Manfred Weber

Manfred Weber: „Orbán lebt von Feindbildern“

EVP-Chef Manfred Weber über den Bruch mit der ungarischen Fidesz, die Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz und wieso Konservative eine deutliche Trennlinie zu Rechtspopulisten ziehen müssen.

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profil erreicht Manfred Weber auf der Heimfahrt von Brüssel nach Bayern. Er sitzt im Auto, kurz vor Köln. Corona-bedingt verbringt er wieder viel Zeit zuhause, viele Reisen fallen aus, die Videokonferenzen erledigt er meist im Homeoffice.

profil: Sie haben den Streit mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei auch öffentlich über die Medien ausgetragen. Sie haben ihm unter anderem vorgeworfen, er wolle Europa zerstören, er fragte sie, ob sie die Ungarn für „Europäer zweiter Klasse“ halten. Ist der Austritt der Fidesz für Sie ein persönlicher Sieg?
Weber: Für mich war die Entscheidung von Fidesz, die Fraktion zu verlassen, keine Freude. Europa braucht  das Miteinander, das Brückenbauen und ich habe das mit Viktor Orbán auch jahrelang so gehandhabt, ob als Fraktionschef oder als Spitzenkandidat der EVP. Die Grund-DNA Europas ist es, zusammenzuführen. Aber wer Europa als Prellbock nutzt, wer provokativ gegen „die in Brüssel“ auftritt und bei den Rechtsstaatsfragen nicht klar Position bezieht, der verlässt die Grundprinzipien der Christdemokratie.

profil: Orbán wird bei Auseinandersetzungen gern persönlich. Wie war es für sie, ihm gegenüberzustehen?
Weber: Ich kann das gut abschütteln und nehme Sachen nicht persönlich. Ich greife dann lieber zum Hörer und frage: Was soll denn das jetzt? Und wie soll es weitergehen? Aber Sie haben Recht: Der politische Ansatz von Orbán lebt davon, dass er ein personalisiertes Feindbild schafft.

profil: Sind Sie erleichtert, dass der Dauerstreit nun endlich ein Ende hat?
Weber: Die Sache ist für die Fraktion geklärt, wir können in der EVP jetzt wieder inhaltlich arbeiten. Erleichterung ist der falsche Begriff, denn wir verlieren nicht nur den Fidesz, sondern auch Kollegen, die sachlich einen guten Job gemacht haben. Es sind Leute dabei, mit denen man jahrelang kollegial zusammengearbeitet hat, gute Kontakte haben sich entwickelt. Es ist beachtlich, dass die Fidesz-Abgeordneten bei rund 80 Prozent der Abstimmungen im Europaparlament die Linie der EVP mitgetragen haben. Es geht eben nicht darum, dass wir für einen strikten Außengrenzschutz sind oder um die Frage, wie wir nach der Corona-Krise die Wirtschaft wieder flottkriegen. Es geht um Rechtsstaatlichkeit und unsere Grundwerte, wie das christliche Menschenbild der EVP. Das war das fundamentale Problem.

profil: Der akute Auslöser, über eine neue Geschäftsordnung abzustimmen, die die Suspendierung der Fidesz erst möglich macht, war offenbar Tamás Deutsch. Der Fidesz-Europaabgeordnete hat Ihnen „Gestapo-Methoden“ unterstellt. Ist diese geschmacklose Beleidigung schlimmer als der jahrelange Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in Ungarn?
Weber: Nein, diese Aussagen waren ein Randaspekt. Der entscheidende Anlass war die Tatsache, dass Orbán letztes Jahr ein Veto beim Aufbau eines Rechtsstaatsmechanismus für die Europäische Union angekündigt hat. Ich habe diesen Mechanismus im Wahlkampf für die EVP versprochen, und wir haben in der Fraktion alle dafür gekämpft. Als wir erlebten, dass Orbán sogar bereit ist, ein Veto gegen den Gesamthaushalt der EU einzulegen, wurde deutlich, dass sich der Bruch in Grundsatzfragen nicht mehr kitten lässt. Der Rechtsstaatsmechanismus ist ein Kronjuwel der EU, er bedeutet eine historische Veränderung. Wer keine unabhängige Justiz garantiert, wer die Freiheit der Medien nicht gewährleistet, der kann nicht von EU-Geldern profitieren.

profil: Hat die EVP, die für eine bürgerliche Mitte stehen möchte, etwas aus diesem Streit gelernt – gerade in der Frage, wie mit Rechtspopulisten in den eigenen Reihen umzugehen ist?
Weber: Nachdem die Sozialdemokratie europaweit massiv an radikale linke Parteien verloren hat, steht die Christdemokratie vor der Herausforderung, dass wir überall in Europa rechtspopulistische Parteien haben. In Österreich ist das der Fall, in Spanien, Frankreich und Deutschland. Diese rechtspopulistischen, teils rechtsnationalistischen und rechtsradikalen Strömungen sind in dieser Größenordnung neu. Die Aufgabe der Christdemokratie ist es, die Sachfragen zu lösen und eine klare rote Linie zu definieren. Wir haben in Deutschland lange gebraucht, um richtig auf die AfD zu reagieren, auch als CDU und CSU infolge der Migrationskrise 2015. Was wir daraus lernen müssen: Man kann Rechtspopulisten in der Wortwahl nicht auch noch überholen.  Am Ende sind wir die Parteien der Mitte und demokratischen Rechten und müssen uns von allen Rechtsextremen und -populisten deutlich abgrenzen.

profil: Sehen Sie diese klare Trennlinie zu den Rechtspopulisten bei den Konservativen in Österreich noch gegeben?
Weber: Absolut. Sebastian Kurz hat in seiner Regierungszeit mit der FPÖ bei den Fragen, auf die es ankam, etwa im Umgang mit den jüdischen Gemeinden in Österreich oder wenn es um rechtsradikale Äußerungen aus der FPÖ ging oder um die Burschenschaften, einen sehr klaren Trennstrich gezogen. Das verdient Respekt. Er hat auch in der Koalitionsvereinbarung ein sehr klares europäisches Bekenntnis abgelegt.

profil: Kurz ist abseits des europäischen Impfplans nach Israel gereist, um über mögliche Impfstofflieferungen nach Österreich zu sprechen. Schadet diese Reise der europäischen Solidarität?
Weber: Sebastian Kurz hat klargemacht, dass sich diese Aktivitäten nicht gegen die europäische Solidarität stellen und er zur europäischen Impfstrategie steht. Trotzdem will er in seiner Verantwortung für seine Bürger weitere Optionen ausloten. Das macht die Vielfalt Europas aus: Dass wir einerseits miteinander gehen und andererseits überlegen, was wir zusätzlich machen können.

profil: Dem neuen CDU-Chef Armin Laschet wird vorgeworfen, sich mit Autokraten wie Wladimir Putin oder Recep Erdogan gutstellen zu wollen. Hatten Sie seinen Rückhalt bei Ihrer Initiative für die neue Geschäftsordnung?
Weber: Das Vorgehen der Fraktion ist eng mit  vielen Parteichefs abgestimmt. Laschet verkörpert eine Politik der Mitte. In seiner neuen Verantwortung als CDU-Parteichef geht er natürlich zunächst auf alle zu und sucht das Gespräch. CDU und CSU haben in der EVP-Fraktion den Entscheidungen geschlossen zugestimmt. In der Fraktion ist die Geschäftsordnung mit fast 85 Prozent der Stimmen angenommen worden – ein klarer Beleg für die Geschlossenheit.

profil: Die EVP mag einig sein, von der ÖVP kann man das nicht behaupten. Otmar Karas, der seit Jahren für eine Suspendierung der Fidesz kämpft, hat als einziger der sieben ÖVP-Europaabgeordneten für die neue Geschäftsordnung gestimmt. Delegationsleiterin Angelika Winzig argumentiert, man mache Orbán zum Märtyrer, anstatt weiterhin das Gespräch zu suchen. Was entgegnen Sie dem?
Weber: Ich habe überhaupt kein Problem damit, andere Sichtweisen einzubringen. Ich selbst habe ja bis an die Schmerzgrenze versucht, Fidesz einzubinden.

profil: Ins Schema des Rechtspopulismus fällt auch Janez Janša, der Ministerpräsident Sloweniens. Gegen ihn wurde im September 2020 der Vorwurf erhoben, Journalisten zu attackieren. Sebastian Kurz war eine Woche später mit Janša wandern. Wie spricht man jemanden aus der eigenen Parteienfamilie auf so ein Thema an?
Weber: Wenn ich mit Janez Janša als Parteikollege am Telefon spreche, dann mache ich das ehrlich und vertrauensvoll. Er hat in Slowenien eine Koalitionsregierung. Erst vor kurzem hat er ein Misstrauensvotum im Parlament mit einer klaren Mehrheit gewonnen. Janša hat angeboten, dass er in Sachen Rechtsstaatsmechanismus und Unabhängigkeit der Medien vor den zuständigen Ausschuss des Europaparlaments kommt. Das ist ein wichtiges Zeichen. Er hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angeboten, zum Thema Rechtsstaatsmechanismus eine unabhängige Kommission ins Land zu laden. Ich schätze diese Art von Transparenz, das ist der richtige Ansatz.

profil: Janša spricht offen von einem „Deep State“, das ist eine altbekannte rechte Verschwörungstheorie. Er behauptet, dass eine Clique linker Kräfte den Medien Lügen diktiert. Journalisten berichten profil, dass sie von Janša persönlich auf Twitter attackiert werden; eine Kollegin hat er als „abgenutzte Prostituierte“ bezeichnet. Kann so jemand Teil der EVP sein?
Weber: Die Antwort auf diese Frage setzt eine ordentliche Prüfung der Sachverhalte voraus. Wir dürfen Rechtsstaatsfragen und Medienfreiheit nie parteipolitisch betrachten, wir brauchen einen klaren Bewertungsmechanismus. Deshalb wäre es richtig, wenn die Kommission  eine Fact-Finding-Mission nach Ljubljana schickt, um genau zu prüfen, was da vorgeht. Eine Parteipolitisierung von Rechtsstaatlichkeit bringt niemanden weiter. Wir brauchen dafür Unabhängigkeit.

profil: Das Spannende bei Janša ist, dass seine diffamierenden Tweets für alle sichtbar sind. Auch seine Deep-State-Theorie hat er öffentlich gemacht. Er sagt ganz offen, dass er einen Kampf gegen die Medien führt und Slowenien von einem Lügenmonopol durchzogen sei. Braucht es da wirklich eine Fact-Finding-Mission, um herauszufinden, was geschieht?
Weber: Ich teile nicht,  wie Janša argumentiert. Aber jeder hat das Recht, seine Argumente vorzubringen. Ich bleibe dabei: Es ist nicht Aufgabe von Politikern, Rechtsstaatsfragen zu beurteilen. Es geht nicht darum, ob mir Äußerungen von Politikern gefallen. Die Frage ist, ob in Slowenien jeder Journalist frei arbeiten kann.

profil: Auch das Problem mit Ungarn ist durch den Austritt des Fidesz alles andere als geklärt. Was kann man jetzt tun, damit das Land nicht weiter abgleitet – oder gar den Weg raus aus der EU antritt?
Weber: Die EU muss konsequent sein und die rechtlichen Mittel ausschöpfen - das gilt aber für alle Länder. Bisher gab es kaum Möglichkeiten,  etwa bei Justizfragen einzugreifen, weil das eine rein nationale Angelegenheit war. Manche Länder haben sich immer auf die Position zurückziehen können, dass das Europa nichts angehe. Jetzt haben wir das Prinzip verankert, dass Geld nur fließt, wenn es unabhängige Medien gibt. Wir sind am Beginn einer neuen Gesetzgebung. Die zentrale Frage ist jetzt: Hat die EU-Kommission die Kraft und den Mut, das auch anzuwenden? Der erste Fall wäre Polen, gegen das schon ein Artikel-7-Verfahren läuft. Die Kommission hat das initiiert, nun muss der zweite Schritt folgen und der Rechtsstaatsmechanismus greifen.

profil: Mit Blick auf die Bundestagswahlen im September: Kann Schwarz-Grün in Österreich als Vorbild für Deutschland herhalten?
Weber: Ich halte Schwarz-Grün für eine interessante Option, weil es damit gelingen kann, gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden, wie wir sie etwa zwischen Tierschutz und Landwirtschaft, Klimaschutz und Industrie haben. Allerdings  geht es zuerst darum, den Wählern Alternativen aufzuzeigen. Da muss jeder für seine Positionen werben und die Unterschiede zu den anderen herausarbeiten – die es zwischen unsund den Grünen durchaus gibt. Manches, was die Grünen vorschlagen, würde dem Land schaden.

Ein Bayer in Brüssel

Manfred Weber, geboren 1972 in Niederbayern, ist seit 2014 Fraktionschef der EVP und seit 2004 Abgeordneter im Europaparlament. Seit 2015 ist Weber zudem stellvertretender Parteivorsitzender der CSU. Bei der Europawahl 2019 tat er für die europäischen Konservativen als Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten an. Zwar gewann die EVP die Wahlen, doch gelang es Weber nicht, eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs von sich zu überzeugen. Auch Viktor Orbán stellte sich gegen Weber. Am Ende verlor er das Rennen aber gegen seine Landsfrau Ursula von der Leyen (CDU).

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.