Franz Schellhorn
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Franz Schellhorn: Italienische Verhältnisse am Ballhausplatz

Wie man es auch dreht und wendet: Die Bürger dieses Landes steuern auf ruppige Zeiten zu. Die Regierungen gehen, die drängenden Probleme bleiben.

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Noch ist nicht klar, wie es in diesem Land weitergehen soll. Nur eines lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: Die einzige Konstante der kommenden Monate und möglicherweise Jahre wird die Instabilität sein. Das Land hat die Wahl zwischen der Fortsetzung einer schwer angeschlagenen Koalition und den dritten Neuwahlen innerhalb von nur fünf Jahren. Das würde selbst in Italien für Aufsehen sorgen. Und auch nach einem möglichen Urnengang drohen „italienische Verhältnisse“. Die ÖVP würde nach zwei Scheidungen kaum noch einen Koalitionspartner finden. Wer sollte mir ihr noch regieren wollen? Die Folge wären zähe und lange Verhandlungen der anderen Parteien.

Es sei denn, eine Koalition aus SPÖ, Grünen und NEOS verfügte über eine parlamentarische Mehrheit. Aber auch das ist höchst ungewiss, nicht zuletzt angesichts eines möglichen Einzugs der Impfgegner. Womit eine ohnehin schwer zu steuernde Dreierkoalition von der Duldung der FPÖ oder der ÖVP abhängig wäre. Eine naheliegende Variante wäre ein Regierungsübereinkommen zwischen SPÖ und FPÖ – aber auch diesen beiden Parteien fehlt die Aussicht auf eine stabile Mehrheit.

Weshalb viele Beobachter und wohl auch einige Politiker noch immer darauf hoffen, dass sich die ÖVP von Sebastian Kurz löst, einer der verbliebenen Parteigranden die Regierungsspitze übernimmt und die Koalition mit den Grünen fortsetzt. Doch wer sollte das sein? Einer der „schwarzen“ Landeshauptleute? In der gesamten Geschichte der Zweiten Republik gibt es nur einen einzigen Landeshauptmann, der in die Bundespolitik wechselte: Josef Klaus. Das ist kein Zufall. Ein Landeshauptmann muss sich keine Minute um das Eintreiben von Geldern kümmern, sondern diesen nur dabei zusehen, wie sie druckvoll durch die ländlichen Türen strömen, um dann unters Volk gebracht zu werden. Zudem kann sich der Landesfürst den ORF-Landeschef aussuchen, und das Risiko auf Abwahl ist ein höchst überschaubares. Wer würde diesen lauschigen Platz im föderalen Paradies freiwillig mit dem Schleudersitz am Ballhausplatz tauschen? Zumal davon auszugehen ist, dass das nicht die letzten Chatprotokolle waren, die das Licht der Öffentlichkeit erblicken.

Wer in den vergangenen Tagen aufmerksam zugehört hat, weiß, dass eine vorübergehende Vierparteienkoalition nicht unwahrscheinlich ist, um Neuwahlen zu verhindern. Mit einer einzigen Partei auf der Oppositionsbank – der ÖVP. Diese Variante wäre zwar aufgrund der vielen inhaltlichen Unterschiede nicht von Dauer, würde den vier künftigen Regierungsparteien aber wertvolle Zeit verschaffen, um sich finanziell und personell auf einen unausweichlichen Wahlkampf vorzubereiten.

Wie man es auch dreht und wendet: Die Bürger dieses Landes müssen sich auf ruppige Zeiten einstellen. Die Regierungen gehen, aber die Probleme bleiben – und sie wachsen. Während Tausende Betriebe händeringend nach Arbeitskräften suchen, ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Qualität der staatlichen Leistungen sinkt, während ihr Preis unaufhörlich steigt. Selbst wenn die „größte Entlastung in der Geschichte der Zweiten Republik“ noch beschlossen werden sollte, wird Österreich ein Höchststeuerland bleiben. Das liegt insbesondere an der exzessiven Belastung des Faktors Arbeit. Der Staat beansprucht nahezu die Hälfte der Arbeitskosten eines Durchschnittsverdieners für sich. Nur zwei Länder liegen hier schlechter als Österreich: Belgien und Deutschland. Womit die Arbeitnehmer dieses Landes gemessen an den Arbeitskosten die drittniedrigsten Nettolöhne in der gesamten Europäischen Union haben.

Die Leistungen des Staates bleiben nur leider hinter seinen finanziellen Forderungen zurück. Während die Steuerzahler immer stärker in Anspruch genommen werden, steuert das öffentliche Pensionssystem auf den finanziellen Kollaps zu. Zwischen den Einzahlungen der Aktiven und den Auszahlungen an die Pensionisten klafft eine Lücke von 24 Milliarden Euro. Und das jedes Jahr. Nun wissen wir, dass die Zahl der Pensionisten bis 2050 um 1,1 Millionen steigen wird. Was wir aber noch nicht wissen, ist, wie die weniger werdenden Jungen mit diesen finanziellen Lasten zurechtkommen sollen. Aber im Parlament findet sich nicht einmal eine Mehrheit, die bereit wäre, das Pensionsloch zumindest einzudämmen.

Die Sozialversicherungsbeiträge der Bürger zählen zu den höchsten weltweit. Gleichzeitig hat der Staat kein überzeugendes Konzept, wie die Pflege einer älter werdenden Gesellschaft zu finanzieren ist. Kaum ein Bildungssystem ist so teuer wie das österreichische – und kaum eines ist so ineffizient. Alle Eltern, die während der Pandemie schulpflichtige Kinder hatten, wissen, wovon die Rede ist.

Die Bürger dieses teuren Staates hätten sich Lösungen verdient. Stattdessen bekommen sie ein Land, das auf die Unregierbarkeit zusteuert. Instabilität heißt die neue Konstante.