Robert Treichler: Bilder und Rhythmen

Handke und Serbien – oder: Wie soll man politisch abwegige Ansichten eines Literaturnobelpreisträgers beurteilen?

Drucken

Schriftgröße

Im Oktober 1998 traf ich Peter Handke zufällig in der Innenstadt von Belgrad. Ich war als Reporter dorthin gereist, weil erwartet wurde, dass die NATO mit Luftschlägen gegen Jugoslawien beginnen würde. Tatsächlich geschah dies erst im März 1999. Handke war auf Einladung des serbischen Schriftstellerverbandes in Belgrad. Er bekam einen Preis.

Der Genozid von Srebrenica lag drei Jahre zurück; einer der Hauptverantwortlichen, Radovan Karadžić, wurde per internationalem Haftbefehl gesucht, den die serbischen Behörden ignorierten; Präsident Jugoslawiens war noch der später als Kriegsverbrecher angeklagte Slobodan Milošević.

Handke hatte 1996, ein Jahr nach Srebrenica, den Essayband „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ veröffentlicht. Der Schriftsteller hatte es sich zur Aufgabe gemacht, gegen die Ungerechtigkeit anzukämpfen, die den Serben in seinen Augen widerfuhr. Die Darstellung der Untaten der politischen und militärischen Führung der Serben in den europäischen Medien hielt Handke für grotesk verzerrt.

Ich sprach Handke an, stellte mich als profil-Reporter vor, und bat um ein Interview. Handke lehnte ab. Dann gingen wir nebeneinander her und führten Small Talk.

Handke hatte sich in die Jugoslawienkriege verbissen wie – auf der Gegenseite – der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy. Der Franzose begrüßte und verteidigte die Luftangriffe der Nato auf Belgrad. Der Österreicher hingegen vermutete eine Verschwörung gegen die Serben und wollte mit seinen Mitteln die Wahrheit herausfinden und darlegen.

Aber welche Mittel waren das bloß?

Handke reiste nach Serbien, ehe er die „Winterliche Reise“ schrieb. Er besuchte 1996 den international gesuchten Radovan Karadžić in Pale, einem Ort in der Republika Srpska (einer der beiden Entitäten von Bosnien-Herzegowina). Er wollte „Auskünfte“ von dem 2019 zu lebenslanger Haft verurteilten Kriegsverbrecher. Karadžić erinnerte sich später an das Gespräch mit Handke: „Er befragte mich über den Krieg, die Ereignisse vom Vorjahr in Srebrenica, die Hintergründe des Konflikts und die Leiden der bosnischen Bevölkerungsgruppen.“

Was auch immer Handke bei seinen Nachforschungen erfuhr, seine Skepsis gegenüber der Art und Weise, wie Serbien behandelt wurde, blieb. Auch wenn er die Gräuel der serbischen Seite konstatierte, stellte er sie in öffentlichen Äußerungen doch immer relativierend den Untaten der anderen gegenüber – auch als der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag nach penibel geführten, rechtsstaatlichen Verfahren seine wesentlichen Urteile gefällt hatte. Das Massaker von Srebrenica war tatsächlich als Völkermord zu werten, Karadžić schuldig.

Man sollte Handkes Jugoslawien-Texte mit Urteilen des Strafgerichtshofs im Anhang ausliefern.

Slobodan Milošević starb in Den Haag, noch ehe sein Fall abgehandelt war. Handke nahm an seinem Begräbnis teil und hielt dort eine kurze Rede. Warum tat er das?

Die großartige Arbeit des ICTY hat auch den Rahmen dafür geschaffen, worüber debattiert werden kann und worüber nicht. Mitglieder aller beteiligten Volksgruppen wurden verurteilt (oder freigesprochen). Es sollte dem Raunen über angebliches Unrecht gegenüber den Serben ein Ende bereiten, auch bei jemandem wie Handke.

Im Oktober 1998, als unser Spaziergang durch die Belgrader Innenstadt endete und wir feststellten, dass wir im selben Hotel abgestiegen waren, fragte ich Handke: „Wie sehen Sie die Situation Serbiens?“ Handke sah zur Seite und sagte: „Ich habe vor allem Bilder und Rhythmen im Kopf.“

Mag sein, dass sich der Starschriftsteller bloß in diesem Moment einer Journalistenfrage entziehen wollte. Die Formulierung sagt dennoch viel über ihn aus. Angesichts eines drohenden NATO-Luftangriffs „Bilder und Rhythmen“ im Kopf zu haben, gehört zu den Privilegien eines Künstlers.

Und so taugen Handkes Einsichten ganz einfach nicht für das, was Justiz, Geschichtsschreibung oder auch Journalismus an Wahrheitsfindung betreiben. Es war ein Missverständnis Handkes und seiner Leser, wenn er etwa wie im Mai 2006 in der französischen Tageszeitung „Libération“ unter dem Titel „Sprechen wir also über Jugoslawien“ eine Debatte forderte, als wäre alles, was bis zu diesem Zeitpunkt herausgefunden und besprochen worden war, einseitig und falsch gewesen.

Nimmt man den Literaturnobelpreisträger in diesen Fragen beim Wort, gelangt man, wie etwa der US-Journalist Peter Maass auf der Nachrichten-Website „The Intercept“, zu dem harten Urteil, das Stockholm-Komitee habe einen „Genozid-Apologeten“ ausgezeichnet. Das wiederum ist ein Missverständnis von Handkes Rolle. Dessen Nörgeln ist literarisch-obsessiv, verschroben-querulatorisch, und wahrhaftig nur im Sinne einer störrischen Anti-Objektivität. Verbohrte Rechthaberei auf hohem künstlerischen Niveau.

Was also tun mit den Jugoslawien-Beiträgen des Geehrten? Man sollte sie mit Auszügen von Urteilen des ICTY im Anhang ausliefern. Oder besser was anderes von Handke lesen, irgendwas mit Bildern und Rhythmen.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur