Kurz hat gewonnen, dennoch gibt es nur Verlierer
Sebastian Kurz hat selbst nicht wirklich daran geglaubt. Am Wochenende vor dem Prozess vor dem Oberlandesgericht traf sein Team Vorbereitungen, falls der Schuldspruch wegen Falschaussage vor dem U-Ausschuss bestätigt wird. Acht Monate bedingt hat Kurz in erster Instanz bekommen. Es ging um die semantische Interpretation der Frage, ob er bejaht habe, Einfluss auf die Bestellung von Ex-Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid zum Staatsholding-Chef genommen zu haben – oder ob er es eben abgestritten habe. Klarstellung: Hätte er es getan, wäre das kein Drama gewesen, das ist Politik. Es ging also nur um die Frage der Lüge.
Nach jahrelangen Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), nationaler und internationaler Aufregung über den Fall, stellt sich heraus: Die Anklage Kurz war ein Rohrkrepierer. Davon abgesehen, dass der angebliche Skandal von Anfang an keiner war.
Es ging um semantische Interpretationen - das ist vergleichbar mit einem Ladendieb. War es der Aufwand in Relation wirklich wert? Ich sage: nein. Man könnte meiner Sichtweise widersprechen – etwa mit dem Argument: Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Kanzler vor dem wichtigsten parlamentarischen Kontrollgremium die Wahrheit sagt. Ja – wenn die U-Ausschüsse nicht zu einem politisch-peinlichen Schauspiel verkommen wären. Wirklich zur Aufklärung beigetragen hat zuletzt nur der BVT-U-Ausschuss. Alles danach tat beim Zuschauen eher weh.
Da gab es einen Vorsitzenden Wolfgang Sobotka, der große Freude daran hatte, die Oppositionsparteien zu papierln, die es sich ihrerseits zum Hobby machten, Zeugen vor- und aufs Glatteis zu führen, anstatt ernsthaft an Erkenntnisgewinn interessiert zu sein. Das alles war gespickt mit Strafanzeigen, sobald sich eine Möglichkeit auftat. Ein politisches Gremium spielte Strafverfolgungsbehörde.
Unheilige Allianzen
Auch sonst war es einigermaßen ekelhaft. Man konnte beobachten, wie sich zwischen den Oppositionsparteien unheilige Allianzen bildeten. Da gingen Grüne mit einem „Hafi“ alias Christian Hafenecker (FPÖ) genauso etwas trinken wie SPÖ und Neos. Letztere Parteien taten sich (auch mithilfe der Blauen) zusammen, um Medien zu bespaßen.
Manche Journalisten feierten auch mit Abgeordneten Partys – eine davon endete in einem Corona-Cluster. Es wäre in jeder Hinsicht besser gewesen, Abstandsregeln einzuhalten. Der nächste U-Ausschuss mit Unterirdischem-Niveau-Potenzial ist schon am Start – einberufen von der FPÖ. Er behandelt den angeblich eigenartigen Tod von Ex-Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek. Die Verschwörung bedient viele Gelüste des Volkes – der Fall hat alles, nur eines nicht: Substanz.
Pilnaceks Tod hätte Anlass sein können zu beenden, was die Causa Kurz in gewisser Weise war und ist: ein Machtkampf zwischen Justiz und Politik, befeuert von eitlen Persönlichkeiten. Der Altkanzler hat die Anti-Korruptionsbehörde angeschossen und ihre Existenzberechtigung infrage gestellt, als man gegen die ÖVP ermittelte. Daraufhin hat die WKStA mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zurückgeschossen. Dazwischen gab es persönliche Feindschaften und Seilschaften, in deren Mühlen so einige gerieten – man denke an die vielen Beschuldigten im Ibiza-Casag-Akt. Bis auf wenige Ausnahmen endeten alle Ermittlungen bisher in Einstellungen, die Prozesse fast immer mit Freisprüchen.
Übrigens wurde auch Pilnacek bis zu seinem Tod nichts Substanzvolles angelastet - er erntete einen Freispruch und etliche Einstellungen. Jene Staatsanwälte, die ihn federführend in der WKStA bekämpft haben, hat es offenbar auch gereicht – sie haben heute andere Jobs. Die umfangreichen Ermittlungen müssen andere zu Ende bringen.
Es werden fast wöchentlich Einstellungen verkündet – es fokussiert sich auf einzelne Fakten und Personen. Ex-ÖVP-Klubobmann August Wöginger wird nun wegen Postenschacherei angeklagt. Gegen Kurz wird noch wegen des Verdachts der Inseratenkorruption ermittelt. Mit Sabine Beinschab und Thomas Schmid gibt es gleich zwei Kronzeugen, trotzdem geht nichts weiter. Das Verfahren zieht sich seit Jahren, und damit kann keine Ruhe einkehren.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ja, es ist wichtig, regelmäßig scharfe Abgrenzungen zu ziehen, was noch politisches Geschäft ist und was Korruption – aber bitte nicht in Jahrmarktmanier, sondern mit der nötigen Besonnenheit. Denn so wie es bisher gelaufen ist, hat es dem Ansehen von Politik und Justiz mehr geschadet als geholfen.