Franziska Tschinderle
Franziska Tschinderle

Der Balkan darf nicht Österreich werden

Was wir von Beitrittsländern verlangen – und welches Vorbild wir ihnen geben.

Drucken

Schriftgröße

In Österreich gibt es derzeit nur ein Thema: die Hausdurchsuchungen im Umfeld von Sebastian Kurz. Darum soll es in diesem Kommentar eigentlich nicht gehen, sondern um die europäische Zukunft des Westbalkans. Und doch wird die Affäre Kurz am Ende auch hier eine Rolle spielen.

Ich möchte Sie zunächst an den Ort mitnehmen, an dem der Kanzler erfahren hat, dass die Bombe geplatzt ist. Es handelt sich um ein nobles Renaissanceschloss in Slowenien, umgeben von Wäldern, Wiesen und Bergen. Eine sattgrüne Kulisse für den vielleicht schwärzesten Tag der Volkspartei.

Schloss Brdo ist der Name dieses Anwesens; von den Habsburgern errichtet, später vom jugoslawischen Präsidenten Tito als Residenz benutzt. 20 Kilometer nördlich beginnt Österreich.

Hier versammelten sich diese Woche die EU-Staats- und Regierungschefs, um über ein Thema zu sprechen, das eine Erfolgsgeschichte hätte sein können, das aber in einer Sackgasse gelandet ist: die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan.

Der Westbalkan, das sind die Länder Serbien, Kosovo, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien. Fünf von ihnen waren Teil von Jugoslawien, ein Vielvölkerstaat, der in den 1990er-Jahren in blutigen Kriegen zerfallen ist. Das ist mittlerweile 30 Jahre her.

Geopolitisch gesprochen – natürlich nicht geografisch – bilden diese sechs kleinen Länder eine Insel. Sie sind umgeben von ein bisschen Wasser und viel Landmasse, die bereits zur Europäischen Union gehört. Seit bald 20 Jahren will Brüssel diese Insel in die Union eingemeinden. Aber das will nicht gelingen.

Während Deutschland unter der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel für eine Erweiterung plädiert, steht Paris seit Jahren auf der Bremse: Die EU müsse sich erst selbst reformieren, bevor sie sechs Neue an den Tisch lasse.

Der EU-Beitrittsprozess ist äußerst technisch und vielleicht auch deswegen unpopulär.

Es geht um die Verzahnung von Verträgen und Verwaltungsstrukturen, Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres, aber auch: Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Letzteres ist das Herzstück der Annäherung – und laut dem Südosteuropa-Experten Florian Bieber angstbesetzt. „Frankreich befürchtet, dass man sich mit den Westbalkanländern eine Reihe von Rechtsbrechern ins Boot holt, also alles kleine Orbáns“, sagt er. Gleichzeitig, so Bieber, gebe die EU derzeit ein wahrlich schlechtes Vorbild ab, an dem sich Reformer in der Region orientieren könnten.

Ich finde: Österreich hat seinen Anteil daran.

Wie den Albanern eine Justizreform abverlangen, wenn die ÖVP am laufenden Band Staatsanwälte attackiert? Wie die Serben zu mehr Pressefreiheit ermahnen, wenn das Umfeld des österreichischen Kanzlers unter Verdacht steht, sich Boulevardmedien gekauft zu haben?

Auf dem Balkan gibt die österreichische Regierung den Korruptionsbekämpfer – während die WKStA zu Hause Freunderlwirtschaft und Bestechlichkeit beklagt.

Das wurde mir vergangene Woche bei einer Gesprächsrunde im Bundeskanzleramt bewusst. Sie fand – wie es der Zufall so will – am Tag der Hausdurchsuchungen statt. Neben profil war noch ein Kollege der „Wiener Zeitung“ eingeladen. EU-Bundesministerin Karoline Edtstadler, Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und mehrere Botschafter, darunter die ehemalige ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik, trafen sich zum Austausch über die Rolle der Europäischen Union in der Welt. „EU-Zukunftslabor“ heißt dieses Format.

Die Runde war sich einig: Dem Balkan müsse eine Perspektive eröffnet werden wie einst den Ländern Osteuropas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Das klingt optimistisch, kommt nach knapp 20 Jahren Warterei aber wie eine Floskel daher. Denn: Die Rechtsstaatlichkeit auf dem Balkan war bei dem Treffen Thema. Die Korruptionsermittlungen gegen die eigene Partei nicht.

Ich ging mit gemischten Gefühlen aus dieser Unterhaltung. Österreich gehört – neben Deutschland – in der Tat zu den lautesten Befürwortern einer Erweiterung. Das ist ein mutiges Signal, denn Umfragen zeigen, wie unpopulär das Thema in der Bevölkerung ist.

Aber haben wir die Strahlkraft, jungen Menschen aus der Region als Vorbild zu dienen? Sie lesen, was derzeit über Kurz in den Schlagzeilen steht. Untreue und Bestechlichkeit. Es gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Aber der Image-Schaden ist da: All das erinnert an so manche Polit-Affäre aus dem ach so korrupten Balkan, den man (noch nicht) in der Familie haben möchte.

Aus den sozialen Netzwerken hagelt es Häme: Ist das die Balkanisierung Österreichs? Ich halte diesen Vergleich für fatal, weil er Klischees festigt. Immer dann, wenn es nach Korruption riecht, muss eine ganze Region als Referenz herhalten. Politiker aus Westeuropa verkünden hochmütig: „Werdet so wie wir, und alles wird gut!“

Bitte nicht!

Am Sumpf, durch den die ÖVP gerade watet, sollte sich kein Beitrittskandidat orientieren.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.