Midterms in den USA: Düsterer Dienstag

Was steht bei den Midterms auf dem Spiel? Nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in den USA.

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Man stelle sich vor, der Ehemann einer einflussreichen österreichischen Politikerin wird daheim von einem Eindringling brutal niedergeprügelt und landet mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Man stelle sich vor, die Kandidatin für den Posten der Landeshauptfrau macht wenige Tage später während einer Wahlveranstaltung einen Witz darüber – und die Menge johlt. 

Unvorstellbar? Nicht in den USA. Dort attackierte ein Mann, der es auf Nancy Pelosi abgesehen hatte, den 82-jährigen Ehemann der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses mit einem Hammer. Kurz darauf machte sich die Republikanerin Kari Lake, die Gouverneurin von Arizona werden will, darüber lustig. Und Donald Trump Jr., Sohn des ehemaligen Präsidenten, teilte auf Twitter ein Foto von einem Hammer und einer Unterhose, Beschreibung: „Mein Paul-Pelosi-Kostüm für Halloween ist fertig.“ 
Die Stimmung in den USA vor den Zwischenwahlen als toxisch zu beschreiben, ist eine Untertreibung. Donald Trump ist nicht weg, er war es nie. Sein krudes Denken und seine irren Verschwörungstheorien sind bei den Republikanern auf fruchtbaren Boden gefallen. Extremismus, Gewaltverherrlichung und antidemokratische Tendenzen sind längst Teil der republikanischen DNA geworden. 

Kandidatinnen wie Kari Lake in Arizona oder Marjorie Taylor Greene in Georgia, beides Lieblinge des radikalen Trump-Flügels in der Partei, halten den Sieg Joe Bidens von 2020 nach wie vor für gestohlen und säen auch vor den Midterms wieder Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahlen. 

Damit sind sie nicht allein: Mehr als die Hälfte der republikanischen Kandidaten und fast zwei Drittel ihrer  Wähler zweifeln Bidens Wahlsieg an. In Amerika hat sich für diese Leute ein Begriff durchgesetzt: „Election Deniers“, Wahlleugner. Die amerikanische Demokratie ist, das zeigt sich gerade wieder besonders eindrucksvoll, in einem erbärmlichen Zustand.

Donald Trump ist nicht weg, er war es nie. 

Bei den Midterms werden am Dienstag der Senat und ein Drittel des Repräsentantenhauses neu gewählt. Die Republikaner hoffen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus, vielleicht auch jene im Senat zu erreichen. Es ist eine Geschmacksprobe dafür, was uns bei den Präsidentschaftswahlen 2024 erwarten könnte. Wahlleugner könnten ihre Position künftig nutzen, um das Wahlrecht einzuschränken, Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Wahlen zu streuen und am Ende die Anerkennung eines künftigen Präsidenten zu verhindern.
Bei den Midterms geht es um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in den USA.

Das betrifft auch Europa. Die USA sind unsere Verbündete, aber was, wenn Trump wieder an die Macht kommt – oder einer, der ist wie er? Einer mit guten Kontakten nach Moskau vielleicht.

Die Midterms könnten auch Folgen für den Krieg in der Ukraine haben. Laut einer Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft haben die USA bisher fast doppelt so viel für die Unterstützung Kiews ausgegeben wie die EU. Doch unter den Republikanern schwindet die Bereitschaft zur Solidarität mit der Ukraine. Nach dem Willen radikaler Republikaner wie Taylor Greene soll damit bald Schluss sein. „Wir haben kein Interesse daran, für einen Stellvertreterkrieg mit Russland Geld auszugeben“, sagt sie. Das sehen zwar nicht alle so – 
der Minderheitsführer im Repräsentantenhaus Kevin McCarthy steht nach wie vor hinter der Unterstützung für die Ukraine. Doch auch er sagt, dass es nach einem Sieg der Republikaner keinen „Blankoscheck“ mehr geben würde. 

Für Europa bedeutet das alles nichts Gutes. Setzen die Amerikaner ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine aus, dann entsteht ein Loch, das die EU und Großbritannien niemals stopfen könnten. 

Die Republikaner weisen gern darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine für die EU eine viel größere Bedrohung ist als für die USA. Zuletzt war der Ton Washingtons gegenüber Europa vergleichsweise sanft. In dem Ziel, seine europäischen Partner zu höheren Verteidigungsausgaben zu treiben, arbeitete Biden eher mit Anreizen als mit Druck. 
Auch das könnte sich mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress rasch ändern. 

Was den Angriff auf Paul Pelosi betrifft, weisen die Republikaner jede Schuld von sich und sprechen von einem „geistig verwirrten“ Einzeltäter. Doch so einfach ist es nicht. In den USA ist die Zahl der Drohungen gegen Politiker rasant gestiegen, laut „New York Times“ gilt rund ein Zehntel davon Nancy Pelosi. Republikaner und deren Alliierte haben in den vergangenen zwei Jahren rund 50 Millionen Dollar in eine Kampagne gegen Pelosi gesteckt. In Werbeschaltungen wird sie als gefährliche Lügnerin dargestellt, Gewalt gegen sie wird verherrlicht. Auch am Freitag vor einer Woche, dem Tag des Angriffs auf Paul Pelosi, wurden landesweit insgesamt mehr als 3000 Anti-Pelosi-TV-Spots ausgestrahlt. Kostenpunkt: 1,3 Millionen Dollar. 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.