Elfriede Hammerl: Forschungs-Ausrede

Schutz und Hilfe für bedrohte Frauen kosten Geld. So einfach ist das.

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Motivforschung kündigt Ministerin Raab an. Es gelte, die Gründe herauszufinden, aus denen Frauen von ihren Männern ermordet werden. (Zwölf Frauen waren es bekanntlich bis jetzt allein in diesem Jahr). Das klingt, als hätte sich bisher noch nie jemand um die näheren Umstände solcher Taten gekümmert, und passt in den Selbstbeweihräucherungsmodus der aktuellen Regierung, die alles, was schiefläuft, unverfroren mit der Behauptung kontert, nie zuvor sei so erfolgreich gegen Missstände angegangen worden.

Tatsächlich sind Gewalttaten an Frauen jedoch kein unerforschtes Gebiet. Es gilt nicht, herauszufinden, ob spezielle Planetenkonstellationen hinter der Ermordung von Frauen stehen, sondern es gilt, alles, was man längst weiß, umzusetzen zur Prävention von Gewalttaten und zum Schutz bedrohter Frauen. Letzten Endes braucht es viele einander ergänzende Maßnahmen und Einrichtungen (welche, konnte man in profil und auch in dieser Kolumne schon lesen), die natürlich Geld kosten. Dieses Geld fehlt. Derzeit zum Beispiel kommen auf eine Betreuerin in einer Opferschutzeinrichtung 310 zu betreuende Frauen. Dass sich dabei kein ausreichendes Betreuen ausgeht, kann man sich leicht ausrechnen.

Wer jetzt erst einmal Motive erforschen will, spielt auf Zeit. Es wird dabei der Eindruck erweckt, als könne das Forschen bisher unentdeckte Motive zutage fördern, vielleicht sogar ein zentrales Motiv, das kostensparend entsorgt werden kann, und alles ist gut. Message: Warum Geld ausgeben, wenn es vielleicht eine ganz simple und billige Lösung gibt?

Ach so, Frau Raab hat ja sogar schon einen konkreten Motive-Verdacht. Im Ö1-„Morgenjournal“ am 4. Mai äußerte sie ihn: „Alkoholmissbrauch, patriarchale Erbkulturen, die nicht unseren Werten entsprechen, psychische Störungen.“ Ja dann, alles klar. Patentlösung: Grenzen dicht?

Zugleich wird der Argwohn geschürt, das bisschen Geld, das bisher geflossen ist, könnte verschwendet gewesen sein. Die Frauenministerin: „Haben wir die Frauen auch mit unseren Ressourcen erreicht? Nehmen sie unsere Hilfe in den Frauenhäusern in Anspruch?“

Inzwischen ist zwar der Bundeskanzler in bewährter Messiaspose aufgetreten und hat verkündet, dass „es am Geld nicht scheitern“ soll, aber was das real bedeutet, wird sich erst zeigen.

Fürs Erste bleiben Skepsis und Verzweiflung beim Anhören der Phrasendreschmaschinerie. Jede Frau in Österreich muss sicher sein. Es ist mir wichtig, dass jede Frau weiß, dass sie nicht allein ist und keine Gewalt erdulden muss. Ich will den Frauen Mut machen.

Jede Frau, die allein ist mit einem Gewalttäter, weiß, dass die Magie von Frau Raabs Selbstinszenierung als Schutzmantelmadonna beim ersten Schlag versagen wird. Jede Frau, die ihren Mut zusammennimmt und zur Polizei geht, kann die schmerzliche Erfahrung machen, dass ihre Sicherheit nicht garantiert ist. Jede Frau, die Hilfe sucht, kann auf inkompetente (weil diesbezüglich ungeschulte) VertreterInnen der Justiz oder auf völlig überlastete Beraterinnen treffen. Jede Frau, die sich einem Arzt oder einer Ärztin anvertrauen würde, kann an medizinisches Personal geraten, das nicht gelernt hat, die richtigen Fragen zu stellen. Mitglieder der Zivilgesellschaft, die einen Verdachtsfall melden möchten, können überall, wohin sie sich wenden, auf das Desinteresse nicht sensibilisierten Personals stoßen.

Säuselndes Geschwurbel schafft keine neuen Realitäten. Neue Realitäten entstehen nur aus konkreten Maßnahmen. Frauen, die ihren Mut zusammennehmen, müssen auf eigens ausgebildete PolizistInnen treffen, die Hilfe suchende Frauen ernst nehmen. Sie müssen sich an entsprechend geschulte VertreterInnen der Justiz wenden können, an Betreuerinnen, die Zeit und Kraft für ihre Betreuung haben, an ÄrztInnen, die wissen, wie man Gewaltopfer erkennt und wie man mit ihnen umgeht.

Wenn Herr Kurz dafür sorgen kann, dass all das am Geld nicht scheitert, soll es uns sehr recht sein. Wenn er aber nur leere Beschwichtigungshülsen von sich gegeben hat, dürften wir ihn damit nicht durchkommen lassen.

Dürften, Konjunktiv, leider, weil der Zeitgeist gerade nicht aufseiten der Frauen steht. Erfolgsaussichten also ungewiss. Soeben hat die EU, die ihre Mitgliedstaaten zur Geschlechtergleichstellung verpflichtet, in Porto ein Abschlussdokument ihres Sozialgipfels verabschiedet, in dem der Begriff „Gender Equality“ nicht vorkommen durfte. Ungarn und Polen waren dagegen. Zwei EU-Staaten, die zusammen mit vier weiteren (Tschechien, Slowakei, Slowenien und Kroatien) einen Austritt aus der Istanbul-Konvention überlegen, einem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt und Gewalt auf der Straße.

Wie ist es möglich, dass die Europäische Union sang- und klanglos einen Begriff unter den Tisch fallen lässt, der für einen Grundwert unserer Gesellschaft steht? Auf Betreiben von Polen, in dem Frauen durch eine Verschärfung der Gesetze gegen den Schwangerschaftsabbruch gerade jegliches Selbstbestimmungsrecht abgesprochen wird?

Es schaut nicht gut aus. Merkt frau auch ohne Forschung.