Leitartikel

Land der Luschen: Warum unser Pazifismus zum Problem wird

Landesverteidigung beginnt im Kopf. Ohne geistige Aufrüstung werden auch die Milliardeninvestitionen ins Heer wenig bewirken.

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Vor genau 50 Jahren, am 6. März 1974, beschloss das Parlament die Einführung des Zivildienstes in Österreich. Zum Jubiläum gab es Gratulationen und Danksagungen: Staatssekretärin Claudia Plakolm, ÖVP, nannte die Zivildiener „eine tragende Säule“ unserer Gesellschaft. Und tatsächlich: Ohne die jährlich 14.000 (kostengünstigen) Zivildiener würden die Rettungs- und Sozialorganisationen im Land nicht funktionieren, bekämen Kindergärten, Spitäler, Behinderteneinrichtungen, Altersheime Probleme. „Gäbe es den Zivildienst nicht, müsste man ihn erfinden“, sagte Samariterbund-Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller – und warnte zeitgleich vor dem „eklatanten Zivi-Mangel“.

Bei allem Verständnis: Hundsmüller liegt falsch. Österreich hat nicht zu wenige Zivildiener, sondern zu viele. Mittlerweile entscheiden sich bereits über 40 Prozent aller jungen Männer für den neunmonatigen Ersatzdienst und gegen den sechsmonatigen Grundwehrdienst. Das ist ein Problem, denn dem Bundesheer gehen die Soldaten aus. Der geplante – noch nicht erreichte – Mobilmachungsrahmen beträgt 55.000 Soldatinnen und Soldaten. Selbst damit ist ein flächendeckender Einsatz in Österreich nicht möglich. Für die freiwillige Miliz melden sich zu wenige Soldaten. Auslandseinsätze müssen zurückgefahren werden. In Wien würde das Bundesheer ohne die Rekruten mit Migrationshintergrund Schwierigkeiten bekommen.

Dass so viele junge Männer den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen ablehnen, liegt an der zweifellos grundsympathischen pazifistischen Einstellung der Österreicher und Österreicherinnen. Nach Jahrzehnten in Frieden und Freiheit ist das Bewusstsein für Bedrohungen geschwunden. Anti-Militär-Reflexe verfestigten sich, gerade in gebildeteren Schichten.

Fehlender Wehrwille

Auch die Bereitschaft zur Verteidigung ist hierzulande beschränkt. Laut einer aktuellen Umfrage von Unique Research im Magazin „Der Pragmaticus" sind nur noch 16 Prozent der Bevölkerung „auf jeden Fall“ bereit, die Republik im Falle eines militärischen Angriffs mit der Waffe zu verteidigen. Wir sind also Luschen, die glauben, dass die Neutralität uns schützt, und ignorieren, dass wir die Neutralität schützen müssen, und zwar militärisch.

Den Österreichern fehlt nicht nur der unmittelbare Wehrwille, sondern die grundlegende Einstellung, dass es sich bei Demokratie und Freiheit um zentrale Werte handelt, die nicht immerwährend garantiert sind, sondern eines Tages womöglich verteidigt werden müssen: gegen Feinde von außen und von innen.

Dabei ist diese Einstellung sogar im Artikel 9a unserer Bundesverfassung festgelegt, in dem sich Österreich neben der militärischen, zivilen und wirtschaftlichen auch zur geistigen Landesverteidigung bekennt.

Diese sollte daher ebenso eine tragende Säule sein wie der Zivildienst. Allerdings kritisierte der Verfassungsrechtler Felix Ermacora schon im Jahr 1985, dass es der Politik „an Phantasie und Wille“ fehle, die Landesverteidigung zu „einem geistigen Anliegen des Volkes zu machen“. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Geistige Verteidigung gegen Fake News

Geistige Landesverteidigung ist die Resilienz des Staates in absoluten Krisensituationen. Sie muss genauso geübt werden wie die militärische Verteidigung, heute mehr denn je. Zu Zeiten des Kalten Krieges mit zwei einander gegenüberstehenden Militärblöcken samt Atomwaffen-Arsenal war die Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger greifbar. Heute ist Österreich durch hybride Kriegsführung, Cyber-Angriffe, Propaganda in sozialen Medien und Fake News bedroht. Geistige Landesverteidigung würde helfen, die Gesellschaft für solche Gefahren zu sensibilisieren.

Die Entwicklung der geistigen Landesverteidigung ist eine genuine Aufgabe der Schulen im Rahmen der Politischen Bildung. Sie besteht „in der Vermittlung demokratischer Werthaltungen und der Schaffung eines umfassenden Bewusstseins für demokratische Freiheiten und die in der Bundesverfassung verankerten Bürger- und Menschenrechte“, wie es auf der Website des Bildungsministeriums heißt. Allerdings spielte das Thema immer nur eine untergeordnete Rolle. Vielleicht sollte man das Lehrpersonal an Österreichs Schulen wieder verstärkt auf den Artikel 9a der Bundesverfassung aufmerksam machen.

Nachdem das Bundesheer jahrzehntelang ausgehungert worden war, führte der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einem Umdenken in der Politik. Nun werden Milliarden zur Modernisierung des Heeres investiert, von neuen Hubschraubern über Radpanzer bis zur Raketen- und Drohnenabwehr.

Die Nachrüstung des Bundesheeres ist wichtig und zu begrüßen. Doch die Landesverteidigung beginnt im Kopf. Ohne geistige Aufrüstung werden auch die Milliardeninvestitionen ins Militär wenig bewirken.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.