Elfriede Hammerl: Auf dem Sofa

Frausein als Abwertungsgrund. Kann immer passieren. So bedeutend kann die Frau gar nicht sein.

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Neulich in Ankara: Charles Michel und Ursula von der Leyen besuchen Recep Tayyip Erdoğan. Die beiden pfiffigen Herren überraschen die Dame mit einem lustigen Spiel, einer Variante der „Reise nach Jerusalem“. Jeder Kindergartenknirps weiß, wie das geht: Es stehen weniger Stühle als Personen im Raum, deswegen muss man sich schnell einen Sitzplatz schnappen, sonst bleibt man übrig und scheidet aus. Erdoğan und Michel gewinnen, flink hurteln sie zu den beiden vorhandenen Sesseln und nehmen Platz. Die langsame Kommissionspräsidentin bleibt stehen wie bestellt und nicht abgeholt. Witzig! Aber sie muss eh nicht ausscheiden, sondern darf im Zimmer bleiben und sich auf ein Sofa setzen, ein Stück entfernt von den beiden wichtigen Herren halt.

Ein nicht weiter bedeutsamer Vorfall, man hätte darüber hinweggehen können. Ein bisschen bedauerlich zwar, dass die humorlose Deutsche mit dem Spielangebot nichts anfangen konnte, aber statt einer allgemeinen Verwunderung, dass Erdoğan sich zu einem zionistisch konnotierten Gesellschaftsspiel herbeiließ, setzte es einen Empörungssturm über die angebliche Ungleichbehandlung der Frau von der Leyen. Schließlich starteten europäische Frauenorganisationen sogar eine Petition, die Charles Michel zum Rücktritt aufforderte.

Also bitte! Lassen wir die Kirche doch im Dorf und schauen wir uns in aller Ruhe, mit gebührendem Abstand an, was wirklich passiert ist und ob man der Sache nicht auch etwas Positives abgewinnen kann.

Erstens, halten wir einmal fest: Frau von der Leyen hat es zur Präsidentin der Europäischen Kommission gebracht. Das ist doch was. In einem frauenfeindlichen Klima wäre es jedenfalls nicht möglich, dass eine Frau so eine Position einnimmt, während ambitionierte junge Männer mit hervorragenden Expertisen in Minecraft und Grand Theft Auto vergeblich auf einen Führungsposten warten.

Zweitens: Frau von der Leyen durfte sich dem türkischen Präsidenten, von dem doch bekannt ist, dass die westliche Damenmode seinem moralischen Empfinden zuwiderläuft, ohne Haarbedeckung nähern. Das ist nicht selbstverständlich, denken wir an Staatsbesuche, bei denen westliche Politikerinnen mit Schleier überm Haar oder in Abayas der genderspezifischen Bekleidungsetikette ihres Gastlandes Rechnung getragen haben.

Dann das Protokoll. Versteht nicht jeder, aber die Auskenner wissen, es ging nicht anders.

Charles Michel war der Ranghöhere, und nur deshalb. Jean-Claude Juncker merkte sofort an, er habe als Kommissionspräsident nie ein Problem mit dem Rang zwei hinter dem Ratspräsidenten gehabt. Allerdings gab es für ihn auch einen Sessel neben den beiden anderen, als er mit Donald Tusk bei Erdoğan war. Ist fotografisch dokumentiert. Auf dem Foto lachen die drei Herrenmenschen quasi cheek to cheek in die Kamera.

Aber nicht zuletzt: Charles Michel hat eh schlecht geschlafen danach. Die Szene, sagte er dem Düsseldorfer „Handelsblatt“ und anderen Wirtschaftszeitungen, spiele sich in seinem Kopf „immer wieder“ ab. Wenn das nicht Buße genug ist.

Was soll also die Aufregung um einen läppischen Vorfall, der sich geradezu als Musteranlass für klassischen Whataboutism anbietet? Frau von der Leyens Ego ist Ihnen wichtig, aber um den Gelbflossenthunfisch scheren Sie sich nicht? (Setzen Sie statt Gelbflossenthunfisch ein, was immer Ihnen in den Sinn kommt, beim Whataboutism geht es nie um Inhalte, sondern immer nur um die Delegitimierung eines zur Sprache gebrachten Themas.)

Also, warum der Wirbel? Vielleicht, weil hinter Sofagate ja doch mehr steht als bloß eine Frage der diplomatischen Etikette? Sofagate hat gezeigt: Was immer du als Frau auch erreichst, es schützt dich nicht davor, dein Frausein plötzlich als Ausschließungs- und Abwertungskriterium um die Ohren geschlagen zu bekommen.

Um der Sache willen sollen Frauen dann ihr Selbstwertgefühl, ihre Würde, ihren Anspruch auf Respekt zurückstellen. Sie sollen sich einfach nicht so wichtig nehmen. Äh. So wichtig wie wer? Wie wichtige Männer?

Hätte Frau von der Leyen Unmut über ihre Behandlung gezeigt, wäre sie weltweit als überhebliche Zicke getadelt worden. Beherrscht hat sie daher so getan, als wär nix, aber, im Ernst, es war doch was. Eine hochrangige Politikerin hat vor der Geringschätzung eines frauenverachtenden Machthabers kapituliert, und dem hochrangigen Politiker, mit dem sie unterwegs war, ist (zunächst) nichts aufgefallen. Weil es so üblich ist. Weil es nicht ungewöhnlich war. Weil es sich so gehört hat, irgendwie. Wir Burschen unter uns.

Man stelle sich vor, hochrangige männliche Politiker würden bei Auslandsbesuchen in staatsmännischer Mission genötigt, im Hintergrund zu verharren, ihre Köpfe zu umhüllen, bodenlange Mäntel zu tragen, lächelnd zu dulden, dass man ihnen den Handschlag verweigert, über sie hinwegsieht und über sie hinwegredet. Das würde auffallen.

Das wäre ungewöhnlich. Da würde der Welt die Spucke wegbleiben.

Aber, ach, Unsinn. Wer soll sich denn so was vorstellen können?