Robert Treichler: Sex und Rechtsstaatlichkeit

Am Beispiel einer Schwulenparty und des europäischen Problemfalls Ungarn.

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Sex paart sich oft mit einem Irrtum. Als sich also der ungarische EU-Abgeordnete József Szájer am vorvergangenen Freitag die Regenrinne eines Hauses in der Brüsseler Rue de Pierre herabgehangelt hatte, stand er Polizisten gegenüber, die ihn zu befragen wünschten. Von da nahm die Geschichte ihren Lauf und landete schließlich unter der Kurzbeschreibung "illegale schwule Sex-Party" (die "Bild"-Zeitung und viele andere) in den Medien.

Die Verknüpfung der Begriffe "illegal" und "schwul" war ebenso verführerisch wie falsch, und so paarten sich-wie eingangs angekündigt-Sex und Irrtum. Nein, die homosexuelle Ausrichtung der Party hatte überhaupt nichts mit deren Illegalität zu tun (die dort gefundenen Drogen hingegen schon). Szájer, ein ranghoher Politiker der Fidesz-Partei von Ungarns Premier Viktor Orbán, hatte trotz coronabedingten Versammlungsverbots an einem Treffen von rund 20 Männern in einer Wohnung teilgenommen. Partyspiel des Abends: eine Orgie. Hätte die fröhliche Runde dort Bridge gespielt, wäre dieselbe Übertretung begangen worden, doch die Formulierung "illegale Bridge-Party" hätte deutlich weniger medialen Sabber freigesetzt.

Noch verworrener wird die Angelegenheit, weil Szájer als nunmehr geouteter Teilnehmer an "illegalen schwulen Sex-Partys" politisch für Gesetze mitverantwortlich ist, die in Ungarn die Ehe als "Bund zwischen Mann und Frau" definieren und Homosexuelle von Adoptionen ausschließen. Szájer legte sein Amt zurück und trat aus der Partei aus.

Die Frage, ob ein Homosexueller gegen die Homoehe sein kann, ist längst beantwortet. Ja, er kann. Es gibt auch unter Schwulen Leute mit rechter Gesinnung, die diese Einstellung vertreten, wenn auch sehr wenige. Die sexuelle Orientierung spielt bei der Frage, ob jemand eine diskriminierende Haltung vertritt, letztlich keine Rolle. Ist ein Homosexueller weniger authentisch als ein Heterosexueller, wenn er Homosexuelle von der Ehe ausschließen will? Die Frage mag psychologisch interessant sein, politisch ist sie irrelevant.

Die Sex-Party wird rasch in Vergessenheit geraten, das Problem Ungarn hingegen bleibt. Viktor Orbán und seiner Partei kann man in ihrer Ideologie und ihrer Politik vieles vorwerfen, Mangel an Authentizität ist das geringste Problem. Orbán sagt ganz offen, was er will, und er verwirklicht das seit insgesamt 14 Jahren als Ministerpräsident. Zuletzt legte er in einem Interview in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" sein Verständnis von Demokratie dar: Mit seiner "christlichen, wertschützenden Volkspartei" will er Ungarn und dessen "christlich-jüdische Kultur" erhalten und vor der "Selbstaufgabe der multikulturellen Gesellschaft" bewahren. Der liberalen Demokratie erteilt er zugunsten einer sicheren, also vor äußeren, fremden Einflüssen geschützten Demokratie eine Absage.

Um das zu verwirklichen, baut Orbán an einem System, das die Unabhängigkeit der Justiz, die Meinungsfreiheit, die Rechte von Minderheiten, Migranten und Flüchtlingen missachtet-jedenfalls in den Augen der Mehrheit des Europäischen Parlaments. Deshalb läuft gegen Ungarn ein Artikel-7-Verfahren. Und auch der aktuelle Streit darüber, dass die EU künftig Staaten Finanzhilfen kürzt, wenn sie sich Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit zuschulden kommen lassen, gründet in dieser Ideologie.
 

Was soll die EU tun? Ungarn und Polen können Schuldsprüche im Artikel-7-Verfahren ebenso im Rat blockieren wie den Beschluss, die Rechtsstaatlichkeit zum Kriterium für Auszahlungen zu machen. Wer angesichts dieser Situation verzweifelt, sollte sich besser der Erfolge bewusst werden: Ungarn wird immer wieder vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, und es hält sich bisher an diese Urteile. So musste die Regierung in Budapest etwa in diesem Jahr zwei Transitlager für Flüchtlinge schließen, die direkt an der ungarischserbischen Grenze lagen und nur nach Serbien hin offen waren. Das sei Freiheitsentzug, lautete der Entscheid des Gerichts.

Aber selbst Verfahren, die von Ungarn blockiert werden können, dienen zumindest dazu, den Druck auf Budapest aufrechtzuerhalten. Natürlich ist ein Staat, der Liberalismus und Minderheitenrechte Missachtung entgegenbringt, in der EU ein Fremdkörper. Doch die EU tut gut daran, diesen zu bearbeiten, anstatt ihn hinauszuekeln. Ein Ungarn, das sich von Europa endgültig ab- und stattdessen Russland zuwendet, wäre ein Desaster - für die Ungarn ebenso wie für die EU.

Entscheidend ist, dass sich die EU-Regierungen darin einig sind, Polen und Ungarn bei Verstößen gegen Recht und Werte nicht einfach gewähren zu lassen.

Am Ende gibt es eine Instanz, die gegenüber der ungarischen Regierung den stärksten Hebel hat: die ungarische Wählerschaft. Es ist in ihrer Verantwortung, Nepotismus, Diskriminierung und Autoritarismus an den Wahlurnen zu beenden. Dass die Medien im Land weitgehend gleichgeschaltet sind, ist dabei ein Hindernis-aber kein unüberwindbares. Ungarn ist nicht abgeschottet wie Nordkorea.

Die Ungarn müssen eine Ideologie, die Leute wie József Szájer vertreten, abwählen, aber eben nicht, weil der in seiner Homosexuellenfeindlichkeit möglicherweise unauthentisch war. Sondern weil ihnen zum Beispiel etwas an Minderheitenrechten liegt.

Sex geht mal so, mal so; Rechtsstaatlichkeit nicht.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur