Eva Linsinger: Angst essen Partei auf

Die vermurkste Vermögenssteuerdebatte beweist endgültig: Die SPÖ zeigt geradezu masochistische Tendenzen zur Selbstzerstörung.

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Die Gemengelage erschien aussichtslos: eine katastrophale Wahlniederlage zu verdauen, ein vermeintlich unpopuläres Gutmenschen-Thema, noch dazu mit Hauptdarstellern, denen alles andere als Vorschusssympathien entgegenschlagen – junge männliche Flüchtlinge.

Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte es der Grüne Regionalpolitiker Rudi Anschober trotzdem. Er startete, quer gegen den dominanten Law-and-Border-Trend, im November 2017 seine „Ausbildung statt Abschiebung“-Kampagne. Ein gutes Jahr später finden sich unter den Unterstützern ÖVP-Schwergewichte wie Erwin Pröll neben knorrigen Kleinunternehmern, die für ihre Lehrlinge kämpfen.

Die Kampagne hat das Potenzial, in Polit-Lehrbücher einzugehen: Anschober zeigte im Alleingang, wofür die Grünen stehen und wofür man sie im Parteiengefüge braucht – und was man sogar als One-Man-Show erreichen kann, wenn man für ein Thema brennt und es mit Empathie, Ausdauer und guten Argumenten vertritt.

Mit anderen Worten: So funktioniert kantige Oppositionspolitik.

Die SPÖ exerziert im Moment genau das Gegenteil vor. Sie liefert ein erbärmliches Lehrstück dafür, wie man eben nicht Oppositionspolitik macht. In der völlig vermurksten Debatte um Vermögenssteuern werden wie unter einem Brennglas alle Probleme der darniederliegenden Partei augenscheinlich: Sie agiert so mut- wie konzeptlos, vergeudet Energie und Tagesfreizeit mit internen Scharmützeln und zeigt geradezu masochistische Tendenzen zur Selbstzerstörung.

Seit last woman standing Pamela Rendi-Wagner im September an die Parteispitze gespült wurde, ist sie öfter abgetaucht als präsent, hat zwar allerhand Vorschusslorbeeren eingeheimst, aber nicht einmal ansatzweise erkennen lassen, wo sie die SPÖ positionieren will. Mit einer einzigen Ausnahme: In gleich mehreren Interviews konnte sich die neue Nummer eins lediglich zu einem vagen Herumgedruckse zu Erbschafts- und Vermögenssteuern aufraffen. Der Grund für diesen radikalen Rechtsum-Schwenk bleibt ihr Geheimnis.

Denn der Sektor der Reichen-Versteher ist hierzulande mit den konservativ-wirtschaftsliberalen Parteien ÖVP, FPÖ und NEOS ohnehin mehr als üppig besetzt. Ein klares Bekenntnis zu einem Hauch mehr Verteilungsgerechtigkeit stellt für eine linke Partei wie die SPÖ ein Alleinstellungsmerkmal dar – eines der wenigen, über das sie verfügt. Strategisch spricht alles für ein flammendes Plädoyer der SPÖ für Reichensteuern.

Inhaltlich sowieso. 20 Milliarden Euro werden jährlich vererbt und, wie Vermögen generell, kaum oder gar nicht mit Steuern belastet. Der Anteil der Vermögenssteuern am Bruttoinlandsprodukt ist nur mit der Lupe erkennbar und liegt bei kümmerlichen 0,6 Prozent – im OECD-Schnitt ist er dreimal so hoch. Dafür wird Arbeit in Österreich mit Steuern weit über dem OECD-Schnitt bestraft. Man muss beileibe kein Klassenkämpfer sein, um diese paradoxe und leistungsfeindliche Schieflage zu kritisieren. Eine ganze Riege konservativer Ökonomen, vom Internationalen Währungsfonds (wirklich kein Hort der Kapitalismuskritik) bis zur OECD urgieren aus guten Gründen seit Jahren höhere Steuern auf Vermögen und niedrigere auf Arbeit. Aber ausgerechnet die Chefin der Arbeiterpartei SPÖ scheut sich, das zu argumentieren, und zeigt sich skeptisch.

Dem Rest der SPÖ bietet sie damit einen prächtigen Anlass, sie zu desavouieren und mit gönnerhaftem Unterton in die Schranken zu weisen. In der Disziplin Selbstzerfleischung hat die SPÖ mittlerweile reichlich Übung, fast mehr als die ÖVP in früheren Jeder-gegen-jeden-und-alle-gegen-den-Parteichef-Zeiten.

In anderen Fragen laviert die SPÖ ratlos. Bei der zentralen Politerschütterung des vergangenen Jahrzehnts, der großen Migrationsbewegung, begnügt sie sich damit, nach FPÖ und ÖVP die dritthärteste Partei sein zu wollen. Klingt dürftig? Ist es auch. In Bezug auf die zweite Disruption, die ebenfalls für Ohnmachtsgefühle, breite Verunsicherung und Zulauf für Rechtspopulisten sorgte – die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise –, blieb die SPÖ jede Antwort schuldig. Das Gefühl, das diese Erschütterung hinterließ, das Unbehagen gegenüber der Macht von Wirtschaftslobbys und Konzernen, böte ein lohnendes Betätigungsfeld für die Sozialdemokratie – zumal für eine, die sich in Opposition befindet und zu keinen Kompromissen mit dem Regierungspartner gezwungen ist. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der ideale Zeitpunkt, beherzte Konzepte vorzulegen? Wäre, böte: Doch über den Konjunktiv kommt die SPÖ nicht mehr hinaus.

Es ist derzeit verflixt leicht, Sebastian Kurz oder Heinz-Christian Strache zu sein.

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin