Eva Linsinger
Leitartikel

Eva Linsinger: Die Corona-Show

Die Politik der Angstmache ist gescheitert, plumpe PR-Aktionen helfen niemandem. Höchste Zeit, dass die Regierung zu seriösem Krisenmanagement zurückfindet.

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Wenn man Heinz-Christian Strache heute fragt, welchen Aspekt seines legendären Ibiza-Auftritts er für den verwerflichsten hält, antwortet er allen Ernstes: sein figurbetontes T-Shirt.  Bei einem so homöopathischen Ausmaß an Schuldbewusstsein erscheint es nur konsequent, dass strafrechtliche Ermittlungen und andere Petitessen, die bei Menschen mit intakten Moralstandards für mehrere Rücktritte reichen würden, ihn keineswegs daran hindern, bei der Wahl in Wien anzutreten – im Verbund mit Verschwörungstheoretikern, Chemtrails-Gläubigen,
Corona-Leugnern und Antisemiten. Straches Liste hat durchaus reale Chancen, im Herbst in den Wiener Gemeinderat einzuziehen.


Wer gerne Aluhüte trägt und Corona für eine Erfindung von Bill Gates oder der Illuminati hält, ist bei Strache gut aufgehoben. Ein gewisses Maß an dadaistischem Unsinn muss eine Demokratie aushalten, einige Wähler, die zu Extrempositionen tendieren, auch. Das gravierendere Problem wurzelt woanders: Strache und seine Ex-Partei, die FPÖ, bedienen das anschwellende Unbehagen über die Corona-Maßnahmen – und die türkis-grüne Koalition hat dem derzeit zu wenig entgegenzusetzen. Die erste Phase, den Lockdown, bewältigte die Regierung souverän und entschlossen, doch nun gerät sie gehörig ins Trudeln: Unkoordiniertes Hin und Her, peinlicher Populismus, plumpe Marketing-Gags und krasse Schieflagen prägen den aktuellen türkis-grünen Corona-Kurs.


Finanzminister Gernot Blümel hat zwar recht, wenn er es als „unsensibel“ geißelt, dass die AUA ihrer Führungscrew satte Boni zahlen wollte. Nur hat er leider vergessen, dass er selbst es in der Hand gehabt hätte, derartige Praktiken zu verhindern. Bekanntlich wurde die AUA mit Hunderten Millionen an Corona-Hilfen via Steuergeld gerettet. Vielleicht sollte sich Blümel doch einen Laptop zulegen, um den Überblick zu bewahren. Sonst fühlen sich Unternehmen, die um ihr Überleben ringen, Arbeitslose, Menschen in Kurzarbeit und Steuerzahler zu Recht gefrotzelt.


Dieses leidige Prinzip „Wir haben keine Fehler gemacht, schuld sind immer die anderen“ prägt derzeit das Covid-19-Krisenmanagement. Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt, das „Virus kommt mit dem Auto“, schwingt die falsche Botschaft mit: Die Bedrohung kommt ausschließlich aus dem Ausland. Virologen können zwar vorrechnen, dass nur ein Fünftel der Erkrankungen importiert ist, aber was zählen dröge Fakten? In der Rolle des unschuldigen Opfers hat sich Österreich immer schon besonders wohlgefühlt.

"Aktionismus und Populismus werden nicht weiterhelfen, eine Politik der unnötigen Angstmache auch nicht. "


Und offenbar muss die Balkanroute in regelmäßigen Abständen mit lautem Gedöns geschlossen werden; auch heuer will die ÖVP nicht auf ihren großen Hit verzichten. Oder von ihrem Politmuster abweichen, reale Probleme als Vehikel für platte Propagandatricks zu nutzen. Natürlich verdient das Viruszentrum Kroatien Aufmerksamkeit, selbstredend ist es sinnvoll, Urlaubsrückkehrer zu testen und die Methode Massentest zu erproben. Nur: Warum braucht es die dreiste Marketing-Begleitmusik? Wieso fordert Kanzler Kurz mit großer Geste Grenzkontrollen und mehr Engagement der Gesundheitsbehörden? An wen richtet sich diese dringliche Forderung – an die Regierung?


Kurz ist Regierungschef. Wenn er Maßnahmen für notwendig hält, soll er sie umsetzen. Alles andere fällt unter die Kategorie Ablenkungsmanöver. Außerhalb Österreichs werden sie schnell durchschaut. Für Oslo und London gilt Österreich mit seinen gestiegenen Infektionszahlen bereits als Risikogebiet, Quarantänepflicht inklusive. Gut möglich, dass andere diesem Beispiel folgen.Die PR-Masche, wonach in Österreich alles prächtig läuft und das Virus „mit dem Auto“ von außen eingeschleppt wird, verfängt nur bedingt. Die Virenschleuder Ischgl ist nicht vergessen.Da gäbe es reichlich Handlungsbedarf für die Regierung: Wie soll der Wintertourismus ablaufen?Wird es Ballermann-Après-Ski geben – und wenn ja, nach welchen Regeln? Vielleicht schafft es Gesundheitsminister Rudolf Anschober doch noch, eine Verordnung zu erlassen, die nicht vor schludrigen Fehlern und haarsträubenden Widersprüchlichkeiten strotzt.


Aktionismus und Populismus werden nicht weiterhelfen, eine Politik der unnötigen Angstmache auch nicht. Wenn die Regierung vermeiden will, massive Glaubwürdigkeitsverluste zu erleiden, braucht sie ein seriöses und nachvollziehbares Corona-Krisenmanagement. Sonst wird das Verständnis in der Bevölkerung bröckeln – auch abseits der Aluhut-Fraktion.

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin