Satire

Stromabwärts

Es gibt überhaupt keinen Skandal um die Wien Energie. Da können Sie fragen, wen Sie wollen! Aber am besten fragen Sie natürlich den Bürgermeister.

Drucken

Schriftgröße

profil: Und, Herr Bürgermeister? Heute schon ein paar Milliardenkredite vergeben?

Ludwig: Noch nicht. Aber es ist ja auch erst Vormittag.

profil: Und die Wien Energie könnte schließlich am Nachmittag in eine kleine Notlage kommen, von der sie jetzt im Moment leider noch nichts ahnen kann.

Ludwig: Und das Ganze völlig unverschuldet! In den Abgrund gerissen von einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Raubtierkapitalismus.

profil: Wie die staunende Öffentlichkeit mittlerweile weiß, dürfen Sie ja tatsächlich freihändig solche Summen bewegen. Sie müssten sich das aber unverzüglich nachträglich vom Gemeinderat absegnen lassen. Und das ist halt leider bis heute nicht passiert. Obwohl Sie die ersten 700 Millionen schon Mitte Juli vergeben haben.

Ludwig: Die Sommerpause ist allen Fraktionen heilig. Das ist Artikel 1 der gelebten Stadtverfassung.

profil: Die man natürlich wegen ein paar läppischen Milliarden nicht gleich außer Kraft setzen wird.

Ludwig: Sie kennen ja die progressive Sozialdemokratie. Von lieben Gewohnheiten trennen wir uns selten bis nie.

profil: Ihr immer ausgesprochen braver Koalitionspartner, der Ihre faktische Alleinregierung ohnehin nie durch irgendwelche Zwischenrufe stört oder gar eigene Forderungen umgesetzt wissen möchte, hat es immerhin wenigstens gleich danach erfahren. Aber … warum eigentlich nicht vorher?

Ludwig: Nun, es wäre ja möglich gewesen, dass er nicht einverstanden ist.

profil: Na und? Nicht, dass das irgendwas geändert hätte, oder?

Ludwig: Auf keinen Fall, wo denken Sie hin. Aber ich kann niemanden weinen sehen.

profil: Verstehe. Aber sagen Sie, wieso hat es denn dieser fraglos abgrundtief böse Raubtierkapitalismus offenbar nur auf die arme Wien Energie abgesehen? Wieso brauchen andere Energieunternehmen nicht auch von heute auf morgen ein paar Milliarden Stütze?

Ludwig: Das liegt doch auf der Hand: Weil sie diesen Strombörsen-Haien als Vertreterin des Guten, Wahren und Schönen ein besonderer Dorn im Auge ist. Und von allen ins Visier genommen wird.

profil: Mit dem Guten, Wahren und Schönen meinen Sie die Stadt Wien im Allgemeinen?

Ludwig: Eher die Wiener SPÖ im Besonderen.

profil: Wollen Sie damit andeuten, dass es zwischen Wien Energie und Wiener SPÖ Berührungspunkte gibt? Oder gar Überschneidungen?

Ludwig: Natürlich nicht. Strom hat weder ein Mascherl noch ein Parteibuch.

profil: Wer käme auch auf so eine Idee. Gerade in Österreich.

Ludwig: Schauen Sie: Die Bundesregierung ist schuld, das ist doch bitte vollkommen klar. Weil, die hat nichts unternommen, um die Wien Energie vor diesem Preis-Tsunami zu schützen. Also zum Beispiel im Alleingang dieses vollkommen absurde Merit-Order-Prinzip in Europa außer Kraft gesetzt. Das ist Fakt. Und nicht genug damit! Nein, sie muss dann auch noch unbedingt jedem verraten, dass es da ein kleines Problem gibt.

profil: Statt die ganze Sache auch so ausgesprochen diskret zu behandeln wie Sie.

Ludwig: Genau! Auf dieses Versagen sollten sich die Medien konzentrieren! Und nicht auf das bisschen Pech, dass ein streng nach den ehernsten sozialdemokratischen Grundsätzen geführtes, also quasi gemeinnütziges Unternehmen gehabt hat.

profil: Ach, Sie kennen ja diese Medien! Kaum hören sie etwas von sechs oder zehn Milliarden, die die Wien Energie braucht, finden sie das auch schon irgendwie seltsam. Ich kann mir auch nicht erklären, warum.

Ludwig: Und das wirklich Arge ist: Die Grünen sind ja um nichts besser als ihre türkisen Ehepartner. Das werden wir uns merken.

profil: Sie meinen wegen einer zukünftigen Ampelkoalition? Nun, Wien unternimmt ja in letzter Zeit ohnehin einige Anstrengungen, die zu verhindern. Rendi-Wagner fordert von der Bundesregierung einen Deckel auf den Preis von quasi allem – und das rote Wien erhöht sämtliche Gebühren. Und jetzt auch noch diese Geschichte. Waren Ihnen die Umfragewerte von Rendi-Wagner zu hoch?

Ludwig: An denen wird sich schon nichts ändern. Sie wissen ja wohl, dass die sowieso nur halb so hoch sind wie die der SPÖ als Partei.

profil: Ach so – dann wollten Sie also diese Diskrepanz verringern? Indem Sie in Erinnerung rufen, dass man die SPÖ überall hinlassen sollte – nur nicht in die Nähe von Steuergeld?

Ludwig: Beim ORF Wien werden Sie nichts mehr. Nur, dass das klar ist.

profil: Das war es schon länger.

Ludwig: Und Ihren Gas- und Stromvertrag schau ich mir jetzt auch genau an.

profil: Oh. Wird’s für mich teurer?

Ludwig: Das auch. Aber vor allem: kälter.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort