Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler
Interview

Edtstadler: „Mit dieser FPÖ gehe ich nie wieder in eine Koalition“

Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler spricht im profil-Interview über die Ära Sebastian Kurz, Probleme der ÖVP, peinliche Chats, die Hürden für Frauen in der Politik und warum die österreichische Neutralität trotz Ukraine-Krieg Sinn macht.

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profil: Man muss diese Frage derzeit ÖVP-Ministerinnen stellen: Tragen Sie sich mit Rücktrittsgedanken?

Edtstadler: Nein. Es ist ein Privileg, in einer schwierigen Zeit Verantwortung zu tragen. Gestalten macht mir Freude.

profil: Sie sind die Einzige aus dem Regierungsteam, die schon bei der Angelobung von Türkis-Blau 2017 dabei war.

Edtstadler: Das ist mir auch erst nach den Rücktritten von Elli Köstinger und Margarete Schramböck bewusst geworden. Ich brenne für das gemeinsame Europa. Und wie überall im Leben gehört auch Glück dazu.

profil: Bei der Regierungsumbildung wurden zwei Frauen durch Männer ersetzt. Sie bezeichnen sich als Feministin. Was halten Sie von der Retro-Politik?

Edtstadler: Ich sehe hier keine Retro-Politik. Seit ich denken kann, verstehe ich mich als Feministin und Vorkämpferin für Frauenrechte. In der Regierung sind jetzt zehn Männer und acht Frauen, das ist mehr als in mancher Vorgängerregierung. Karl Nehammer hat Leadership gezeigt und seine Entscheidungen getroffen. Ich habe außerdem den Eindruck, dass leider in solchen Situationen Männer schneller ja sagen als Frauen.

profil: Haben Sie eine These, warum Frauen bei solchen Entscheidungen zögerlicher sind?

Edtstadler: Nein, ich habe keine. Ich versuche, Frauen zu motivieren, einen herausfordernden Job anzunehmen und besetze Stellen nach Möglichkeit mit Frauen nach. Frauen brauchen manchmal den Extra-Anstoß. Man muss ihnen klarmachen, dass man in einer neuen Aufgabe nicht alles gleich von Anfang an zu 120 Prozent beherrschen muss.

profil: Haben es Frauen schwerer in der Politik?

Edtstadler: Ja. Während Männer als zielstrebig gelten, sagt man Frauen nach, krankhaft ehrgeizig zu sein. Vor allem was das Optische betrifft, werden Politikerinnen anders behandelt. Ich habe mich am Anfang oft geärgert: Ich war die Eisprinzessin, Marylin Manson. Wo es geht, sollte man das aber mit Humor nehmen. Ansonsten muss man versuchen, die Dinge nicht an sich herankommen zu lassen.

profil: Warum muss eine Regierungsumbildung in der ÖVP immer der Machtlogik der Länder und Teilorganisationen folgen? Nicht die Besten erhalten ein Amt, sondern etwa die Tiroler.

Edtstadler: Ich bin überzeugt, dass jetzt die Besten im Amt sind. Wenn jemand wie Norbert Totschnig, der aus der Agrarpolitik kommt, Landwirtschaftsminister wird, ist er sicherlich bestens geeignet. Umweltministerin Leonore Gewessler war Geschäftsführerin einer Umweltschutzorganisation, das hat ihr noch nie jemand vorgeworfen.

profil: Bei der jüngsten Regierungsumbildung galt nicht das Leistungsprinzip. Stattdessen wurden der Wirtschaftsbund, der Bauernbund und die Bundesländer berücksichtigt.

Edtstadler: In der breiten Struktur der ÖVP gibt es überall gute Leute. Kanzler Karl Nehammer ist es gelungen, die Besten in kurzer Zeit zu gewinnen.

profil: Nach dem Wechsel von Nehammer ins Kanzleramt wären Sie als frühere Staatssekretärin dessen logische Nachfolgerin im Innenministerium gewesen. Das war nicht möglich, weil Sie aus Salzburg kommen, einem in der ÖVP zu leichtgewichtigen Bundesland.

Edtstadler: Ich empfinde es als Privileg, in meinem jetzigen Amt zu arbeiten. Kontinuität ist etwas Positives. Man sammelt Erfahrungen, knüpft Kontakte und ist in komplexe Materien eingearbeitet. Ich will genau dort weitermachen, wo ich bin.

profil: Sie waren immer loyal zu Sebastian Kurz. Ist dessen Ära nun vorbei?

Edtstadler: Loyalität ist eine Grundvoraussetzung in der Politik, weil ja nicht jeden Tag die Sonne scheint. Wir durchleben eine schwierige Phase. Es herrscht Krieg in Europa. Da ist es nicht wesentlich, welche Ära gerade läuft. Und jetzt heißt der Kanzler Nehammer.

profil: Was ist der Unterschied zwischen Nehammer und Kurz?

Edtstadler: Jeder bringt seine Persönlichkeit ein. Wie immer im Leben hat man unterschiedliche Beziehungen zu Menschen. Ich schätze Karl Nehammer schon seit seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär und habe mit ihm das beste Einvernehmen.

profil: Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht so überzeugt von Nehammer. Die ÖVP ist in den Umfragen abgesackt.

Edtstadler: Es ist eine herausfordernde Zeit: Krieg, Teuerung, Pandemie. Daher würde ich die Stimmung in der Bevölkerung nicht nur auf ÖVP-interne Probleme zurückführen. Der Ton in der Politik ist insgesamt rauer geworden. Man muss mit den Menschen ehrlich sein und ihnen sagen, dass die Politik nicht alles für sie lösen kann und auch sie selbst umdenken müssen, etwa beim Klimawandel.

profil: Ein Grund für den Vertrauensverlust der Bürger sind die Korruptionsaffären in der ÖVP. Sie waren Strafrichterin. Ist die ÖVP eine korrupte Partei?

Edtstadler: Nein, die Menschen, die sich in der Volkspartei engagieren, tun dies mit großem Engagement und mit viel Herzblut. In jeder Organisation gibt es Verbesserungspotenzial. Wenn es Vorwürfe gibt, sind diese rasch und restlos aufzuklären. Allerdings werden Dinge an die Öffentlichkeit gespielt, die dort nicht hingehören. Und es wird daraus viel konstruiert, es gibt Vorverurteilungen, schon vor einem Anfangsverdacht wird berichtet, und Unschuldige werden in die Enge gedrängt.

profil: Nach Ihren Vorstellungen hätten die Handys von Thomas Schmid und Gernot Blümel nicht ausgewertet werden dürfen? 

Edtstadler: Es gibt private Kommunikation, die auch privat bleiben sollte.

profil: Die Chats waren nicht privat. Es ging um Gelder und Posten der Republik.

Edtstadler: Ich möchte es zweiteilen. Jeder Vorwurf von Korruption muss rasch aufgeklärt werden und zwar in einem nicht öffentlichen Ermittlungsverfahren. Durch die Vermischung mit dem U-Ausschuss wird aber alles öffentlich, auch zutiefst private Kommunikation. Da gibt es auch Reformbedarf in der Strafprozessordnung, denn die Datenauswertung von beschlagnahmten Handys ist nicht wirklich geregelt.

profil: Die Staatsanwaltschaft sieht das anders.

Edtstadler: Es ist nicht restlos geklärt, das muss man adaptieren.

profil: Sie haben den ÖVP-U-Ausschuss als Tribunal bezeichnet.

Edtstadler: Ich vergleiche den U-Ausschuss deswegen mit einem Tribunal, weil er nichts mit den Regeln in einem Strafprozess zu tun hat. Ein Angeklagter hat Rechte. Als Strafrichterin habe ich bei Zeugeneinvernahmen immer nachgehakt, damit der Zeuge sich klar äußert und nicht aus Versehen eine falsche Aussage macht. Im U-Ausschuss wird dagegen so lange nachgehakt, bis es zu Widersprüchlichkeiten kommt und man einer Auskunftsperson eine Falschaussage vorwirft. Sektionschef Christian Pilnacek wurde bei seiner Aussage vor dem U-Ausschuss zu Mails befragt, die er gar nicht kannte. Auch Rechtswissenschaftler bestätigen, dass das den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widerspricht.

profil: Sie waren im Justizministerium enge Mitarbeiterin von Pilnacek. In einem Chat mit dem früheren Justizminister Wolfgang Brandstetter meinte er über eine Höchstrichterin, diese würde eine gute Müllfrau abgeben.

Edtstadler: Als ich das gelesen habe, fehlten mir die Worte. So etwas lehne ich zutiefst ab. Dennoch stammen auch diese Äußerungen aus einer Kommunikation, die nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen war.

profil: Transparenz hilft gegen Korruption, etwa das geplante Informationsfreiheitsgesetz. Länder und Gemeinden blockieren aber. 

Edtstadler: Das Informationsfreiheitsgesetz ist ein Paradigmenwechsel. Daher gab es ein umfangreiches Begutachtungsverfahren mit rund 200 Stellungnahmen. Wir nehmen die Sorgen der Länder und Gemeinden ernst, sie fürchten eine Anfrageflut.

profil: Aber wird das Informationsfreiheitsgesetz je kommen?

Edtstadler: Wir haben es uns für diese Legislaturperiode vorgenommen. Konkreter kann ich mich nicht festlegen, wir brauchen auch SPÖ oder FPÖ für die Zwei-Drittel-Mehrheit.

profil: Von Gemeinden zur Weltpolitik. Die Ukraine will der EU beitreten, Sie als Europaministerin sind skeptisch.

Edtstadler: Ich bin realistisch. Die EU hat den Westbalkan-Staaten viele Versprechungen gemacht – und wenig gehalten. Wenn die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommt, dann muss ihn auch Bosnien-Herzegowina erhalten, und es muss für Albanien und Mazedonien nächste Schritte geben. Diese Länder warten lange und sind enttäuscht. Es gibt kein Schnellverfahren, auch nicht für die Ukraine.

profil: Frankreich blockiert.

Edtstadler: Ich bin sofort nach meiner Angelobung als Europaministerin im Jänner 2020 nach Frankreich gefahren und im März haben wir die Erweiterung beschlossen. Mittlerweile blockiert Bulgarien. Das müssen wir jetzt endlich lösen.

profil: Die EU will sich via „Zukunftskonferenz“ reformieren. Was ist zentral?

Edtstadler: Wir brauchen eine geopolitische EU. Zudem müssen wir uns als Wirtschaftsmacht verstehen und etwa Barrieren beim Binnenmarkt lösen: Ein Unternehmer kann nicht in der ganzen EU verkaufen, sondern braucht 27 Einzelgenehmigungen. Und drittens müssen wir die Institutionen stärken, etwa durch das Spitzenkandidaten-Prinzip: Wer die EU-Wahl gewinnt, soll EU-Kommissionspräsident werden.

profil: Die Europäische Volkspartei durchbrach das Prinzip: Manfred Weber war Spitzenkandidat, Ursula von der Leyen wurde Kommissionspräsidentin.

Edtstadler: Das war das Ergebnis von Parteien-Verhandlungen. Zudem sollte man sich auf einen faktischen Sitz des EU-Parlaments einigen: Ich weiß als Ex-EU-Abgeordnete, wie mühsam das Pendeln zwischen Brüssel und Straßburg ist. Leider will Frankreich den Sitz Straßburg nicht aufgeben.

profil: Zur Zukunft der EU gehört auch eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur. Österreichs Neutralität passt da nicht mehr dazu.

Edtstadler: Durch den EU-Beitritt hat sich die Neutralität verändert, wir leben heute eine aktivere Neutralitätspolitik als 1955. Wir äußern uns zum Krieg in der Ukraine, wir sind nicht neutral gegenüber Völkerrechtsbruch. Wir sind militärisch, aber nicht politisch neutral.

profil: Österreich segnet Milliardenhilfen ab, mit denen auch Waffen gekauft werden.

Edtstadler: Wir enthalten uns bei den Abstimmungen konstruktiv, stimmen also nicht dagegen. Wir stimmen nur humanitärer Hilfe und dem Kauf von Schutzausrüstung zu. Wir haben die Ausnahmesituation Krieg in Europa, daher gehen wir so weit wie noch nie. Dennoch bleibt die Neutralität ein hohes Gut.

profil: In Ihrem Büro saß früher Außenminister Wolfgang Schüssel  . Er war einmal für den NATO-Beitritt. Soll Österreich wie Finnland beitreten?

Edtstadler: Das ist kein Thema. Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland und damit eine andere Situation. Bei uns gehört die Neutralität zur Identität. Das mittelgroße Österreich ist Brückenbauer. Dazu setzen wir in der EU Akzente für Sparsamkeit, als so genannte frugale Vier mit Dänemark, den Niederlanden und Schweden.

profil: Das Motto in der Pandemie lautet aber „Koste es, was es wolle“.

Edtstadler: Dennoch muss jeder Staat, der Geld aus dem EU-Zukunftsfonds will, Konzepte vorlegen. Mit dem Fonds wollen wir den digitalen und grünen Wandel schaffen. Das Geld darf nicht versickern.

profil: Zu Ihrem Ressort gehören Verfassungsfragen. Wird im Herbst die derzeit ausgesetzte Impfpflicht eingeführt?

Edtstadler: Die Corona-Situation ist viel entspannter als beim Beschluss. Wir haben die Impfpflicht – aber wir werden sie hoffentlich nie brauchen.

profil: Ein Glanzstück war die Impfpflicht nicht.

Edtstadler: Das ist ein gutes Gesetz, weil es sehr flexibel gebaut ist. Der Politik wird immer vorgeworfen, Corona hinterherzuhinken. Mit der flexiblen Impfpflicht kann die Corona-Kommission flexibel reagieren.

profil: Sie haben beides erlebt: Regieren Sie lieber mit der FPÖ oder mit den Grünen?

Edtstadler: Die Zusammenarbeit mit den Grünen dauert schon doppelt so lange wie jene mit der FPÖ. Sie ist sehr konstruktiv, auch auf persönlicher Ebene. Insofern sage ich: Mit dieser FPÖ gehe ich nie wieder in eine Koalition.

profil: Warum?

Edtstadler: Die FPÖ hat sich unter Herbert Kickl radikalisiert. Sie überschreitet beim Thema Antisemitismus permanent Grenzen, sie distanziert sich nicht ausreichend von Judensternen, von Vergleichen von Impfstoff mit Zyklon B und von „Impfen macht frei“-Parolen auf ihren Corona-Demonstrationen. Ich bin sehr diskussionsfreudig – aber bei solchen Vorfällen fällt mir nichts mehr ein. Daher ist für mich persönlich eine Koalition mit dieser FPÖ ein No-Go.

profil: Auf einem Schild hinter Ihrem Schreibtisch steht: „The older I get, the more everyone can kiss my ass.“ Ist das Ihr Motto?

Edtstadler: Das Schild hat mir eine Freundin geschenkt und gesagt: „Du brauchst vermutlich noch einige Jahre, bis Du das wörtlich nehmen kannst.“ Aber eine gewisse Robustheit ist bei mir schon jetzt gegeben.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin