Leitartikel

Don’t look up!

Die Klimakatastrophe ist kein Zukunftsszenario. Sie passiert jetzt, mitten in Österreich. Wann wacht die Politik endlich auf?

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Orkanböen in Kärnten und der Steiermark, Unwetter, Stürme, Blitzeinschläge. Tote. Abgedeckte Häuser, Verwüstung. Gletscher in Tirol schmelzen ihrem baldigen Ende entgegen. In Vorarlberger Orten sind die Trinkwasserbehälter leer, mit 2500 Meter langen Schläuchen und Tankwagen wird mühevoll eine Notversorgung konstruiert,  Bürgermeister verordnen striktes Wassersparen. Der Grundwasserspiegel sinkt und sinkt. Das Burgenland stöhnt unter Trockenstress, Seen trocknen aus, tonnenweise tote Fische werden mit Baggern aus dem Schlamm geschaufelt. 

Momentaufnahmen wie aus einem Horrorfilm. August 2022 in Österreich. Wie quer durch Europa brütet die schlimmste Dürre seit 500 Jahren, großflächige Waldbrände toben, Temperaturrekorde purzeln. Die Wasserknappheit ist derart drastisch, dass einige Regentage wenig helfen. Mit veritablen wirtschaftlichen Konsequenzen: Donau-Schiffe fahren nur mehr mit einem Drittel der Ladung. Wasserkraftwerke erzeugen 14 Prozent weniger Strom. Ernteausfälle von 100 Millionen Euro drohen.

Hitzewellen. Hitzetote. Dürre. Zwischendurch wüten Unwetter mit Gewittern, Murenabgängen, Überflutungen. Apokalyptische Szenen prägen den Rekordsommer 2022. Und machen selbst für verstockte Zweifler offensichtlich: Die Klimakatastrophe, das ist kein theoretisches Vielleicht-Szenario, das zauselige Wissenschafter für irgendwann in der fernen Zukunft und für die ferne Arktis prognostizieren. Das Gegenteil ist wahr: Wetterextreme nehmen durch den Klimawandel massiv zu, die Klimakatastrophe passiert schneller und gravierender als befürchtet. Sie ist mittlerweile mit freiem Augen sichtbar – und  längst Realität, auch in Österreich.

Das hat Folgen: Die Zeit ist vorbei, in der man sich in der Illusion wiegen konnte, ein paar läppische Verhaltensänderungen (einmal im Biogeschäft einkaufen, einmal  das Auto stehen lassen) würden locker ausreichen, um den Klimawandel zu bewältigen. Und ansonsten können alle getrost weitermachen wie bisher. 

Die Konsequenz dieser geballten Mutlosigkeit: Die neueste Treibhausgas-Bilanz ist verheerend, die Emissionen steigen, statt zu sinken.

Wegschauen wird nicht mehr helfen. Klimakatastrophe ist jetzt und hier, verstärkt durch die Energiekrise, sie würde dringend radikales  Handeln erfordern. Betonung auf würde – denn Österreichs Politik befindet sich immer noch im gemächlichen Modus: Schauen wir einmal, so schlimm wird es schon nicht werden – ganz so, als ob der Katastrophensommer 2022 nicht stattfindet. 

Beispiele gefällig? Klimaministerin Leonore Gewessler würgt die Debatte über Tempo 100 auf der Autobahn einfach ab – obwohl Geschwindigkeitslimits eine schnell umsetzbare Maßnahme ohne Investitionskosten sind, die erkleckliche 0,8 Millionen Tonnen  pro Jahr einsparen würden. Das ist immerhin bereits ein Fünftel der CO2-Menge, die 
Österreich versprochen hat, im Verkehr zu reduzieren. Und ausgerechnet eine grüne Politikerin, die bei der Energiewende durchaus Meriten hat, traut sich nicht, das Thema anzugreifen?

Oder: Daniel Fellner, SPÖ-Landesrat in Kärnten, der allen Ernstes zu Protokoll gibt, er „hasse“ Windräder: „Mit den hässlichen Windrädern sollen sich die Burgenländer abfinden. Auf unseren Almen brauchen wir das nicht.“ Ganz sicher findet Fellner hohe Stromrechnungen und große Energieabhängigkeit viel schöner. Sein Landesrats-Kollege in Tirol, ÖVP-Politiker Josef Geisler, zeigt auch nicht mehr Einsicht und behauptet, Windkraft in Tirol sei „wirtschaftlich nicht sinnvoll“. Wie er darauf kommt, bleibt sein Geheimnis, Experten können penibel das Gegenteil vorrechnen. Das hindert Politiker wie die beiden nicht, faktenbefreit Unfug zu behaupten, in der Annahme, die p. t. Wählerschaft wolle das hören. Noch Fragen, warum in Tirol, Salzburg und Vorarlberg bis heute kein einziges Windrad steht und in Kärnten nicht mehr als lächerliche zwei? Was muss passieren, bis Umdenken einsetzt?

Die Konsequenzen dieser geballten Mutlosigkeit und gesammelten Ignoranz ist in Zahlen ablesbar: Die neueste Treibhausgas-Bilanz ist verheerend, die Emissionen stiegen um satte 4,8 Prozent – dabei sollten sie sinken, wenn Österreich seine Klimaschutzziele nicht meilenweit verfehlen will. Oder: Riesige Supermarktplätze an Ortsrändern, Zersiedelung – Österreich ist beim Zubetonieren unrühmlicher Europameister. Erhebliche 11,5 Hektar Äcker und Wiesen werden  pro Tag versiegelt, das entspricht 16 Fußballfeldern. Diesen Flächenfraß, der zu mehr Hitze, mehr Verkehr, niedrigem Grundwasser führt, beklagt eine Institution, die es wissen muss: die Hagelversicherung. 

Um radikal andere Raumordnungspolitik wird Österreich nicht herumkommen, auch nicht um neue Wege in der Verkehrspolitik – schon gar nicht um fantasievolle Konzepte, welche Landwirtschaftspolitik angesichts der neuen Klimaverhältnisse sinnvoll ist: Was wo anbauen? Wo bewässern?

Keine Frage: Es wäre falsch, zu behaupten, dass Österreichs Politik nichts gegen die Klimakatastrophe unternimmt. Aber: Es passiert zu wenig, die Politik agiert zu langsam, zu zögerlich, zu wenig einschneidend – nach dem Film-Motto: Don’t look up. Wie viele Katastrophensommer braucht es noch, bis die Politik aufwacht? 

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin