Gernot Bauer: Gerechtigkeit für Kurz & Kogler

Weder bricht die Regierung die Verfassung, noch sind ihre Corona-Maßnahmen unverhältnismäßig. Die Kritik daran ist überzogen.

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Die Tatkraft der Regierung in der Corona-Krise wird anerkannt. In Umfragen kratzt die ÖVP an der absoluten Mehrheit, die Beliebtheitswerte von Sebastian Kurz sind auf einem All-Time-High. Auch die Grünen und ihre Protagonisten Werner Kogler und Rudolf Anschober legen zu. Das Krisen-Management wurde auch in Kurz-allergischen Medien gelobt. Nun ist das Bild ein anderes. Die Regierung und ihr Chef sind in Verschiss. Zwar nicht beim Volk, aber bei Opposition, Qualitätskommentatoren und gehobenem Wutbürgertum. Es sind im Wesentlichen drei Vorwürfe, die gegen Türkis-Grün vorgebracht werden: Die Regierung missachte die Verfassung; die Anti-Corona-Maßnahmen seien überzogen; Kanzler Kurz gebärde sich wie ein türkiser Tyrann.

Vorwurf 1: Die Regierung missachtet den Rechtsstaat und bricht vorsätzlich die Verfassung. Schon die Ausgangslage ist komplexer als von Teilen der Kritiker dargestellt. Natürlich muss der Staat Grund- und Freiheitsrechte gewährleisten. Der Staat hat allerdings auch eine verfassungsmäßige Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern. Daher muss er deren Freiheit und Freizügigkeit sogar beschränken, um die öffentliche Sicherheit und Gesundheit aufrechtzuerhalten. Die einzigen Grundrechte, die ein Staat gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) unter keinen Umständen beschränken kann, sind das Recht auf Leben sowie die Verbote von Folter, Sklaverei und rückwirkenden Strafen. Ob das Krisenmanagement verhältnismäßig war, wird der Verfassungsgerichtshof entscheiden. Der pauschale Vorwurf, die Regierung breche die Verfassung, ist „Alarmismus“ (Verfassungsprofessor Heinz Mayer in den „OÖ-Nachrichten“). Solange sie ihre Kontrolleure nicht behindert, ist eine Regierung, die in Krisenzeiten aus bestem Wissen und Gewissen ihre Kompetenzen ausreizt, keine Gefahr. Darin „eine Einübung in den Totalitarismus“ (Franz Schuh im profil-Interview) zu sehen, ist überzogen.

Vorwurf 2: Die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 sind überzogen. Wenn es eine Sünde wider die Verfassung gibt, wäre es die Strategie der Herdenimmunität. Darauf verweist der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk in einem Kommentar für die „Kleine Zeitung“. Die kontrollierte Durchseuchung der Gesellschaft (U-60 ins Freie, Ü-60 in den Hausarrest) widerspricht dem unumstößlichen Recht auf Leben, weil sie „den Tod einer großen Zahl von Menschen als Mittel der Seuchenbekämpfung von vornherein in Kauf nähme“. Die Selbstsicherheit, mit der Hobby-Epidemiologen die Anti-Corona-Maßnahmen abqualifizieren, ist beneidenswert. So viel Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit möchte man auch einmal haben – und die coole Spitzfindigkeit, zu unterscheiden, ob so ein Opa jetzt an oder mit Covid-19 gestorben ist. Ein Gesundheitsminister ist kein Versicherungsmathematiker. Er kann sein Handeln nicht nach Sterbetafeln ausrichten. Die politische Verantwortung gebietet es, von einem Worst-Case-Szenario auszugehen. Noch immer weiß niemand mit Sicherheit, ob eine zweite Corona-Welle kommt; ob das Virus mutiert; ob Genesene sich vielleicht neu infizieren können. Fakt ist: Corona ist tödlich. Die Statistik Austria registrierte eine signifikante Zunahme von Gestorbenen ab Mitte März. Die durch die Maßnahmen verursachten Kollateralschäden“ (psychische Leiden, verzögerte Therapien, unerkannte Erkrankungen) sind berechenbarer als die Folgen des Virus und daher auch leichter zu bekämpfen.

Vorwurf 3: Kanzler Kurz gebärdet sich wie ein türkiser Tyrann. Eine kleine Auswahl: Sebastian Kurz sei „autoritär“, „paternalistisch“, „Kontrollfreak“, „selbstherrliches Orakel“, habe einen absoluten Wahrheitsanspruch, dulde keine Widerrede, ignoriere Expertenmeinungen, erkläre seine Entscheidungen nicht, missbrauche die Krise zur Selbstinszenierung, schassle Kritiker präpotent ab, habe Angst und Schrecken verbreitet. Jeder einzelne Kritikpunkt ist begründbar. Allerdings handelt es sich größtenteils um unpolitische Stilnoten. Um sein Krisenmanagement zu verstehen, muss man das Politikverständnis des Bundeskanzlers analysieren. In der Praxis glaubt Kurz nicht an eine Gewaltenteilung, sondern eine Gewaltenreihung. Die Exekutive steht aus seiner Sicht nicht neben, sondern vor Legislative und Rechtsprechung, daher auch sein schnoddriger Umgang mit Parlament und Justiz. Und er glaubt an straffe Führungsmethoden und die Notwendigkeit eines geschlossenen Auftretens nach außen. Für die erste Phase des Krisenmanagements hat es gereicht. Freilich ist Politik Menschenwerk und daher nicht unfehlbar. Kurz, aber auch seine Kritiker übersehen das bisweilen.

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.