Robert Treichler: J. K. Rowling & die Kammer des Schreckens

Der Kampf um nichtbinäre Geschlechter wird mittels binärem Gut-Böse-Schema geführt.

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Joanne K. Rowling, vormals gefeierte Autorin der Harry-Potter-Romane, hat wieder einmal (unter ihrem Pseudonym Robert Galbraith) ein Buch geschrieben. Es handelt sich um den fünften Band einer Krimiserie, trägt den Titel „Böses Blut“, und anstelle ausführlicher Rezensionen erntete Rowling dafür virtuelle Todeswünsche. „#RIPJKRowling“ (Ruhe in Frieden, JK Rowling) lautet der entsprechende Hashtag auf Twitter, und auch wenn so was nicht das Ableben der 55-Jährigen nach sich zieht – toter kann man sozialmedial nicht sein.


Der Aufruhr hat natürlich überhaupt nichts damit zu tun, dass Rowlings Roman schrecklich misslungen wäre, sondern ausschließlich damit, dass die Autorin darin eine ideologische Todsünde begeht: Sie erzählt einen Plot, der nach Meinung ihrer Kritiker Vorurteile gegenüber Transsexuellen befeuert. In „Böses Blut“ geht es nämlich um einen Serienmörder, der Frauenkleider anzieht, wenn er seine Opfer anlockt.


Die Aufregung um Rowling und ihr Buch hat zwei Aspekte. Der erste ist läppisch: Selbstverständlich kann eine Romanautorin einen Mörder erfinden, der sich als Frau kleidet. Jeder taugt zum fiktiven Bösewicht, und das als Herabwürdigung eines ganzen Personenkreises zu interpretieren, ist Unsinn. Nicht jeder Arzt ist so heimtückisch wie Dr. Jekyll, nicht jeder Walfänger-Kapitän so besessen wie Kapitän Ahab (und auch nicht jeder Wal so fies wie Moby Dick). Auch der Vorwurf, Transsexuelle würden in Medien immer nur als dubiose Figuren porträtiert, stimmt längst nicht mehr. Zahllose Geschichten – wahr und fiktiv – erzählen voll Empathie von den Lebensgeschichten Transsexueller.


Doch die Debatte hat einen weiteren, viel beunruhigenderen Aspekt. Der Feldzug gegen die britische Schriftstellerin hat nicht erst mit dem Erscheinen ihres neuen Buches begonnen, Rowling gilt seit Längerem als transphob. Ihre angebliche Ablehnung transsexueller Personen besteht darin, auf der biologischen Unterscheidung zwischen Mann und Frau zu beharren. Der Unterschied zwischen einer bereits als Frau geborenen Frau und einer Person, die biologisch als Mann zur Welt kam und sich als Frau identifiziert, gilt Rowling als wesentliches Kriterium, das sie sprachlich, politisch und auch im Alltag nicht verwischen möchte. Das macht sie nach Meinung ihrer Gegner zu einer „trans-ausschließenden Radikal-Feministin“, englische Kurzbezeichnung „Terf“ – die bekämpft werden müsse, um die Gleichberechtigung Transsexueller im öffentlichen Leben zu erreichen.


Ist das gerechtfertigt? Rowling hat in einer langen Erklärung auf ihrer Website dargelegt, was sie zu ihrer Ansicht gebracht hat. Sie berichtet von traumatischen Erfahrungen häuslicher und sexueller Gewalt in ihrer ersten Ehe, die sie bis heute verfolgen. Daher rühre eine große Empathie mit transsexuellen Personen, die, so schreibt Rowling, „Schutz brauchen und verdienen“, und: „Deshalb möchte ich, dass Trans-Frauen sicher sind.“ Das klingt nicht nach Transphobie.


Rowling zieht einen weiteren Schluss. Sie möchte, dass Damentoiletten, -Umkleidekabinen und andere Räume, die bisher nur – biologischen – Frauen zugänglich waren, nicht für Personen geöffnet werden, die – biologisch – auch männlich sein können. Das nämlich bereite ihr und vielen anderen Frauen Angst.


Rowlings Kritiker kombinieren ihren Roman-Plot und ihr Festhalten am biologischen Geschlecht und orten üble Diskriminierung. Das deutsche Online-Magazin „Ze.tt“ schreibt über Rowlings Sicht der Dinge: „Traue niemals einem Mann in Frauenkleidern, er könnte gefährlich sein. Was man mit ihrem Verständnis der zwei biologischen Geschlechter daraus auch lesen könnte: Traue keinen trans* Frauen, denn auch sie könnten gefährlich sein.“ Deshalb stehe Rowling dem Ende der Diskriminierung von Transsexuellen im Weg. Das ist die zivilisierte Variante des Hashtags #RIPJKRowling.


Aber so kann man keine sinnvolle Debatte führen. Es ist nachvollziehbar, dass transsexuelle Frauen auf Damentoiletten gehen wollen, und es ist ebenso nachvollziehbar, dass es manche Frauen verunsichert, wenn dort eine Person mit männlichen Geschlechtsteilen anwesend ist – egal, welche Gender-Selbstidentifikation sich diese zuschreibt.


Derzeit werden solche Probleme auf groteske Weise mittels einer Diskriminierungshierarchie entschieden. Transsexuelle erleben schlimmere Benachteiligungen als Frauen (zumal eine reiche, weiße Schriftstellerin), also bekommen Erstere Unterstützung und Letztere eine Grabinschrift.


Spielt das biologische Geschlecht noch eine Rolle? Selbstverständlich. Allein deshalb, weil es in den Köpfen der meisten Menschen (wahrscheinlich: aller Menschen) eine der wichtigsten Determinanten einer Person darstellt. Wird das immer so bleiben? Das weiß niemand. Leitet sich daraus eine notwendige Diskriminierung ab? Nein. Alle tatsächlich bestehenden Benachteiligungen gegenüber sexuell nichtbinären Personen abzubauen, ist eine große Aufgabe. Leute wie J. K. Rowling zu Voldemort zu erklären, ist gesellschaftspolitischer Hooliganismus unter dem Banner der Antidiskriminierung.

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Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur