Leitartikel

Rote Selbstfindung

Die SPÖ-Parteispitze hat das Gefühl für die Basis und damit eine wichtige Entscheidungsgrundlage in strategischen Zukunftsfragen verloren. Die anstehende Wahl könnte der auseinandergeronnenen Mitte-Partei wieder mehr Profil geben.

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„Niemand weiß, wie die SPÖ-Basis wählen wird. Und wenn jemand behauptet, er weiß es, dann lügt er“. So antwortete dieser Tage ein SPÖ-Vorstandsmitglied auf die Frage, wie es den Ausgang des Rennes um die Spitze einschätze. 148.000 Parteimitglieder sollen ab Ende April darüber abstimmen wer sie als SPÖ-Chef:in in die Zukunft führen soll. Will die Basis weiter eine urbane, moderne Frau an der Spitze? Werden Pamela Rendi-Wagners fehlende Kanten vielleicht doch positiv als Breite gedeutet? Oder hat ihr schärfster Kritiker, Hans Peter Doskozil, mit seiner Linie rechts der Mitte die besten Chancen? Vielleicht haben die Mitglieder aber auch von dem jahrelangen Hick-Hack genug und küren einen Dritten zum Chef? Das wäre dann Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler, der von den Linken hochgejazzt wird? Aber wie links ist die Partei denn insgesamt – und wie rechts? Wie viele Arbeiter gehen abstimmen – wie viele Akademiker? Wie ländlich oder urban ist die Basis? Es gibt keine Evidenz für vernünftige Antworten.

Das hat unangenehme Folgen: Die drei Kandidaten buhlen derzeit um Stimmen der Genoss:innen – und agieren dabei einigermaßen ins Blaue. Wie soll man auch sein Profil schärfen, sich gut präsentieren oder ein nuanciertes Programm vorlegen, wenn man eigentlich nicht weiß, wen man adressiert? Dieses Unwissen ob der Basis zeigt dazu noch ein fatales Grundproblem der Partei: Die Führung hat den Bezug zu ihren eigenen Reihen verloren – und damit eine wichtige Entscheidungsgrundlage für strategische Zukunftsfragen. Da gut aufgestellt zu sein, ist essenziell, Parteien müssen sich heute ebenso mit der Zeit wandeln wie die Wirtschaft. Die Anforderungen und Ansprüche der Bevölkerung haben sich ebenso wie ihre Lebensweisen stark und schnell verändert. Parteien müssen dem mit ihrem Programm Rechnung tragen. Wer dabei leere Meter läuft, der verliert.

Bei der SPÖ scheint das noch nicht ganz angekommen zu sein. Dass sie den Kanzlerstuhl 2017 an die ÖVP abgeben musste, wird noch immer eher als historischer Irrtum gesehen, dem eine türkise Intrige zugrunde liegt. Hätte Kurz fair gespielt, wäre alles anders gekommen, sind viele Genoss:innen überzeugt. Dass der Stimmenverlust – auch an andere Parteien – vielleicht auch mit einem nicht optimalen Angebot an den Wähler zu tun gehabt haben könnte, wird nach wie vor kaum in Erwägung gezogen. Politik hat sich in den vergangenen Jahren diversifiziert, das macht es für Parteien umso notwendiger genauer zu definieren, wofür sie stehen, und das auch zu vermittelt. Und die SPÖ? Die versuchte bisher, sich von der Mitte aus in Richtung Ränder zu strecken, um dort noch Wähler zu finden. Die Linie verschwamm und schließlich kam das ideologische Zentrum so aus dem Lot, dass die Partei heute selbst nicht einmal so genau weiß, wer sie eigentlich ist. Ein Beispiel dafür wäre das Herumeiern in Dingen Migration.

Die Selbst(wieder)findung referenzierte bisweilen vor allem auf alte, goldene Zeiten und lange gehegte Traditionen. Bald ist wieder der 1. Mai, der Tag der Arbeit. Da werden Lieder gesungen, man trägt rote Nelken und Reden mit viel Pathos geschwungen. Dabei mindestens ein Mal auf Kreisky zu referenzieren gehört als Redner zum guten Ton. Aber glaubt wirklich jemand, dass das junge Menschen heute emotionalisiert? Dass sich so neue Gruppen gewinnen lassen? Die Sozialdemokratie weiß in Wahrheit selbst, dass ihr das momentan nicht so gut gelingt. Sie spricht seit Jahren darüber, dass man nur wieder die richtige Erzählung zu allgemeingültigen Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit oder Solidarität finden müsse. An der Erzählung liegt es aber nicht – das ist noch weit weg. Der erste Schritt wäre, sich zur Haltung zu all diesen Begriffen zu einigen. Wie gleich sollen Österreicher und Flüchtlinge? Wie weit reicht die Solidarität zwischen Jung und Alt – und wie sieht das aus? Wie definiert sich Freiheit? Wie erreicht man die gewünschte Umverteilung? Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, braucht man über die Verpackung nicht nachdenken.

Die Art und Weise, wie die SPÖ-Spitzenkandidatensuche bisher abgeht, ist für die Demokratie wenig schmückend. Aber man soll ja das Positive sehen. Im besten Fall hilft diese Wahl der SPÖ, einen Weg zu finden, den sie konsequent entwickeln und gehen will. Im schlimmsten Fall holen alle drei Kandidaten ungefähr gleich viele Stimmen. Dann könnte wieder der kleinste gemeinsame Nenner zur politischen Linie werden. Das reicht für den Mai-Aufmarsch am Rathausplatz, aber nicht für einen Wahlsieg.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.