmal so was wie eine Aufbruchsstimmung verspürt. Sie ist eine von zehntausend, Alte wie Junge, die sich von der Wahl des neuen Parteivorsitzenden versprochen haben, dass die Sozialdemokratische Partei wieder sozialdemokratisch wird. Nicht kommunistisch, nicht marxistisch, nicht extremistisch, sondern schlicht eine Partei, die sich für Verteilungsgerechtigkeit einsetzt, für mehr Chancengleichheit, für eine solidarische Gesellschaft. Die alte Frau hat gedacht, die Sozialdemokratische Partei hätte begriffen, dass das ihre Chance ist, als ernstzunehmende politische Kraft zu überleben, und dass sie nur so die Chance hat, das Überleben des demokratischen Wohlfahrtsstaats zu sichern, eines Staats, der nicht kriegsfähig, sondern verteidigungsfähig sein will und auf alle Fälle friedensbereit.

Aber, ach, inzwischen sind an allen Ecken und Enden Parteigranden aufgepoppt, denen offenbar jede Friedfertigkeit abgeht. Und die alte Frau fragt sich, wen sie wählt, falls sie bei den Nationalratswahlen die Sozialdemokratische Partei wählt. Einen Porschefahrer mit Jagdgewehr und guten Verbindungen zum italienischen Postfaschismus? Regionale Wichtigtuer mit Verbindungen zur einheimischen Rechten? Landeskaiser mit chronisch geblähtem Ego? Landeskaiser mit vorauseilendem Kompromisseifer? Einen Arbeitnehmer:innenvertreter mit einem Herz für Kapitalisten?

Die alte Frau glaubt nicht, dass eitle, egomanische Typen ohne gefestigte ideelle Überzeugungen geeignet sind, große Wahlsiege einzufahren. Wenn sie nicht aufhören, nur ihren persönlichen Machtgewinn zu verfolgen, werden sie am Ende keine Macht gewonnen haben, und die illiberalen Undemokraten können darangehen, Österreich in Orbánistan zu verwandeln. Ihr Sieg sei unaufhaltsam gewesen, wird es dann heißen. Aber das ist falsch. Er wäre aufzuhalten, wenn die ehemals staatstragende Sozialdemokratische Partei ihre Verantwortung als starke Gegenkraft wahrnehmen würde, statt sich selbst zu demontieren.