Robert Treichler: Die Farbe geht nicht mehr ab

Wie man aus Justin Trudeau einen Rassisten macht.

Drucken

Schriftgröße

Kanadas Premierminister Justin Trudeau ist also Rassist. Mittwoch vergangener Woche veröffentlichte das US-Magazin „Time“ ein Foto aus dem Jahr 2001, das ihn als Aladdin verkleidet mit braun angemaltem Gesicht und Turban auf einer Kostümparty zeigt. Trudeau war damals 29 Jahre alt und Lehrer. Gleich darauf tauchten ein weiteres Foto und ein Video auf, auf denen ein noch jüngerer Trudeau mit dunkel geschminktem Gesicht zu sehen ist. Einmal singt er das durch Harry Belafonte bekannt gewordene Lied „Banana Boat Song“, einmal ulkt er herum.

„Blackfacing“ (auch „Brownfacing“) lautet der Begriff dafür, wenn Weiße ihr Gesicht schwarz bemalen – ein Effekt, der in Nordamerika ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den sogenannten Minstrel Shows zur Belustigung des Publikums eingesetzt wurde. Dabei wurden Afroamerikaner stereotyp als dümmliche, stets grinsende, ihre Sklavenhalter liebende, sexuell hyperaktive Männer dargestellt. Dank der Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre gerieten die rassistischen Shows in Verruf und verschwanden schließlich. Die Gepflogenheit, sich das Gesicht zum Zweck der Verkleidung zu bemalen, hielt sich jedoch länger, wie Trudeaus Fotos beweisen.

Dessen politische Karriere steht vor dem Aus. Am 21. Oktober wird in Kanada ein neues Parlament gewählt, und die Medien kennen seit Mittwoch nur ein Thema: Trudeaus schwarz geschminktes Gesicht.

Der links-liberale Sunnyboy ist tief gefallen. 2015 ging ein Zitat von ihm um die Welt: „Because it’s 2015“ (Weil es das Jahr 2015 ist), antwortete der frischgebackene Regierungschef auf die Frage, weshalb sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen sowie mit mehreren Vertretern von ethnischen Minderheiten besetzt war. Und ausgerechnet dieser Mann, der Feminismus, Multikulturalismus und Antidiskriminierung verficht, soll tief drin ein übler Rassist sein? Die Opposition griff den Vorwurf natürlich begeistert auf, und Trudeaus konservativer Herausforderer hielt betroffen fest, dass der amtierende Premier angesichts solcher Fotos „ungeeignet“ sei, Kanada zu regieren.

Wahrscheinlich ist Trudeau nicht mehr zu helfen. Sein Image ist kaputt, die aufgemalte schwarze Farbe kriegt er nicht mehr aus seinem Gesicht.

Beschleicht da noch irgendjemanden außer mir das bange Gefühl, dass die herrschenden moralischen Prinzipien und die darauf aufbauenden Sanktionsmechanismen idiotisch sind? Dass die öffentlichen Ankläger mit fairer Beurteilung und gerechter Abwägung so wenig am Hut haben wie ein betrunkener Scharfrichter? Dass progressiv auftretende Wortführer politische Vernunft und menschliches Einschätzungsvermögen durch selbstgerechten Fanatismus ersetzt haben?

Justin Trudeau hat sich nach Veröffentlichung der Fotos sofort entschuldigt. Glaubhaft, mehrmals, und ohne den Versuch, die Verantwortung für sein Verhalten auf jemand anderen abzuschieben.

Er sagt, ihm sei damals, vor 18 Jahren, nicht bewusst gewesen, dass sein schwarz bemaltes Gesicht für farbige Menschen kränkend sei. Er hätte es wissen sollen, räumt er ein, aber es sei ihm eben nicht klar gewesen.

Kann das eine Schutzbehauptung sein? Hat der junge Justin vielleicht doch Spaß dabei empfunden, Menschen dunkler Hautfarbe zu verspotten? Wollte er sich etwa über Belafonte lustig machen, als er dessen Lied mit schwarz geschminktem Gesicht sang?

Menschliches Einschätzungsvermögen wird durch selbstgerechten Fanatismus ersetzt.

Dagegen spricht sehr viel. Abgesehen von Blackfacing ist über Trudeau nichts bekannt, was auf eine solche rassistische Einstellung hindeuten würde. Und von Belafonte weiß man, dass er Justins Vater Pierre Trudeau, der 15 Jahre lang Kanadas Premierminister war, zu seinen Freunden zählte.

Belafonte trat einmal in einer Show mit dem US-amerikanischen Komiker Danny Kaye auf. Kaye imitierte dabei Belafontes typische Bewegungen und auch dessen kreolische Aussprache im Englischen. Der Witz des Sketches lag darin, dass Kaye dabei scheiterte, „ethnisch“ zu sein wie Belafonte. Nichts an der Imitation oder der versuchten „Aneignung“, wie man das heute empört nennt, war rassistisch.

Trudeau wiederum handelte, aus Gedankenlosigkeit oder wegen nicht ausreichender Beschäftigung mit dem Thema, rassistisch. Man nennt das die subjektive Tatseite. Wer etwas ohne Absicht tut, kann üblicherweise mit Milde rechnen. Nicht jedoch im herrschenden Klima der sektiererischen Prinzipienreiterei.

Trudeau sagt, heute sei ihm klar, dass Blackfacing in Nordamerika historisch so negativ konnotiert ist, dass die Gefahr der Kränkung von Afroamerikanern nicht von der Hand zu weisen ist. Deswegen tue ihm leid, was er getan habe, und er werde es nicht wieder tun. Selbst wenn er jemals Rassist gewesen sein sollte – und das ist mehr als unwahrscheinlich –, ist augenscheinlich, dass er es längst nicht mehr ist.

Also: Es geschah ohne böse Absicht. Es ist lange her. Der Täter bereut. Er ist längst geläutert. Das Urteil: Höchststrafe.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur