Leitartikel

Das Elend der SPÖ-Chefin

Pamela Rendi-Wagner wird seit Jahren auf Raten demontiert. Die schwelende Führungsfrage muss gelöst werden, die Methode Aussitzen ist gescheitert.

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Grundregel Nummer eins im Polit-Handwerk: Auf keinen Fall mitten im Wahlkampf über Personaltausch debattieren.  Das vertreibt Wählerinnen und Wähler, niemand will für eine Chaostruppe stimmen. Nicht einmal für dieses banale Einmaleins reicht die Disziplin in der SPÖ aus, sogar das Finale der Kärnten-Wahl wurde gründlich vermasselt. Eigentlich wollte Peter Kaiser ohne Störfeuer seinen Landeshauptmann-Sessel verteidigen, nach dem mauen Ergebnis in Tirol und der herben Niederlage in Niederösterreich ein Etappen-Erfolgserlebnis liefern. Doch Parolen zur Geschlossenheit verhallten, die rote Selbstzerstörung macht keine Pause. Ex-Granden wie Franz Voves fühlen sich bemüßigt, ihre Tipps für die ideale SPÖ-Führung beizusteuern – und fachen wie Brandbeschleuniger die Personaldebatte immer neu an.

Noch Fragen, warum sich die SPÖ in einer hartnäckigen Abwärtsspirale befindet?

Die Nerven liegen blank, selbst den größten Optimisten dämmert, dass auch Platz drei im Bund kein unrealistisches Horrorszenario ist. Auch deshalb wird in anschwellender Lautstärke debattiert, ob Pamela Rendi-Wagner die richtige Person an der Parteispitze ist, ob die SPÖ mit ihr Chancen hat, das Kanzleramt zurückzuerobern. Im Brustton der Überzeugung mit Ja antworten wenige, der Fansektor von Rendi-Wagner schrumpft. Und die Parteichefin  macht das, was sie am besten kann: Sie schweigt. Und bemüht sich, Querschüsse wegzulächeln. Ihr größter Trumpf bleibt: Die ewige Personaldebatte bleibt ohne Personal, es gibt keinen Gegenkandidaten, auf den sich alle einigen könnten. Hans Peter Doskozil drängt, hat aber innerparteiliche Gegner und das Handicap Stimme, Christian Kern gilt als wankelmütig, Alexander Wrabetz wäre die dritte Risikovariante Quereinsteiger in Folge, rote Darlings  wie Michael Ludwig wollen nicht. So bleibt es bei der Demontage der Parteichefin auf Raten, die immer tiefere Blessuren hinterlässt  und ihr politisches Kapital verbraucht.

Selbst Superwoman wäre überfordert, alle roten Baustellen im Alleingang zu übertünchen.

Aus dem Zustand des Elends kommt Rendi-Wagner seit viereinhalb Jahren, seit sie als „Last Woman standing“ an die SPÖ-Spitze gespült wurde, nicht heraus. Die Quereinsteigerin fremdelt mit der SPÖ – und die SPÖ mit ihr. Immer wieder, wenn die süffisanten Zurufe der roten Patriarchen zu quälend wurden, wenn Störenfried Doskozil zu forsch ihre Autorität untergrub, versuchte sie Befreiungsschläge: Rügte öffentlich ihre Kritiker. Setzte auf Inhalte und präsentierte  Industriepolitik. Ließ Verbündete ausrücken. Und ließ vor drei Jahren gar die 160.000 Parteimitglieder über sie abstimmen – eine Harakiri-Idee, die zur Überraschung vieler mit großer Zustimmung endete. Bloß: Es nützte Rendi-Wagner nichts. Die Zweifel an der SPÖ-Chefin, genüsslich befeuert von der politischen Konkurrenz, verstummten nie und kehrten nach jedem versuchten Befreiungsschlag mit neuer Wucht zurück.

Dafür gibt es gute Gründe. Nach viereinhalb Jahren an der SPÖ-Spitze weist Rendi-Wagner verflixt wenig auf der Haben-Seite auf: Sie heimste zwar für ihre zähe Hartnäckigkeit und ihre ausgeprägten Steherinnenqualitäten reihum Respekt ein. Genossen mit Langzeitgedächtnis halten ihr zudem zugute, dass sie die Partei in einer Krisensituation übernahm, in der alle anderen abwinkten. Bloß: Dankbarkeit war noch nie eine politische Kategorie.

Schwerwiegender noch: Die Liste der Versäumnisse von Rendi-Wagner ist deutlich länger als jene der Pluspunkte. Sie ist sympathisch, modern und eloquent – wirkt aber bei öffentlichen Auftritten oft durch Coachings bis zur Kenntlichkeit entstellt. Rendi-Wagners großer Vorteil, die unverbrauchte Frische der Anti-Politikerin, mit der sich Charaktere wie Irmgard Griss gerade in Zeiten grassierender Politikverdrossenheit abhoben, ging damit verloren. Umso deutlicher traten Defizite zutage: Rendi-Wagner verfügt über wenig Politinstinkt, reagiert oft zeitverzögert und mit fast schlafwandlerischer Sicherheit falsch. In der heiklen Asyl- und Migrationsfrage begnügt sich die SPÖ damit, nach FPÖ und ÖVP die dritthärteste Partei sein zu wollen, das Schengen-Veto trug sie mit, die Corona-Impfpflicht ebenso. Wer so agiert, kann schwer überzeugende Alleinstellungsmerkmale entwickeln.

Für eine Auffüllung der leeren SPÖ-Tanks und eine inhaltliche Frischekur hatte Rendi-Wagner fast fünf Jahre Zeit – sie hat sie versäumt. Auch deshalb schwächelt die SPÖ, und das  in einer Zeit, in der Teuerung, Reallohnverluste und Geldsorgen eigentlich Parade-Steilvorlagen bieten. Und noch dazu die ÖVP schwer angeschlagen in den Seilen hängt, beschädigt durch Korruptionsaffären, beschäftigt mit Dauerkrisen-Bewältigung. Wann, wenn nicht jetzt, will die Oppositionspartei SPÖ punkten?

Es mangelt an Personen, die thematische Elfmeter  verwerten könnten. Ein Spitzenteam rund um sich hat Rendi-Wagner nie aufgebaut, Kapazunder für Außen- oder Wirtschaftspolitik fehlen, wortgewandte Rhetoriktalente ebenso. Die Zahl der SPÖ-Spitzenpolitiker, die unfallfrei und ohne Apparatschik-Anticharme eine Fernsehdiskussion überstehen, ist überschaubar. Auch die personelle Erneuerung: verpasst.

Strategische Schwammigkeit, inhaltliche Beliebigkeit, mangelnde Strahlkraft des Personals: Die Probleme der SPÖ sitzen tief. Selbst Superwoman wäre damit überfordert, all diese Baustellen im Alleingang zu übertünchen. Superwoman ist nicht in Sicht, Superman auch nicht. Dennoch ist es für die SPÖ höchste Zeit, die schwelende Führungsfrage zu lösen.

Die Methode Aussitzen funktioniert nicht. Das haben die Wochen vor der Kärnten-Wahl unabsichtlich, aber eindrucksvoll bewiesen.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin