Robert Treichler

Robert Treichler: Wie gefährlich ist Linkspopulismus?

Nicht so arg, meinen Sie? Sie sollten Jean-Luc Mélenchon kennenlernen.

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Was Rechtspopulismus anrichten kann, wissen wir seit ein paar Jahren besser, als es die meisten je wissen wollten. Danke, oder vielmehr: nein danke, Donald Trump, Nigel Farage, Viktor Orbán, Heinz-Christian Strache und ihresgleichen. Linkspopulismus hingegen existiert bisher eher als Konzept, das gelegentlich als Gegengift zum Rechtspopulismus angedacht wird und dabei gar nicht übel klingt.

Anstelle des widerlichen völkischen Denkens der Rechten propagieren Linkspopulisten zunächst einmal grenzenlose soziale Wohltaten, und was sollte daran so schlimm sein? Unfinanzierbar zwar, aber als Luftschloss recht wohnlich. Ohnehin führt der linke Populismus in Europa mit wenigen Ausnahmen ein bescheidenes Dasein als vorwiegend publizistisches Phänomen unter dem Titel „Kapitalismuskritik“ in Buchhandlungen, fernab von rauschenden Wahlerfolgen.

Doch plötzlich ist er da.

Er heißt Jean-Luc Mélenchon und will im Juni Frankreichs Premierminister werden.  Dazu muss sein Parteienbündnis Nupes (Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale) bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni die Mehrheit der Sitze erringen. Tatsächlich gilt Mélenchon als aussichtsreichster Herausforderer der liberalen Partei LRM von Staatspräsident Emmanuel Macron. Moment mal, hat Macron nicht eben die rechtspopulistische Marine Le Pen besiegt? Richtig. Seit Jahren ist in Frankreich Rechtsaußen-Politikerin Le Pen die dominierende oppositionelle Figur, doch jetzt kommt mit Mélenchon ein neuer Kontrahent – von links.

Das Adjektiv „neu“ bezieht sich dabei nur auf seine Position als ernst zu nehmender Mitbewerber um das Amt des Premiers, im politischen Geschäft ist Mélenchon, 70, seit der Studentenbewegung von 1968. Erst Trotzkist, später Mitglied der Sozialistischen Partei, brachte er es bis zum Minister, ehe er 2009 eine Linkspartei gründete.

Mit Mélenchon als Premierminister wäre die EU in Gefahr und die NATO in Trümmern. 

Sein aktuelles Programm für die Parlamentswahlen enthält alles, was Linke fröhlich macht: Deckelung von Einkommen in der Privatwirtschaft (maximal das 20-Fache des niedrigsten Gehalts in einem Unternehmen), ein Wiederverstaatlichungsprogramm, Erbschaften über einer Grenze von zwölf Millionen Euro kassiert der Staat … 

So weit, so erwartbar. Der umstrittenste Punkt des Programms findet sich im Kapitel zur Europäischen Union. Da heißt es: „Wir müssen bereit sein, bestimmte Regeln nicht zu beachten.“ Angeführt werden die geltenden Verträge der Europäischen Union, bereits geschlossene Freihandelsverträge, die Gemeinsame Agrarpolitik, die Freiheit des Kapitalverkehrs … Mélenchon kündigt damit unverblümt an, gegen EU-Recht verstoßen zu wollen, und zwar immer dann, wenn es seine Regierung daran hindern würde, ihr „soziales und ökologisches Programm“ zu verwirklichen. „Europäischen Ungehorsam“ nennt er das stolz und versucht zu verharmlosen, dass die Missachtung von EU-Recht durch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Union in Wahrheit deren Zerfall in Gang setzen würde.

Weshalb sollten andere Staaten sich nicht ebenfalls à la carte die Gesetze aussuchen, die sie befolgen möchten, und alle anderen ignorieren? Polen würde endgültig auf Vorschriften zur Rechtsstaatlichkeit pfeifen, Ungarn auf Anti-Korruptionsregeln, und jede europäische Partei würde mit Versprechen in den Wahlkampf gehen, welches EU-Recht sie brechen werde, sobald sie an die Macht komme.

Mélenchons Abneigung gegenüber der EU ist alles andere als neu. Innerhalb der Linken stand er seit jeher auf der Seite derer, die das nach seiner Meinung „neoliberale Projekt“ bekämpften. Er agitierte vor dem Referendum 2005 gegen die EU-Verfassung und sprach sich bis 2017 noch offen für den Austritt aus der EU als „Plan B“ aus.

Weitere Ansichten Mélenchons zur internationalen Politik: Die deutsche Wiedervereinigung sei eine „Annexion“ gewesen. Und am 6. März dieses Jahres, zehn Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine, sagte der dreifache Präsidentschaftskandidat: „Wir müssen aus der NATO austreten. Sie ist eine überflüssige Organisation, die durch ihr Treiben immer wieder Spannungen provoziert.“

Mit Mélenchon als Premierminister wäre die EU in Gefahr und die NATO in Europa in Trümmern. All das ist beunruhigend genug, doch es kommt noch schlimmer: Das Parteienbündnis Nupes, dessen Spitzenkandidat Mélenchon ist, umfasst neben seiner Partei „Unbeugsames Frankreich“ und der Kommunistischen Partei auch die Grünen und die Sozialistische Partei (PS). Die jahrzehntealte Trennlinie zwischen der proeuropäischen Linken – der Sozialistischen Partei – und der antieuropäischen Linken – Kommunisten und Trotzkisten – ist verschwunden. Das bedeutet, es kandidiert bei dieser Wahl keine einzige linke, proeuropäische Partei. Somit lauern rechts und links von Macron antieuropäische Kräfte. Er und seine Partei „La République en Marche“ sind nicht nur dazu verdammt, Marine Le Pen zu schlagen, sondern auch Jean-Luc Mélenchon.

Der Linkspopulismus ist nicht so gefährlich wie der Rechtspopulismus. Aber gefährlich genug.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur