Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Lassen Sie mich durch, ich bin Intellektueller!

Dieser hässliche Kriegslärm stört Nachdenker wie mich beim Vordenken. Also verlange auch ich ultimativ, dass die Ukraine endlich kapituliert.

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Selbstverständlich habe ich den offenen „Emma“-Brief meiner intellektuellen Freunde auch unterschrieben. Meine pazifistische Gefühlswelt ist ebenso tief zerrüttet. Und meine jüngste Stromrechnung ebenso unerfreulich. Und wer ist daran schuld? Diese sturen Ukrainer! Kämpfen einfach immer weiter, statt sich dem Unvermeidlichen zu fügen. Das bringt doch bitte nichts! Geben wir Putin einfach, was er will, dann ist endlich wieder Ruhe. Meine Mitunterzeichnerin Alice Schwarzer würde jetzt sagen: Süße, lieg einfach still, mach die Augen zu und denk an was Schönes. Dann ist es gleich wieder vorbei!

Aber leider: Nicht einmal jetzt, nach unserer freundlichen und kein bisschen anmaßenden Ermahnung haben sich die Ukrainer ergeben. Was bilden sich die eigentlich ein? Ich bin da ganz bei meiner Mitunterzeichnerin Juli Zeh: „Die Frage betrifft nicht nur die Ukraine. Sie betrifft ganz Europa, im schlimmsten Fall die Welt. Es ist zu einfach gedacht, dass nur die Ukraine entscheiden kann, was als Nächstes passiert.“ Genau. Viel zu einfach gedacht! Aber zum Glück gibt es ja uns, als Felsen in der Brandung des zu einfachen Denkens. Und deshalb bestimmen immer noch wir, wann und wo sich auf dieser Welt ein Land gegen einen Aggressor wehren darf. Oder vielmehr: Sollten wir bestimmen, in einer idealen Welt. Leider gibt es diese ideale Welt noch nicht. Aber wir arbeiten dran. 

Darum habe ich auch keine Sekunde gezögert, als mich „Jedermann“ Lars Eidinger angerufen und gefragt hat, ob ich den Brief auch unterschreibe. Lars ist ja ein Phänomen: Trotz seines intellektuellen Schwergewichts schafft er es mühelos, auf jeder noch so dünnen Suppe überzeugend den Schnittlauch zu geben. Naja, gelernt ist eben gelernt. Lars hat zwar zugegebenermaßen zuerst gedacht, es ginge um eine Kampagne gegen zu viel Zucker im Essen („Irgendwas mit ’Die Waffeln nieder’, Alter!“), aber das muss man ihm nachsehen. Unlängst hat er in einer Talkshow laut gedacht, dass Belarus kein eigener Staat sei, sondern ein Teil Russlands. Möglich, dass er das über die Ukraine auch denkt - er ist halt manchmal nicht ganz bei der Sache. Das hindert ihn aber zum Glück trotzdem nicht daran, sich für diese Sache einzusetzen. Wir Intellektuelle sind nämlich keineswegs so weltfremd, wie man uns gerne vorwirft. Wir verschließen uns auch nicht vor Trends. Also gilt im Social-Media-Zeitalter auch für uns die Prämisse: Ich habe zwar keine Ahnung – aber wenigstens eine Meinung!

Wir sind halt nun einmal Vordenker, wir haben uns das nicht ausgesucht, es ist stärker als wir. Darum ist auch einfach einmal die Pappn halten selbstverständlich keine Option. Und Sie, also die simplen Nachdenker, machen sich ja überhaupt keine Vorstellung, wie furchtbar anstrengend dieses Vordenken für Sie alle ist. Aber: Dankt man es uns etwa? Weit gefehlt! Ganz im Gegenteil! 

Mein Mitunterzeichner Peter Weibel ist zu Recht entsetzt: „Die Rhetorik, mit der die Unterzeichnerinnen des Briefes überschüttet werden, erinnert nicht an die freie Welt, sondern eher ans russische Staatsfernsehen, das auch die Gegner mit Spott und Hohn überschüttet.“ 

Die lachen! Über uns! Das ist fürwahr ein Skandal. Was bitte ist daran lustig, wenn Peter Weibel messerscharf analysiert: „Wer trifft die Entscheidung über den Verteidigungskrieg? Ist es das Volk oder die Regierung Selenskyj? Als 1968 eine halbe Million Soldaten in die Tschechoslowakei einmarschierte, rief Präsident Dubcek dazu auf, auf gewaltsamen Widerstand zu verzichten, da dieser von vornherein aussichtslos sei. Er hat also nicht sein Volk geopfert. Die fünf Millionen oder mehr Menschen, welche die Ukraine verlassen, fliehen nicht allein vor dem Krieg, sondern sie fliehen auch aus der korrupten Ukraine.“  

Nein, da gibt es nun wirklich nichts zu lachen. Betrüblicherweise passiert es aber dennoch und das ist sogar weit mehr als ein Skandal, das ist, wie Korruptionsexperte Weibel mit dem Verweis auf das russische Staatsfernsehen ja völlig richtig insinuiert: faschistoid! Damit kennen wir uns nämlich aus. Wir riechen den Faschismus überall, so gut kann er sich gar nicht verstecken. Wir haben zusammen mehr Mahnwachen und „Niemals wieder!“-Reden auf dem Buckel, als der arme Wladimir Putin gebrochene Nato-Versprechen. Und darum muss ich jetzt deutlich meine Stimme erheben – weil man es ja nicht oft genug sagen kann: Wehret den Anfängen! Diese Nazis hätten keine Freude mit uns gehabt, das kann ich Ihnen garantieren. Wenn wir nicht leider mit der Ungnade der späten Geburt bestraft worden wären, hätten wir das alles natürlich verhindert. Und man kann – selbst als Intellektueller – noch so viel drüber nachdenken: Es will einem einfach nicht in den Sinn, wie das damals alles passieren konnte. Wie die Leute so blind sein konnten – und so schrecklich feig! 
Nun ja. Hatten wohl zu wenige Vordenker. 

 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort