Rainer Nikowitz: Grünspäne

Nach Van der Bellens Sieg können sich die Grünen endlich wieder mit dem für sie Allerwichtigsten beschäftigen: sich selbst.

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Die Grünen verstehen die Welt nicht mehr. Manche finden das zwar logisch, denn umgekehrt verhält es sich ja schon etwas länger so. Aber dass es den Medien nicht nur an der grundsätzlichen Bereitschaft mangelt, völlig normale Ereignisse wie den Ausschluss der eigenen Jugendorganisation so darzustellen, wie sich das die Parteispitze erwartet, sondern sie jetzt auch noch über Ablösegerüchte rund um Eva Glawischnig berichten, ist ja wirklich wieder einmal voll nicht okay. Leider ist halt der Journalismus, wie Michel Reimon jüngst in einem exakt 2,43 Meter langen Facebook-Posting festhielt, hierzulande in einem sehr bedauerlichen Zustand, seit er nicht mehr in dieser Branche arbeitet. (Reimon holte sich mit dieser Meisterprüfung in politischer Kommunikation übrigens auch seinen Guinness-Buch-Eintrag zurück, der ihm kurzfristig von einer aufgrund des weltweit höhnisch seine hässliche Fratze zeigenden Neoliberalismus arbeitslosen Regentanz-Expertin in Nordschottland entrissen worden war, die eine ereignisreiche Woche im Leben der Silberfischfamilie auf ihrem Dachboden beschrieben hatte.)

Aber die Grünen wären nicht die Grünen, wenn sie nicht großherzig allen, denen sie es nicht gesetzlich vorschreiben können, auch so die Chance auf Besserung gewährten. Das gilt natürlich zuallererst einmal für die Parteijugend, der wiederum Reimon die Hand zur Versöhnung entgegenstreckte: „Schaut’s, ich weiß ja, wie das ist. Ich war auch einmal jung und deppert. Jetzt bin ich nur mehr jung.“ Aber auch für alle anderen, also die Öffentlichkeit. Dem oft geäußerten Vorwurf, die Grünen seien mitunter ein wenig realitätsfern, trat etwa Sigi Maurer entgegen, die ja in ihrer bisherigen beruflichen Karriere, die sie über so unterschiedliche Stationen wie die Grünen im Hochschulparlament bis hin zu den Grünen im richtigen Parlament geführt hat, durchaus schon ein-, zweimal mit der Realität in Berührung gekommen ist: „Eines ist klar: Es ist nicht unsere Schuld. Aber unsere Tür ist offen: Wenn sich die Realität endlich unseren Positionen annähert, sind wir wieder gut.“

Effizienter kann der Kampf gegen rechts kaum geführt werden.

Hand in Hand damit geht die ebenso oft gehörte Unterstellung, die Grünen würden sich mit Hingabe an Orchideenthemen abarbeiten. Hier stellte die – wie jetzt ein für alle Mal objektivst festgehalten werden muss – fest im Damensattel sitzende Parteichefin Glawischnig klar, dass für sie eine Diskriminierung von Orchideenthemen nicht infrage komme. Man denke aber darüber nach, vielleicht bei der Herangehensweise etwas nachzuschärfen: „Man muss das mehr aus der Genderperspektive sehen. Das schreibe ich vor allem Peter Pilz ins Stammbuch. Und zwar beides.“ Der grüne Haudegen der ersten Stunde sei übrigens auch ein gutes Beispiel dafür, dass es die Grünen mit ihren diversen Anti-irgendwas-Positionen keineswegs nervtötend politisch überkorrekt nähmen. „Peter Pilz ist ein alter weißer Mann. Und die sind ja nun wirklich das Letzte. Da kann von mir aus jeder Anti-Rassismus, Anti-Sexismus und Anti-Ageismus kurz einmal scheißen gehen.“

Bleibt noch der Hang zur Nabelschau, zur mit Verve betriebenen Beschäftigung mit sich selbst. Es ist zwar überhaupt nicht zu verstehen, dass sich alle anderen nicht mit der gleichen Intensität für grün-interne Reibereien begeistern können, aber nobody’s perfect. Neben dem bereits besprochenen Generationenkonflikt kämpfen hier gerade die Wiener Grünen um die verdiente Aufmerksamkeit an der Publizitätsfront, mit ihrer spät, aber glücklicherweise doch noch ausgerufenen Urabstimmung über das Hochhausprojekt am Heumarkt. Entscheiden sich die gleich 1000 grünen Wiener Parteimitglieder dafür, könnten sich die Gegner abspalten. Ein Nein wiederum könnte nicht nur Vizebürgermeisterin Vassilakou, eine Befürworterin, den Sessel kosten, sondern auch gleich die rot-grüne Koalition in Wien beenden. Eine klassische Win-win-Situation also, wie sie wohl nur die Grünen hinbekommen, denn effizienter kann der Kampf gegen rechts kaum geführt werden. Der Wiener Landessprecher Joachim Kovacs sieht das alles denn auch durchaus positiv: „Wenn wir den Rechten Paroli bieten wollen, brauchen wir auf alle Fälle einmal mindestens so viele verhaltensauffällige Querulanten wie die. Aber ich räume schon ein, dass dieses permanente Hirnwichsen manchmal ein bisschen Kopfweh macht. Oder denken Sie vielleicht, ich trage immer mein Stirnband, weil ich allen Ernstes glaube, das schaut cool aus?“

Es läge möglicherweise an Alev Korun, in dieser Causa eine Kompromissformel zu finden. Da dieses Hochhaus ja unter schwerem Kapitalismusverdacht steht, könnte man sagen: Hochhaus ja, aber nur als Wohnheim für minderjährige unbegleitete Schutzsuchende zwischen 25 und 35 – sofern da drin garantiert strenge Antidiskriminierung herrscht, also Kopftuchzwang. Aber bitte das nur als unverbindliche Anregung zu verstehen, denn wenn die Grünen eines nicht brauchen können, dann Zurufe von außen. Ist eh schon so laut.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 15 vom 10.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort