Franziska Tschinderle: Nachbarschafts-Hilfe

Sloweniens Pressefreiheit steht unter Druck. Warum Österreich hinsehen muss.

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Ein europäisches Land, in etwa so groß wie Niederösterreich, ist dabei, das nächste Ungarn zu werden. Es liegt zwischen Adria und Alpen und hat zwei weltberühmte Exporte hervorgebracht: Cremeschnitten und Melania Trump.

Ersteres ist eine goldbraune Mehlspeise mit Vanille, die „kremšnita“ genannt wird. Letztere ist eine in Jugoslawien geborene Frau, die Mitte der 1990er-Jahre nach New York auswanderte, einen reichen Unternehmer heiratete und 2016 an seiner Seite ins Weiße Haus einzog.

Beides – das Dessert und die ehemalige First Lady – ist für den Tourismus des kleinen Landes förderlich. 2019 wurde Melania sogar eine aus einem Baumstamm geschnitzte Statue errichtet. Dass diese ausgerechnet an einem 4. Juli, dem Nationalfeiertag der USA, Feuer fing und durch eine Bronzeskulptur ersetzt werden musste, hat ihre Berühmtheit noch gesteigert.

Es geht um Slowenien. Unauffällig, erfolgreich, politisch stabil – Österreichs südlicher Nachbar ist dafür bekannt, ein ruhiges Fleckchen Erde zu sein. Mit Janez Janša, seit einem Jahr Regierungschef, ändert sich das. Janša, ein glühender Anhänger von Donald Trump, führt einen erbitterten Kampf gegen die Medien in seinem Land. Dabei hätte alles ganz anders kommen können.

Slowenien war einst die reichste Teilrepublik Jugoslawiens, in der sich Künstler und Intellektuelle selbstbewusst Freiräume erkämpften und den Machtanspruch der Kommunistischen Partei infrage stellten. Ihr Sprachrohr, ein Magazin namens „Mladina“, enthüllte Ende der 1980er-Jahre Pläne der jugoslawischen Armee, die slowenische  Demokratiebewegung niederzuschlagen. Der Journalist, der die sensiblen Dokumente veröffentlichte? Janez Janša. 30 Jahre später baut er die Freiheiten, für die er als junger Mann gekämpft hat, Schritt für Schritt ab.

Pressefreiheit ist für Janša mittlerweile ein Fremdwort. Er bezeichnet Journalistinnen als „Prostituierte“ und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „totalitär“. Derzeit wettert Janša gegen Sloweniens Nachrichtenagentur, der er vorwirft, ein „politisches Werkzeug der extremen Linken“ zu sein. 

Die Pandemie spielt Janša in die Arme: Zwar dürfen sich bis zu zehn Personen im Freien treffen, aber nur zum Spazierengehen, nicht zum Demonstrieren. Wandern, angeblich Janšas liebste Freizeitbeschäftigung, ist weiterhin erlaubt. Auf dem Instagram-Profil des slowenischen Regierungschefs finden sich Gipfel-Selfies mit seinem österreichischen Amtskollegen Sebastian Kurz. Gut für Janša, der sich gerne als Demokrat und Proeuropäer inszeniert. Problematisch für Kurz, der sich mit Janša eine Mitgliedschaft in der Europäischen Volkspartei (EVP) teilt. Die hat angekündigt, rote Linien zu Rechtspopulisten ziehen zu wollen. 

Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Slowenien übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Ein guter Zeitpunkt, um Janšas Entgleisungen etwas entgegenzusetzen.Bereits jetzt können wir dabei zusehen, wie sich in Slowenien die Geschichte wiederholt.

Wieder einmal trampelt ein EVP-Mitglied vor aller Augen auf der Pressefreiheit herum und profitiert dennoch von EU-Geldern. Wie umgehen damit? Seit 1. Jänner existiert eine Lösung dafür: der neue Rechtsstaatsmechanismus. Er macht es möglich, EU-Gelder an die Einhaltung von Grundwerten zu koppeln. Jetzt muss man beweisen, dass Sanktionen nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis existieren. 

Nur so bleibt die EU glaubwürdig nach außen, insbesondere auf dem Balkan, wo Russland und China an Einfluss gewinnen. Janša führt eine Erweiterung in der Region ad absurdum. Wie Montenegro oder Albanien erklären, dass sie demokratiepolitische Reformen anstoßen müssen, wenn das Mitglied Slowenien das exakte Gegenteil tut?

Was Janša am Ende so gefährlich macht, ist sein Hang zu Verschwörungstheorien. Er glaubt (oder gibt vor zu glauben), dass in Slowenien ein „tiefer Staat“ am Werk sei, also eine kleine, sinistre Clique, die den Medien Lügen diktiert. Spätestens hier müssten bei Janšas Parteifreunden alle Alarmglocken schrillen.

Doch während EVP-Chef Manfred Weber im Gespräch mit profil vorschlägt, eine „Fact-Finding-Mission“ nach Ljubljana zu schicken, hält sich Sebastian Kurz bedeckt. Dieses Schweigen hat eine lange Vorgeschichte: Bereits als Außenminister hat Kurz Autokraten in Südosteuropa unterstützt. 2016 trat er in Nordmazedonien als Wahlkämpfer für den umstrittenen Regierungschef Nikola Gruevski auf, dessen Anhänger ein Jahr später das Parlament stürmten, Journalisten verprügelten und Abgeordnete der Opposition verletzten.

Mit Präsident Aleksandar Vučić, der in Serbien erfolgreich die Medien gleichgeschaltet hat, pflegt Kurz seit Jahren eine politische Freundschaft. Die Wandertour mit Janša fügt sich in dieses Bild: Die ÖVP will Brückenbauer sein, doch ihr fehlt ganz offensichtlich der Wille, dabei unangenehme Wahrheiten auszusprechen.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.