Rainer Nikowitz: London calling

Am Chaos um den Brexit ist die EU natürlich selbst schuld. Man müsste den grundvernünftigen Briten doch nur ein wenig entgegenkommen.

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May: Na, bravo! Da habt ihr ja wieder was angerichtet! Merkel: Wir? Womit denn bitte? May: Na, mit der Abstimmung, die ich im Unterhaus verloren habe. Ich hoffe, ihr seid stolz auf euch. Macron: Wieso sind daran bitte wir schuld? May: Darling, ich bin Britin. Und Artikel eins der ungeschriebenen britischen Verfassung lautet: Europa ist immer schuld. Kurz: Dafür muss man nicht einmal zwangsläufig Brite sein. Mein Koalitionspartner sieht das ganz genauso. Juncker: Ich kann mich nicht erinnern, dass wir euch Briten mit vorgehaltener Speisekarte gezwungen hätten, die EU zu verlassen. May: Könntest du das möglicherweise auch sagen, ohne mir dabei die Frisur zu zerstören? Juncker: So was heißt bei euch tatsächlich Frisur? Ihr seid sooo lustig! Schon allein deshalb werdet mir fehlen. May: Das ist wirklich nett. Aber meine zweite Frage wäre: Wieso „mit vorgehaltener Speisekarte“? Juncker: Weil man euch ja bekanntlich mit nichts so einfach vertreiben kann wie mit Essen, das diesen Namen auch verdient. May: Wie ich sehe sind die antibritischen Ressentiments hier trotz all unserer Bemühungen nicht geringer geworden. Sehr schade. Aber leider passt es ins Bild.

Merkel: Was bitte haben wir euch denn getan, dass ihr ständig so beleidigt sein müsst? May: Ihr gebt uns einfach keinen Austrittsvertrag, der uns auch gefällt. Das ist grob unsportlich. Und dabei wäre es doch so einfach! Dieses Papier könnte ganz kurz sein. Merkel: Ahso? Was sollte denn drinstehen? May: Großbritannien behält alle Vorteile einer Mitgliedschaft – ohne die Nachteile. Macron: Sonst noch was? May: Du hast recht, das ist wahrscheinlich nicht genug. Man sollte wohl noch dazuschreiben: Großbritannien darf weiter überall mitbestimmen. Es hat nur mehr Rechte und keine Pflichten. Damit das nicht wieder irgendwer irgendwie zu unserem Nachteil auslegt – wie sonst immer. Merkel: Wann genau ist „britisch sein“ eigentlich von einer liebenswerten Marotte zu einer ausgewachsenen Paranoia geworden? May: Ihr habt uns noch nie verstanden. Schlimmer noch: Ihr habt es nicht einmal versucht. Macron: Was bitte hätten wir tun sollen? Zum Frühstück fette Würstchen, verbrannte Tomaten und zerkochte Bohnen essen? May: Das wäre zumindest ein Anfang gewesen. Wenn ihr es auch noch damit kombiniert hättet, eure kindische Weigerung aufzugeben, endlich auf der richtigen Straßenseite zu fahren. Kurz: Völlig unmöglich! Mein Koalitionspartner würde niemals links fahren. Außer auf der Autobahn natürlich. Merkel: Würde er einem da nicht eher entgegenkommen? Juncker: Europa hat euch doch ohnehin immer Extrawürste gebraten. Ich sage nur: Britenrabatt! Ihr habt immer viel weniger bezahlt als die anderen. May: Aber immer noch viel zu viel! Wenn ihr fair gewesen wärt, dann hätten wir ja sogar etwas bekommen sollen! Macron: Als reiche Industrienation? Hä? May: Bedenkt doch, was wir waren, bevor wir der EU beigetreten sind: viel größer! Wir waren das Empire! Und dann habt ihr uns klein gemacht. Merkel: Kann es sein, dass in dieser Erzählung ein paar Jahrzehnte fehlen? Kurz: Das kenn ich. Wenn mein Koalitionspartner historisch wird, fehlt auch immer ungefähr ein Jahrzehnt. Aber eher ein anderes.

May: Fußballweltmeister! Das würden wir auch gerne wieder einmal werden. Schreiben wir das doch in den Vertrag. Macron: Aber dann solltet ihr vielleicht nicht mit vier Nationalmannschaften spielen, sondern mit einer. May: Mit den Schotten gemeinsam? Niemals! Die machen schon so genug Probleme. Die wollen ja in der EU bleiben. Merkel: Das ist es ja: Bei euch ziehen doch alle in verschiedene Richtungen. Manche wollen bleiben, andere raus ohne Abkommen, du willst zwar raus, aber mit einem Abkommen mit Milch- und-Honig-Garantie … Vielleicht solltet ihr euch intern einmal irgendwie einigen. Wäre das keine Idee? May: Schon allein diese Frage ist wieder eine vollkommen ungehörige Bevormundung. Kurz: Mein Koalitionspartner gratuliert übrigens zur Wiedererlangung der Souveränität und will sich was abschauen für den Öxit. Merkel: Warum reden Sie eigentlich dauernd über Ihren Koalitionspartner? Gibt es nichts Wichtigeres? Kurz: Für mich nicht. Was wäre ich denn ohne ihn? Juncker: Sympathisch? May: Also will Österreich auch raus? Kurz: Die russischen Trolle auf der Facebook-Seite meines Koalitionspartners sagen: ja. May: So hat es bei uns auch angefangen. Jetzt fehlt euch nur noch ein Boris Johnson. Kurz: Gilt ein Harald Vilimsky auch?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort