Robert Treichler

Robert Treichler: Spinnen die Finnen?

Oder sind nicht vielmehr wir zu feig, eine NATO-Debatte zu führen?

Drucken

Schriftgröße

Das finnische Wort für „Atombombe“ klingt erstaunlich putzig, es lautet: „atomipommi“. Hier endet jedoch die Verniedlichung der Gefahr, der sich Finnland seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgesetzt sieht. Die Atommacht Russland schreckt nicht davor zurück, in einen europäischen Staat einzumarschieren, was also tut die finnische Regierung? Sie führt ihr bislang bündnisfreies Land in das einzige Verteidigungsbündnis, das Russland davor abschrecken kann, eines Tages vielleicht auch Finnland anzugreifen: die NATO. Schweden überlegt aus denselben Gründen dasselbe zu tun. Und Österreich?

Österreich verzichtet bisher auf eine Debatte darüber, ob das Argument, das Finnland und Schweden zum NATO-Beitritt bewegt, stichhaltig ist. Ist es das?

Es lautet im Wesentlichen so: Russland ist unter Wladimir Putins Herrschaft zu einer unberechenbaren Macht geworden. Die Invasion in der Ukraine zeigt, dass Putin auch bereit ist, einen Krieg gegen ein europäisches Land vom Zaun zu brechen. Er würde jedoch davor zurückschrecken, ein Land anzugreifen, das Mitglied der NATO ist, da dies einen Krieg gegen die gesamte NATO zur Folge hätte. Deshalb bedeutet ein NATO-Beitritt für Finnland und Schweden größere Sicherheit.

Identitätsstiftende Merksätze sollten nicht Sicherheitspolitik ersetzen.

Was kann man dagegen einwenden? Fünf Gegenargumente gegen die finnisch-schwedische Position – und Antworten darauf.

1. Die Neutralität hat Österreich seit 1955 erfolgreich vor Angriffskriegen bewahrt.

Na ja, auch nicht neutrale europäische Staaten wurden in diesem Zeitraum nicht angegriffen. Jedenfalls reagieren Finnland und Schweden mit ihrem Schwenk zur NATO auf eine neue, veränderte Situation. Wenn Putin etwa einen militärischen Schlag gegen die westliche Allianz verüben will, ohne einen NATO-Bündnisfall auszulösen, wer eignet sich dann als Ziel? Staaten, die zusammen mit den USA gegen Russland Sanktionen verhängt haben, aber nicht Mitglied der NATO sind. Derzeit wären das zum Beispiel Finnland, Schweden, Österreich … Finnland und Schweden fallen demnächst weg.

2. Ein NATO-Beitritt würde Russland provozieren. Auch das ist richtig. Moskau hat bereits scharfe Worte Richtung Helsinki gesandt und umgehend die Stromlieferung gekappt, erwartet werden die Verlegung von Raketen in die Nähe der finnischen Grenze, verschärfte Militärpatrouillen, Manöver. Das kann man sich kurzfristig ersparen, wenn man keinen NATO-Beitrittsantrag stellt. Bloß: Beweist nicht allein schon diese Angst vor Moskaus Reaktionen, wie prekär die Lage ist? Und was hat es der Ukraine genützt, nicht NATO-Mitglied geworden zu sein?

3. Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland, die Sicherheitssituation sei deshalb nicht mit der Österreichs vergleichbar, sagt Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler im profil-Interview. Schweden allerdings hat keine Grenze zu Russland, und die Kriege der Zukunft werden nicht ausschließlich konventionell geführt werden.

4. Die Neutralität gehöre „bei uns zur Identität“, sagt ebenfalls Ministerin Edtstadler im profil-Interview.
Das wird wohl so bleiben, solange man es mantraartig sich selbst und den Kindern in der Schule vorsagt. Identitätsstiftende Merksätze gehören allerdings in den Bereich Folklore und nicht zur Sicherheitspolitik.

5. Eine „engagierte Neutralität“ hindere Österreich nicht daran, „klar Stellung zu beziehen, wenn Menschenrechte verletzt werden und Völkerrecht gebrochen wird“, so SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Ja, aber wer soll überlebensnotwendige Waffen an die Ukraine liefern? Die sozialdemokratisch geführten Regierungen in Finnland und Schweden haben sich entschieden: Sie liefern bereits.

Dass sich die österreichische Politik vor der Debatte über die Argumente der Schweden und Finnen drückt, mag zu ihrer Identität gehören. Mein Sicherheitsgefühl stärkt es nicht.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur