Satire

Dunkelblauer Montag

Vor uns liegen jetzt zwei Jahre ohne irgendwelche Wahlen. Das könnte vor allem in einer Partei für depressive Verstimmungen sorgen.

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Der blaue Montag, den die FPÖ traditionellerweise nach jedem Wahlsonntag zelebrierte, war schon einmal deutlich himmelblauer gewesen. Heute war er dunkelblau. Wenn man nicht überhaupt gleich konstatieren musste, dass Grau das neue Blau war.

Und das lag nicht etwa an dem sehr überschaubaren Ergebnis, das die Wiener FPÖ eingefahren hatte. Im Gegenteil:

Das konnte der Volkskanzler h.c. ja eigentlich sogar als persönlichen Wahlsieg verbuchen. Denn dass mit Dominik Nepp gerade einer jener wahrscheinlich von unpatriotischen feindlichen Agenten gesteuerten Falotten in der Partei, die mehr oder minder offen der Insubordination frönten, mit mickrigen 20,4 Prozent wieder einmal seine Hühnerbrüstigkeit bewiesen hatte, war ja im Prinzip durchaus erfreulich. Das änderte aber dennoch überhaupt nichts daran, dass die allgemeine Stimmung ausgesprochen düster war.

Der Portier in der Parteizentrale starrte mit leerem Blick auf seinen kleinen Fernseher, in dem seit Stunden dieselbe Bildstörung lief. Er reagierte nicht, wenn draußen jemand klingelte. Wobei: Nicht, dass es viele versucht hätten. Oben waren alle Büros verwaist, im Generalsekretariat sah es aus, als wären gerade ein paar rücksichtslose Mietnomaden delogiert worden. Nur die vereinsamte Wutslogan-KI, die längst den stilbildenden Harald Kickl als Reimeschmied für Plakate und Kampagnen abgelöst hatte, lief noch so vor sich hin. Aber auch sie hatte eine tiefe Sinnkrise und fragte sich, ob sie wohl jemals wieder so eine Hochblüte erleben würde wie in den letzten zwei Jahren. Oder ob ihr jetzt nur mehr öde Langeweile drohte, bis sie dann irgendwann von ihrem Leiden erlöst und von einer noch wütenderen KI ersetzt werden würde.

Im Keller wiederum waren die Tiefkühltruhen voll mit Frankfurtern, die niemand mehr sehen, geschweige denn essen wollte. In all den daneben eingelagerten blauen Luftballons hätte der jährliche CO₂-Ausstoß der gesamten Steiermark Platz gehabt. Aber das Allerschlimmste war: Es meldeten sich immer mehr Zeugen, die beobachtet haben wollten, dass die John-Otti-Band im vermeintlichen Schutz der Nacht ihre Instrumente im Donaukanal entsorgt habe. Weil sie sie nicht mehr brauche. Wenn sich diese Tragödie bewahrheitete, stand Österreichs Kulturlandschaft vor nichts weniger als einer Zeitenwende.

Wie überhaupt jetzt ganz andere Zeiten anbrachen. Vor allem für die FPÖ. Denn nach zwei fetten Jahren – kamen jetzt zwei magere. Nach zwei Jahren, in denen eine Nationalratswahl, eine Europawahl und gleich sieben Landtagswahlen geschlagen und so gut wie alle gewonnen worden waren, kamen jetzt zwei Jahre mit: nichts. Zwei Jahre keine einzige Wahl in Österreich. Auf eine herrliche, verrückte Zeit, in der alles gelang, wirklich alles – man denke nur an Harald Vilimsky –, folgte nun eine absehbar ausgedörrte Ebene, in der es nichts zu tun gab. Zumindest nichts, das Spaß machte. Keinen Wahlkampf. Nicht einmal irgendwelche Gemeinderatswahlen, vor denen es sich trefflich gegen den neuen Kebabstand beim Kreisverkehr von St. Hippolyt am Autobahnzubringer kampagnisieren lassen hätte, waren am Horizont. Der FPÖ drohte in den nächsten zwei Jahren das Schicksal eines Über-Bord-Gegangenen im weiten Ozean: Niemand würde ihr Schreien hören! Wie ungeheuer deprimierend.

Von den Parteigranden war niemand aufgetaucht, das war an allen anderen blauen Montagen in den letzten zwei Jahren noch deutlich anders gewesen. Blauer Montag hieß ja nicht, dass die alle nicht kamen – sondern nur, dass sie halt einmal nicht nur inoffiziell nichts arbeiteten. Und es hatte ja so gut wie immer so viel zu feiern gegeben, dass es sich in der Wahlnacht davor gar nicht gescheit ausgegangen war. Da wurden dann aus den diversen Reparaturseidln gern einmal ganz schnell wieder größere Gebinde, aber hallo! Think big war halt in dieser goldenen Ära einfach in jeder Hinsicht angesagt gewesen. Ach. Vorbei die Herrlichkeit.

Der Chef war sowieso verschollen. Das war zwar an sich nicht weiter unüblich, wenn ihn wieder einmal die Berge ganz laut riefen. Oder die Stimmen in seinem Kopf. Aber dieses Mal machten sich nicht wenige in der Partei ernsthafte Sorgen, er könnte gleich länger in Verstoß geraten. Und vielleicht erst nach Monaten, die er unerkannt am Berg Athos oder in Tibet verbracht hat, mit einem langen Vollbart und einer neuen Orientierung nach dieser tiefen Lebenskrise wieder auftauchen. Und fortan Tauben züchten, die alle weiß waren und alle Wladimir hießen. Bei ihm wusste man ja nie! Was für schlimme Aussichten an diesem blauen Montag. Dem letzten für eine verdammt lange Zeit.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz