Eva Linsinger

Eva Linsinger: Kusch!

Das Koalitionsprinzip „das Beste aus beiden Welten“ funktioniert bisher nur für die ÖVP und Kanzler Sebastian Kurz.

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Belesen, mit ausgesuchtem Faible für feinen Witz und (Selbst-)Ironie, außerordentlich höflich: Eigentlich verkörpert Außenminister Alexander Schallenberg in Habitus und Wortwahl den Prototyp eines geschulten Diplomaten, der aus Familientradition gewohnt ist, der Republik zu dienen. Gäbe es ein Casting für die Rolle eines modernen, aber soignierten Konservativen – Schallenberg würde es hochkant gewinnen. Umso auffälliger die barsche Tonalität, mit der Schallenberg Regierungskollegen Rudolf Anschober in die Schranken verwies: Anschobers Meinung sei nicht relevant, tönte Schallenberg. Noch deutlicher wäre nur mehr ein „Kusch!“ gewesen – für die unmissverständlich-demütigende Botschaft: Alle schön ruhig sein, hier regiert die ÖVP!

In Fall Anschobers ging es um die Mittelmeerrettungsmission „Sophia“ (ÖVP dagegen, Grüne dafür) – es hätte auch um eine der vielen anderen Law-and-Border-Duftmarken gehen können, von Kopftuchverbot über Asylzentren bis zu Sicherungshaft, die ÖVP-Minister seit Regierungsstart gezielt setzen. Denn Schallenbergs Zurechtweisung fügt sich nahtlos in die bisherige Grundaufstellung der türkis-grünen Koalition ein: Die ÖVP gibt im Dauerfeuer-Modus Themen, Tempo und Richtung vor – die Grünen hingegen müssen sich mit der undankbaren Adabei-Rolle begnügen. Sie kamen bisher neben der gut geölten türkisen Regierungs- und Inszenierungsmaschinerie über ein Statistendasein nicht hinaus – in graduell unterschiedlicher Ausprägung: Manchmal wussten sie nicht, wie ihnen geschieht. Manchmal schwiegen sie schallend. Manchmal wagten sie schüchtern Einspruch – um, wie Anschober, prompt abgeschasselt zu werden. Als Konsequenz bleibt immer dasselbe klare Signal: Die ÖVP kraftmeiert und markiert deutlich, wer Chef im Koalitionshaus ist und das Sagen hat.

Nur keine Panik, immer schön locker bleiben, nicht bei jeder Twitterblasenentzündung hyperventilieren: Mit dieser Coolness-Devise begegnet Grünen-Chef Werner Kogler dem anschwellenden Unbehagen im Grünen-Fansektor – und hat nicht ganz unrecht. Türkis-Grün ist erst wenige Wochen im Amt, Einarbeitungszeit und einige Anfängerfehler müssen den Regierungs-Novizen zugestanden werden, die gerade erst von der außerparlamentarischen Opposition in die Koalition gewechselt sind und denen es selbst an Basisausstattung wie Personal mangelt.

Auch diese Koalitionswoche bot keine Zusammenarbeit à la 'Leben und leben lassen'.

Bloß: Rollenmuster können sich rasch verfestigen. Je öfter die Methode „ÖVP bestimmt den Kurs, Grüne sind Passagiere“ praktiziert wird, desto wahrscheinlicher wird sie zur Regel. Viel Übung gibt es mit außergewöhnlichen Senior-Junior-Konstellationen wie Türkis-Grün nicht: Nur zwei Mal in der Geschichte der Zweiten Republik klaffte das Kräfteverhältnis noch weiter auseinander, bei SPÖ-FPÖ 1983 bis 1986 (als die FPÖ haarscharf am Rauskick aus dem Parlament vorbeigeschrammt war) und bei ÖVP-FPÖ 2003 bis 2006 (als die FPÖ heilfroh war, nach Knittelfeld zumindest in Restbeständen zu existieren). Best-Practice-Beispiele, wie eine gedeihliche 37-zu-14-Prozent-Partei-Zusammenarbeit klappen kann, existieren nicht. Wesentlicher noch: Die ÖVP wird wenig Anlass sehen, ihr Dominanzverhalten zu verändern. Warum auch, aus ihrer Sicht funktioniert es prächtig.

„Das Beste aus beiden Welten“, lautet das türkis-grüne Motto – bisher kann nur einer das Optimum aus beiden Welten für sich herausholen: Bundeskanzler und Weltenbummler Sebastian Kurz, wie er vergangene Woche beim Besuch bei Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vorexerzierte. Kurz wusste die internationale Bühne stets geschickt für sich zu nutzen – diesmal reiste er auch noch unbelastet vom ewiggestrigen Mief von Ex-Koalitionspartner FPÖ an, sein Image durch die Grünen neu poliert, bereit zum Glänzen als Kanzler einer Zukunftskoalition. Inhaltlich gab Kurz unverändert den Anti-Merkel und Hardliner, ganz so, als ob Türkis-Blau noch quicklebendig wäre. Die 250.000 von der FPÖ zur ÖVP gewanderten Wähler werden es zu honorieren wissen. Für Kurz in der Tat das Beste aus beiden Koalitionspartner-Welten. Und die Grünen? Sie sind bei EU-Budget oder Migration anderer Ansicht? Scheint für Kurz nicht weiter relevant, für Österreich und mit anderen Regierungschefs spricht der Chef, auf EU-Ebene zählt seine Meinung. Punkt.

Das fällt umso mehr ins Gewicht, als umgekehrt andere Spielregeln gelten. Natürlich ist Kurz’ Meinung zur Justiz relevant, wie selbstverständlich gibt er auch noch den Super-Justizminister und lädt zum Justiz-Gipfel im Kanzleramt. Immerhin, die grüne Justizministerin Alma Zadić darf auch dabei sein – und kann den Minimalerfolg für sich verbuchen, das Treffen mit den Staatsanwälten vom „Runden Tisch“ zur „Aussprache“ downgegradet zu haben.

Klar, man soll den Start nicht überbewerten. Aber: Auch diese Koalitionswoche bot keine Zusammenarbeit à la „Leben und leben lassen“. Und ewig wird den Grünen das Prinzip „Hauptsache, mitregieren“ nicht reichen.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin