Neiddebatte
Neiddebatte!, heißt es, sobald öffentlich darüber nachgedacht wird, warum Reiche von den Zinserträgen ihrer unbesteuerten Milliardenerbschaften kommod immer reicher werden können, und schon verstummen die Nörgler:innen beschämt. Neiddebatte ist ein Totschlagargument. Aber warum zieht es niemand aus der Tasche, wenn der Wirtschaftsminister ein paar teilzeitbeschäftigten Pflegekräften ihre 30-Stunden-Woche neidet?
Darauf läuft es nämlich gerade hinaus. Der Wirtschaftsminister hat eine Debatte angestoßen, die Vollzeitarbeitskräfte animiert, Teilzeitbeschäftigten ihre (unbezahlte) Freizeit zu neiden.
Unentwegt wird hierzulande neiddebattiert, doch immer von oben nach unten. Soll heißen, die Ärmeren dürfen den Reicheren nichts neiden, ohne moralisch ins Zwielicht zu geraten, die Reicheren den Ärmeren schon. Gut verdienende Menschen im Terrasseneigentum neiden dem Hilfsarbeiter die Sozialwohnung, betuchte Pensionisten neiden der bettlägerigen Nachbarin das Pflegegeld, reichlich für etwaiges Arbeitsleid entlohnte Zeitungskommentatoren gönnen Arbeitslosen die Sozialhilfe nicht, was in ihrem Fall aber nicht Neid heißt, sondern dass sie sich Gedanken machen über unser aller ökonomische Verantwortung oder so.
Wobei: Arbeitsleid. Ist ungleich verteilt. Menschen in Führungspositionen behaupten in der Regel, nicht zu leiden bei ihrer Arbeit, sondern ihren Aufgaben mit Leidenschaft nachzugehen. Deswegen wollen sie auch von allen anderen, dass die ihre Pflichten leidenschaftlich erfüllen, egal, was für welche das sind.
Jetzt ist es aber so, dass leidenschaftliches Verrichten schwerer Arbeiten schon rein physisch oft schwerer fällt als die – von mir aus leidenschaftliche – Teilnahme an
Meetings oder das leidenschaftliche Debattieren über neue Sendeformate oder das leidenschaftliche Prüfen von Steuererklärungen.
Und auch psychisch macht es einen Unterschied, ob man Kranke pflegt oder unter Gesunden einer das Gemüt schonenden Tätigkeit nachgeht.
Davon abgesehen gibt es, sagen wir es offen, unfassbar öde Jobs, die auch von denen, die sie machen (müssen), als unfassbar öd empfunden werden. Doch, sehr geehrte Arbeitsmoralprediger, das ist so. Ich weiß, Sie geben sich gern der Überzeugung hin, dass diejenigen mit den öden Jobs eine speziell für öde Jobs geschaffene Spezies seien, der nicht auffällt, dass das, was sie tun muss, unfassbar öd ist, aber glauben Sie mir, dem ist nicht so. Die merken das. Das ist einer der Gründe, dass sie ihren Jobs nicht Vollzeit nachgehen wollen, sondern eventuell auf Work-Life-Balance pochen – weil es ihre Lebenszeit ist, die in die öden Jobs rinnt.
Und andere Jobs wiederum sind zwar vielleicht nicht unfassbar öde, aber doch so beschaffen, dass es schwerfällt einzusehen, warum sie einen Großteil der Lebenszeit wert sein sollen, die unwiederbringlich dahin ist, wenn man sie einmal da hineingesteckt hat.
Einem Beruf nachgehen zu können, der einen halbwegs gut ernährt und einem zudem das Gefühl gibt, kostbare Lebenszeit sinnvoll zu investieren, ist ein Privileg. Dessen sollte man sich bewusst sein.
Darüber hinaus sind wir alle immer wieder gezwungen, öde Pflichten hinter uns zu bringen, die einen mehr, die anderen weniger, und auch dabei zeigt sich eine Tendenz, öde Tätigkeiten schönzureden, sobald man sie jemand anderem zuschanzen kann. Ein Beispiel dafür ist die Care-Arbeit, von der Männer glauben, dass Frauen sie aus Lust und Neigung übernehmen. Und auch wenn es Frauen geben mag, die Erdäpfelschälen als wunderbare Gelegenheit zum Meditieren betrachten, ist es grundsätzlich erlaubt, Erdäpfelschälen (für Frauen wie für Männer) unter die weniger erfüllenden Tätigkeiten einzureihen. Aus dieser Kenntnis notwendiger, aber wenig freudenspendender Arbeiten ergibt sich jedoch nicht die Berechtigung, anderen Menschen die Erfüllung saurer Pflichten rund um die Uhr zuzuteilen.
Hinter der Klage über die um sich greifende Faulheit steht freilich eine nicht unberechtigte Furcht: dass die öden Jobs, die keiner machen mag, plötzlich auch an denen hängenbleiben, die ihnen bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen sind.