Kolumne

Elfriede Hammerl: Friedensappell

Man kann die Petition von Schwarzer und Wagenknecht ablehnen. Aber warum mit so viel kriegerischer Wut?

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Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht haben via Twitter ein Friedensmanifest veröffentlicht und dazu eine Petition gestartet, mit der sie den deutschen Kanzler Scholz auffordern, den russischen Krieg gegen die Ukraine durch Verhandlungen zu beenden. Dafür werden sie kreuz und quer durch die sozialen Medien gewatscht. Tenor: Putinhandlangerinnen, Verrat an der Ukraine, Liste der Schande (gemünzt auf die Unterzeichner:innen), alte weiße Boomer-Scheiße, AfD-Propaganda und so weiter. 

Nun kann man diese Petition ja durchaus ablehnen. Aber die Wut, mit der das geschieht, erschreckt mich. Die persönlichen Angriffe auf Schwarzer und Wagenknecht, tief unter der Gürtellinie, erschrecken mich. Und die diffamierende Wiedergabe des Inhalts erschreckt mich. 

 Denn anders als behauptet ruft das Manifest die Ukraine keineswegs zur bedingungslosen Unterwerfung auf, und es verschiebt auch die Schuldfrage nicht. Wagenknecht und Schwarzer schreiben vielmehr: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges?“ Und warnen vor einer weiteren Eskalation: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.“ 

Man mag dieses Manifest für naiv halten oder für falsch oder für fehlgeleitet, wenn man davon ausgeht, dass Putin nicht für Verhandlungen zu gewinnen ist und dass kein Zugeständnis ihn davon abhalten wird, sich nicht nur die Ukraine einverleiben zu wollen, sondern auch andere ehemals zum Sowjetreich gehörende Länder. Aber die Frage, wie es weitergehen soll, wohin diese sich steigernden Kampfhandlungen führen werden und welches Ausmaß an Verwüstung noch auf die Ukraine zukommt, die ist nicht abwegig. Text des Manifests: „Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land.“ Dieser vorläufigen Bilanz ist schwer etwas entgegen zu halten. Und sie ist schrecklich. Warum dieser wüste Hass auf die Verfasserinnen, warum so viel Hohn und Verachtung für alle, die die Petition unterzeichnen?

Die bange Frage zu stellen, wohin das alles führen soll, ist kein Verrat von Prinzipien.

Weil man mit Aggressoren nicht verhandelt, entnehme ich den wütenden Reaktionen. Russland hat sich ins Unrecht gesetzt, jetzt muss es in die Schranken gewiesen werden. Jedes Zögern, den Krieg fortzusetzen, jeder Zweifel an der Notwendigkeit eines militärischen Sieges wäre Selbstaufgabe, Selbstvernichtung und die Preisgabe von Prinzipien. 

Darf man sich dessen vielleicht auch nicht sicher sein? In Betracht zu ziehen, dass Russland eine Übermacht ist, gegen die sich die Ukraine auf Dauer kriegerisch nicht behaupten kann (außer die EU und/oder die NATO steigen voll ein), heißt nicht, auf Seiten Russlands zu sein. Die verheerenden Folgen des Krieges zu sehen, ist kein Negieren der Ursache und des Aggressors. Und die bange Frage zu stellen, wohin das alles führen soll, ist kein Verrat von Prinzipien. 

Im Netz kursiert der Vergleich, dass man, würde man im eigenen Haus überfallen, mit den Angreifern ja auch nicht verhandeln würde, welches Zimmer man in Hinkunft noch benützen dürfe, sondern alles daran setzen, sie aus dem Haus zu vertreiben, mit Hilfe der Nachbarn, die einem anständigerweise helfen müssten. Aber, ehrlich, ich halte es für möglich, dass ich mich aufs Verhandeln verlegen würde. Nicht, weil mich so ein Überfall nicht unglaublich wütend machte, und schon gar nicht, weil ich ihn für rechtmäßig hielte, sondern aus Pragmatismus. Wenn die Hausbesetzer in der Überzahl wären und mir Schusswaffen an den Kopf hielten, würde ich lieber eine Benützungsregelung auszuhandeln versuchen als mein Schweizer Messer zu zücken. Der Vergleich hinkt natürlich, wie die meisten Vergleiche, ich will damit nur sagen, dass ich meinem Kampfgeist nicht unbedingt vertraue. 

Vielleicht habe ich deshalb ein Problem mit dem Kampfgeist, der gerade angesagt ist und Friedensappelle als feiges Kriechen vor dem Aggressor determiniert. Schwarzer und Wagenknecht haben leicht reden, die sitzen ja nicht in der überfallenen Ukraine? Stimmt, das Gleiche gilt aber auch für die Kriegsbefürworter, die ebenfalls in Sicherheit sind und nicht an einer Front.
 Vielleicht setzen Sie sich jetzt an den Computer, um mir in einem geharnischten Brief vorzuwerfen, dass ich keine Ahnung hätte von den wahren Motiven Schwarzers und Wagenknechts. Ja, stimmt, ich kann nicht in die beiden hineinsehen, aber das können auch diejenigen nicht, die ihnen Heuchelei und kaltherzige Wichtigtuerei im Sold Putins unterstellen. Ich unterstelle ihnen und allen, die das Manifest schon unterschrieben haben, daher ehrliche Besorgnis. Und besorgt bin ich auch, sogar sehr.