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Midterm-Wahlen in den USA: Halbzeitstand

In den USA ist die Stimmung vor den Kongresswahlen am Dienstag toxisch. Die Ergebnisse bestimmen nicht nur die Politik der kommenden zwei Jahre. Sie sind auch ein Gradmesser für die Präsidentenwahlen 2024.

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Warum sind die Kongresswahlen in den USA, die am Dienstag, dem 8. November, abgehalten werden, ganz besondere Wahlen? Der Papierform nach werden bei den "Midterms" (also dem Urnengang zwischen zwei Präsidentschaftswahlen) alle Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben. Wie immer also. Doch in diesem Jahr ist etwas Entscheidendes anders. Es ist die erste landesweite Wahl seit dem 6. Jänner 2021, als Anhänger des unterlegenen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump das Kapitol in Washington stürmten, um zu verhindern, dass der Wahlsieg des Demokraten Joe Biden formell vom Kongress anerkannt wird. Dieses Ereignis hat in der politischen Landschaft eine tiefe Kluft hinterlassen.

Dazu nur eine Zahl: Mehr als 300 Kandidatinnen und Kandidaten der Republikanischen Partei halten an dem Schwindel fest, Donald Trump sei der wahre Sieger der Präsidentschaftswahl des Jahres 2020 gewesen. Sie zweifeln damit den demokratischen Prozess an. Das wiederum bringt die Demokraten dazu, vor einem Sieg der Republikaner als Anfang vom Ende der Demokratie in den USA zu warnen. Denn Verschwörungstheoretiker kandidieren auch für andere hohe politische Ämter, die für den ordnungsgemäßen Ablauf der nächsten Wahlen verantwortlich sein werden.

Radikale Republikaner wollen den Spieß umdrehen und beschuldigen ihrerseits die Demokraten, sich auf unlauterem Weg Wahlsiege zu erschleichen: Elise Stefanik, Abgeordnete des Bundesstaates New York, warnt vor einer "permanenten Wahlrevolte",die sie darin ortet, dass die Regierung elf Millionen illegalen Immigranten einen legalen Aufenthaltstitel verschaffen wolle, die, einmal eingebürgert, den Demokraten zu Siegen verhelfen würden. Tatsächlich ist die Idee einer Amnestie für illegale Einwanderer alt, im konkreten Fall bereits im Kongress gescheitert, und sie hat noch nie zu einer nachhaltigen Verschiebung der politischen Verhältnisse geführt.

Die Stimmung in den USA ist nicht bloß aufgeheizt, sie ist toxisch. Die Absichten der jeweiligen Gegenseite werden nicht als schlecht bezeichnet, sondern als Gefahr für die Demokratie und den Staat an sich.

Im Senat (oben) haben beide Parteien 50 Sitze (die Unabhängigen werden den Demokraten zugerechnet).Im Fall eines Patts entscheidet Vizepräsidentin Kamala Harris.

Abgesagt

Wer in den entscheidenden Wochen vor den Midterms auf Wahlkampfauftritte des Präsidenten wartete, wurde nicht enttäuscht-mit einer kleinen Abweichung. Anstelle des aktuellen Mannes im Weißen Haus, Joe Biden, war der Stargast in Atlanta, Detroit, Milwaukee und Las Vegas dessen Vorvorgänger Barack Obama. Der Grund dafür lässt sich in den Meinungsumfragen ablesen: Joe Bidens Beliebtheitswerte liegen sogar noch knapp unter denen von Donald Trump (zum selben Moment der jeweiligen Amtszeit). Das liegt derzeit wohl zu einem Gutteil an den tristen Wirtschaftsdaten-Inflation, Angst vor der Rezession-,allerdings rutschte Biden bereits im August des Vorjahres, also lange vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine und dem Beginn der Preisspirale, unter die 50-Prozent-Marke in der Beliebtheitsskala. Da blieb er auch, derzeit hält er bei 42,3 Prozent.

Die Hoffnung der Demokraten, ihre Themen wie Abtreibung oder die anhaltenden juristischen Nachwehen der Ära Trump würden von wirtschaftlichen Problemen ablenken, scheint sich nicht zu erfüllen. Der alte Spruch "It's the economy, stupid" (Ausschlaggebend ist die Wirtschaft, Dummerchen) macht diesmal Joe Biden zu schaffen.

Oben: Die Umfragewerte Joe Bidens sind im Keller. Nicht einmal Donald Trump verzeichnete im Vergleichszeitraum seiner Amtszeit derart niedrige Werte.

Unten: Welche Partei würden Sie bei einer Wahl unterstützen? Schätzung der Ergebnisse der Kongresswahlen durch die auf Daten-und Statistiken spezialisierte Nachrichtenwebsite "FiveThirtyEight".

Was wurde eigentlich aus dem Recht auf Abtreibung?

Es gibt in den USA eine alte Faustregel, und diesmal nutzt sie den Republikanern: Bei den Kongresswahlen gewinnt üblicherweise jene Partei dazu, die gerade nicht den Präsidenten stellt. Für die Demokraten war klar: Das wird ein hartes Jahr.

Doch mit dem Ende des bundesweiten Abtreibungsrechts Ende Juni schöpften sie wieder Hoffnung. Im Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, so das Kalkül, ließen sich linke Demokraten mobilisieren-und die Zwischenwahlen doch noch gewinnen. Das Versprechen Joe Bidens: Mit einer Mehrheit im Kongress würde er das Abtreibungsrecht zurückbringen.

Seit der Supreme Court es Ende Juni gekippt hat, wurden Abtreibungen im halben Land verboten oder massiv erschwert. Noch im Sommer hatte die Entscheidung Hunderttausende auf die Straße gebracht, doch im Wahlkampf vor den Midterms spielte das Thema eine Nebenrolle. Die schwache Wirtschaft, hohe Lebenskosten, Kriminalität-das sind die Themen, die amerikanische Wahlberechtigte am meisten beschäftigen. Laut einer Umfrage der "New York Times" sehen nur vier Prozent Abtreibungsrechte als wichtigstes Problem im Land. Die meisten Kandidaten der Republikaner sind nicht einmal auf die Frage eingegangen.

Das Thema Wirtschaft haben hingegen die Demokraten vernachlässigt. "Ich verstehe das nicht",sagt dazu der kalifornische Abgeordnete Ro Khanna. "Das ist, als würde man eine Football-Mannschaft nur im Angriff und nicht in der Verteidigung führen."

Vergangene Woche warnte Biden dann doch noch eindringlich vor möglichen Kürzungen von Sozialleistungen durch einen mehrheitlich republikanischen Kongress. Für einen Kurswechsel in der Themensetzung vor den Wahlen kam das freilich zu spät.

Nebenschauplatz Abtreibungsrecht: Das Thema wird durch die Angst vor einer Rezession verdrängt.

Demokratie zweitrangig

Kari Lake ist, nach eigenen Worten, von Gott erwählt, um Gouverneurin von Arizona zu werden. Auf der Bühne und im Fernsehstudio gibt sich die 53-Jährige kampfeslustig, spricht von einem bevorstehenden Krieg Gut gegen Böse, von systematischen Lügen der Medien und davon, wie Joe Biden Donald Trump die Wahlen gestohlen hat.

"Ich werde die Ergebnisse akzeptieren", sagte der neue Star der Republikaner vergangene Woche im Interview mit dem Fernsehsender ABC über die bevorstehenden Zwischenwahlen. Der Nachsatz gab allerdings zu denken: "Vorausgesetzt, es wird eine faire, ehrliche und transparente Wahl."

Die ehemalige TV-Journalistin gehört zu den glühendsten Anhängerinnen von Donald Trump-und verbreitet nach wie vor dessen Lügen vom Betrug bei den Präsidentschaftswahlen 2020. Damit ist sie nicht allein: Die Denkfabrik Brookings hat mehr als 300 sogenannte "Election Deniers" ausgemacht. Sie haben auch vor den Midterm-Elections Zweifel am korrekten Ablauf der Stimmabgabe gesät und Aktivisten aufgerufen, Belege für Wahlbetrug zu sammeln.

Kari Lake ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Republikaner in den vergangenen Jahren radikalisiert haben. Zuletzt haben ranghohe Parteileute die USA mit einer Diktatur verglichen (Marco Rubio), das FBI in einem Atemzug mit der Gestapo genannt (Rick Scott) und die Razzia bei Donald Trump mit einem Staatsstreich gleichgesetzt (Lauren Boebert).Moderate Republikaner wie Liz Cheney, die die Lüge von den gestohlenen Wahlen nicht mittragen wollten, hat die Partei längst aussortiert.

Was macht das alles mit den Bürgerinnen und Bürgern des Landes?

Laut einer Umfrage der "New York Times" sehen zwar gut 70 Prozent der Wahlberechtigten die Demokratie in den USA in Gefahr; viele halten das aber offenbar für zweitrangig: Knapp 40 Prozent der Befragten sehen kein Problem dabei, einen Kandidaten zu wählen, der die Wahlen von 2020 anzweifelt.

Experten fürchten um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in den USA. Trump deutet an, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 noch einmal anzutreten. Republikanische Wahlleugner könnten dann, je nach Ausgang der Midterms, etwa als Wahlbeamte in wichtigen Positionen sitzen-und sich im schlimmsten Fall weigern, den Sieg eines demokratischen Kandidaten anzuerkennen.

Hüne gegen Fernseharzt 

Das entscheidende Rennen der Midterms findet in Pennsylvania statt-und es wird wohl äußerst knapp ausgehen. Gelingt es den Demokraten, den Republikanern einen Sitz im Senat für den nordöstlichen Bundesstaat streitig zu machen, dann könnten sie ihre hauchdünne Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer ausbauen.

Für die Demokraten tritt in Pennsylvania John Fetterman an. Mit seinen zwei Metern Größe, den Tattoos und den rasierten Haaren wirkt er eher wie ein Rockstar als ein Politiker. Ihm gegenüber steht der von Trump unterstützte US-Türke Mehmet Oz. Bekannt wurde er mit seiner pseudowissenschaftlichen Fernsehserie "Dr. Oz Show". Dort gab der Kardiologe zweifelhafte medizinische Ratschläge und beeindruckte Trump, indem er das Malaria-Arzneimittel Hydroxychloroquin als Corona-Therapie bewarb.

Für die Arbeiterschicht ist der Multimillionär Oz kaum wählbar. Doch auch Fetterman hat ein Problem: Der Ex-Bürgermeister der von der Stahlindustrie geprägten Stadt Braddock hatte im Mai einen Schlaganfall. Die Auswirkungen spürt er bis heute, bei der Fernsehdebatte gegen Oz rang Fetterman mitunter nach Worten, verhaspelte und widersprach sich.

Doch im Gegensatz zu Oz hat Fetterman ein klares Programm: Der 53-Jährige will die Waffengesetze verschärfen, den Mindestlohn anheben, Steuern für Arbeitende senken und Marihuana legalisieren. Mit seinen linken Positionen punktet er vor allem bei jungen Leuten. Die Demokraten können nur hoffen, dass sie diesmal zahlreich an die Urnen gehen.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur