Robert Treichler
Robert Treichler

Gretas Fluch auf der Klimakonferenz in Glasgow

Doch, ja, man darf in der Klimafrage optimistisch sein.

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Sie hat „Arsch“ gesagt. Genauer gesagt rief Greta Thunberg inmitten von Anhängern: „Schiebt euch eure Klimakrise in den Arsch!“ Nun, Thunberg ist erstens eine Aktivistin und zweitens ein Teenager, also sollte man wegen ihrer Ausdrucksweise nicht kleinlich sein. Thunberg sagte allerdings noch etwas, das auf der Klimakonferenz in Glasgow zum geflügelten Wort wurde: „Blablabla“. Sie wolle kein Blablabla mehr hören, die Politiker im Glasgower Konferenzzentrum würden bloß vorgeben, den Klimawandel ernst zu nehmen, wetterte die junge Schwedin, auf die so ziemlich die ganze Welt hört.

Hat Greta recht?

Wenn die 26. Klimakonferenz am kommenden Freitag zu Ende geht, wird Greta Thunberg ein Urteil fällen, und das wird wohl wieder einmal vernichtend ausfallen. Der Kampf gegen den Klimawandel kennt zwei Lesarten: eine weit verbreitete, pessimistische und eine optimistische, die meist mit Naivität oder, im schlimmeren Fall, mit Irreführung oder Leugnung gleichgesetzt wird.

Ich gestehe: Ich vertrete die optimistische.

Würde ich die Gefahr der Erderwärmung verharmlosen oder bestreiten, dass alle bisherigen Bemühungen unzureichend sind, wäre ich blöd.

Dennoch: Wie kann man übersehen, in welch schwindelerregendem Tempo der Kampf gegen den Klimawandel zum alles überragenden Thema der globalen – und in vielen Staaten auch der nationalen – Politik geworden ist? Die Chiffre „Klima“ ist Wahlschlager von erfolgreichen Parteien, Verkaufshit von Unternehmen, Zeitgeist-Logo einer Generation. Okay, aber was nützt das?

Zunächst bedeutet das politisches Kapital. Dank des allgemein verbreiteten Bewusstseins in der Bevölkerung, wie drängend die Gefahr ist, können Regierungen Geld für alle Klimamaßnahmen lockermachen, Öko-Steuern einführen, -Restriktionen verhängen. Voranschreiten.

Ein Beispiel: Deutschland beschloss im Jahr 2019 per Gesetz, dass das letzte Kohlekraftwerk auf deutschem Boden 2038 stillgelegt werde. Die Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future forderte hingegen den Ausstieg bereits 2030. Heute, zwei Jahre später, steht das Datum 2030 im Sondierungspapier für die Regierungsbildung der Ampelparteien (SPD, Grüne, FDP), und der neue nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst sagte in seiner Regierungserklärung, er sei zu einem Ausstieg 2030 „bereit“. Wüst ist übrigens von der CDU.
Das ist, zugegeben, global gesehen ein Detail, aber es zeigt die Dynamik. Innerhalb von zwei Jahren haben alle deutschen Parteien die Forderung der Klimaaktivisten übernommen – und nicht nur die: Sogar die Bergbaugewerkschaft hält 2030 mittlerweile für möglich.

In absoluten Zahlen viel bedeutsamer ist die Ankündigung von Indiens Ministerpräsident Narendra Modi, dass sein Land bis 2070 die Klimaneutralität erreichen werde. Nie zuvor hatte Indien ein Datum genannt. Ist 2070 zu spät? Ja. Aber jede Wette, dass auch dieses Datum in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vorrücken wird.

Der Grund für diesen Optimismus ist realpolitisch und ökonomisch: Kohle wird immer teurer – die politischen Kosten steigen, weil der Druck größer wird, klimapolitisch zu handeln, und die ökonomischen Kosten steigen, weil der Emissionshandel den Preis treibt. Die neuen Technologien sind ganz einfach zusehends rentabler.

Meine profil-Kollegin Christina Hiptmayr hat kürzlich einen Leitartikel zur Klima-Debatte mit dem Aufruf „Denkt, verdammt noch mal, endlich wirtschaftlich!“ betitelt. Wie zum Beweis für die Richtigkeit ihrer These, dass klimarettende Politik in Wahrheit eine wirtschaftliche Notwendigkeit ist, reiste die US-Finanzministerin Janet Yellen nach Glasgow und sagte dort: „Der Grund, warum ich hier bin ist, dass der Klimawandel nicht bloß ein Umweltthema ist.“ Sondern eben auch ein Wirtschaftsthema. Und, ein wenig uncharmant formuliert: Wo Yellen auftaucht, ist Geld.

Einer der großen Fortschritte des Glasgower Gipfels ist die Zusage, dass 450 der größten Finanzfirmen der Welt insgesamt 130 Billionen Dollar Kapital (eine Billion entspricht 1000 Milliarden) im Sinne des Pariser Klimaabkommens klimaneutral einsetzen werden. Finanzministerin Yellen bejubelte diese Initiative, die den Namen „Glasgow Financial Alliance for Net Zero“ trägt. Mark Carney, UN-Sonderbeauftragter für Klimaschutz und Finanzierung, griff wiederum Greta Thunbergs Bemerkung auf: „Das ist kein Blablabla.“

Nein, ist es nicht. Wenn zum erklärten politischen Willen und den bereits vorhandenen technologischen Möglichkeiten auch noch enorme Mengen an Geld kommen, passiert unweigerlich etwas. Alle haben etwas zu verlieren, wenn sie nicht klimafreundlich handeln: Die Politik büßt die Unterstützung der Bevölkerung ein, die Unternehmen lassen Investitionen liegen, die Finanzgiganten verspielen Chancen auf zukunftsträchtige Anlagen. Sie sehen: Es braucht nicht mal ein moralisches Argument oder gar einen Appell zur Selbstlosigkeit.

Hat Greta Thunberg also unrecht? Kann man nicht sagen. Sie tut, was eine Aktivistin tun muss. Für sie kommt alles zu spät, ist alles zu wenig, und die Gefahr steigt. „Fuck“ hat sie übrigens auch gesagt. Sie macht ihren Job ausgezeichnet, sonst würde sie nicht dauernd von allen, die sie anpflaumt, respektvoll zitiert.

Wenn man sich jedoch nicht als Aktivist versteht, darf man optimistisch sein. Fucking optimistisch.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur