Kommentar

Eine Bitte an die Klimabewegung

Was ein klugscheißender Boomer denkt - und wie man ihn für die Sache gewinnt.

Drucken

Schriftgröße

Warum ist die Klimabewegung so schwach? Was macht sie falsch? Der Hintergedanke dieser Frage ist nicht Häme, sondern die Überzeugung, dass der politische Druck, den eine starke Klimabewegung ausüben könnte, verdammt nötig wäre.

Die Zahl der Aktivistinnen und Aktivisten in Österreich hat sich auf wenige Dutzend reduziert, und die haben sich auf originelle Formen des Protests verlegt: Festkleben auf Straßen, vermeintliches Anschütten berühmter – aber gut geschützter – Gemälde.

Ziviler Ungehorsam ist gemäß politischer Philosophie legitim, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Er muss gewaltlos sein, öffentlich, und er muss im Namen einer Sache geschehen, die von allgemeinem Interesse ist. All das trifft auf die Aktionen der Klimaaktivisten zu. Was aber macht zivilen Ungehorsam erfolgreich?

Der Vater dieser Idee war der Amerikaner Henry David Thoreau, der 1846 für einen Tag im Gefängnis landete, weil er sich geweigert hatte, seine Steuerschuld zu begleichen. Seine Begründung: Er wolle mit seinem Geld nicht die von der Regierung unterstützte Sklaverei finanzieren. Thoreau, ein schrulliger Zeitgenosse, erreichte mit seinem Protest in der Sache wenig, doch er hinterließ mit seinem Buch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“ nachfolgenden Generationen das intellektuelle Fundament für gewaltlose Kämpfe gegen Unrecht.

Mahatma Gandhi und Martin Luther King lasen Thoreaus Werk und entwickelten seine Ideen weiter. Während Thoreau Ungehorsam als individuellen Akt betrachtete, machten Gandhi und King daraus das Mantra einer Massenbewegung. Gandhi widersetzte sich der britischen Herrschaft über Indien, King der Rassentrennung in den Südstaaten der USA.

Das Konzept des zivilen Ungehorsams wurde millionenfach angewandt. In Österreich etwa zur Jahreswende 1984/85, als Umweltschützer die Hainburger Au besetzten und so letztlich den Bau eines Wasserkraftwerks verhinderten.

Aus diesen und vielen anderen Beispielen kann man ablesen, was es braucht, um Erfolg zu haben: 1. Ein als grobes Unrecht empfundenes Gesetz oder einen vergleichbaren Akt. 2. Einen mächtigen Gegner, meist den Staat. 3. Eine charismatische Person, die das Anliegen auf drastische Weise formuliert. 4. Eine Anhängerschaft, die bereit ist, sich an Aktionen zivilen Ungehorsams zu beteiligen. 5. Politische Unterstützung bei einem ausreichend großen Teil der Bevölkerung.

Was also fehlt der Klimabewegung?

Einiges. Zunächst ist nicht klar, worin genau das Unrecht besteht, das sie bekämpft. Das Verfehlen von Klimazielen ist ein viel zu komplexes Ereignis, das jede Menge Gründe hat, die nicht so einfach auf den Staat oder die Regierung zurückgeführt werden können. Damit fehlen die beiden wichtigsten Punkte: ein präzises Unrecht und ein eindeutig Verantwortlicher. Tatsächlich beweist die Regierung durch verschiedene Anstrengungen, dass sie prinzipiell die Ziele der Klimabewegung teilt. Umso schwieriger ist es, sie in einem bestimmten Punkt als Unrechtsregime zu brandmarken. Wie böse ist eine Bundesregierung, die eben Milliarden für Klimaschutzmaßnahmen budgetiert hat, aber keine 100-km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen verhängt? Offenbar nicht böse genug, um das Volk gegen sich aufzubringen.

Noch komplizierter wird es, weil der Adressat vieler Vorwürfe der Klimaaktivisten in Wahrheit die Bevölkerung selbst ist. (Fast) alle fahren mit dem Auto, fliegen in den Urlaub, kaufen viel zu viel Kleidung und sonstigen klimabelastenden Ramsch, den sie flugs wegwerfen, anstatt ihn reparieren zu lassen.

So ist es kein Wunder, dass Klimakleber und ähnliche radikale Klimaretter ganz allein dastehen. Keiner folgt ihnen, kaum jemand solidarisiert sich mit ihnen, viele tippen sich an die Stirn, wenn Kartoffelmatsch oder Tomatensuppe von den Museumsvitrinen rinnt.
Alles aussichtslos also?

Nein. Die Studentenbewegung der 1960er-Jahre schaffte es, viel komplexere gesellschaftliche Zusammenhänge als Missstände anzuprangern und ausreichend viele Leute hinter ihrer Botschaft zu versammeln. Sie destillierte aus hochtheoretischen Überlegungen einfache Slogans: Nein zum Vietnamkrieg! Raus mit alten Nazis aus den Universitäten!

Dazu verfügte die Bewegung über populäre Figuren wie Daniel Cohn-Bendit oder Rudi Dutschke. Aber für diese Aufgabe taugen die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Lena Schilling durchaus. Sie müssen sich auf eine präzise, mehrheitstaugliche Forderung einigen, die sie der Bevölkerung klar machen und hinter der sie so viele Leute wie möglich versammeln. Ein Punkt, der bedeutsam ist und für den die Regierung beziehungsweise deren Fraktionen im Parlament die Verantwortung tragen.

Welche Forderung das sein könnte? Das zu entscheiden, ist Job der Köpfe der Klimabewegung, nicht der eines klugscheißenden Boomers. Aber ich und viele andere wären so zu kriegen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur